Architektur | Das Baubüro in situ verfolgt Strategie zur Verminderung des Ressourcenverbrauchs
Wiederverwertbares gesucht
NATERS / BASEL / ZÜRICH | Geraldine Clausen ist Master- Studentin Architektur an der ETH in Zürich. Bei einem Praktikum lernte sie die Philosophie des Baubüros in situ kennen, das sich seit Jahren intensiv mit der Wieder verwendung von Bauteilen aus einandersetzt.
Nathalie Benelli
Geraldine Clausen arbeitete im Rahmen eines ETH-Praktikums an der Transformation eines ehemaligen Sulzer-Industrieareals in Winterthur mit. Ein durchmischtes Stadtquartier soll es werden. Das Baubüro in situ plante die Sanierung und Aufstockung des Kopfbaus zur Halle 118. Ateliers, Werkstätten und Denkstuben sind geplant und Kleingewerbe könnte sich im umgestalteten Industriequartier ansiedeln. Das klingt jetzt nicht sonderlich spektakulär. Aber das Baubüro in situ hat sich ein ambitioniertes Ziel gesteckt. Ganze 80 Prozent der Baumaterialien sollen aus wiederverwendeten Bauteilen bestehen. Aus Alt mach Neu sozusagen.
Geraldine Clausen erklärt: «Wenn sich bei Gebäuden wie Banken, Büros, Industriehallen oder Hochhäusern die Nutzungsbedürfnisse verändern, werden sie oftmals abgerissen. Auf diese Weise entstehen regelmässig grosse Abfallmengen.» Dabei gebe es viele Bauteile wie Fenster, Türen, Granitplatten, Fassadenelemente, Sanitäreinrichtungen oder sogar ganze Treppentürme, die durchaus wiederverwertet und wiederverbaut werden könnten. «Die Wiederverwendung von Bauteilen ist eine ressourcenschonende Strategie. Diese Haltung von in situ hat auch mein Denken verändert», sagt Geraldine Clausen. Während des Studiums an der ETH denke man eher radikal. Dort würde man alles planen, was theoretisch möglich sei. Es stünde immer der Entwurf am Anfang eines Baus. «Mit der Philosophie der Wiederverwendung von Bauteilen ist es genau umgekehrt. Die verfügbaren Bauteile bestimmen die Gestaltung», sagt die 25-Jährige.
Gesucht Bauteiljägerin
In der Ausschreibung der Praktikumsstelle stand: Gesucht Bauteiljägerin. Darunter konnte sich Geraldine Clausen damals nicht viel vorstellen. «Eine meiner Kolleginnen, die ebenfalls das Praktikum beim Baubüro in situ gemacht hatte, erklärte mir die Philosophie dahinter und die Aufgaben einer Bauteiljägerin», sagt die Natischerin. Wobei sie gleich präzisiert: «Den Posten einer Bauteiljägerin gibt es noch nicht lange. Entsprechend erfinderisch musste ich bei der Umsetzung sein. Ich konnte mich nicht auf erfahrene Bauteiljäger stützen», erzählt die Master-Studentin.
Ihre Aufgabe bestand darin, geeignetes Baumaterial zu finden, es vor der Zerstörung zu retten, dann den Ausbau, den Transport und die Lagerung zu organisieren. Sämtliche Bauteile musste sie elektronisch im «bauteilshop in situ» erfassen. Dabei galt es, die Bauteile zu vermessen, Menge, Verfügbarkeit, Herstellerinformationen, Lagerort und weitere Details genau zu dokumentieren. «Ganz am Anfang fuhr mein Chef noch mit dem Fahrrad durch die Stadt und hielt Ausschau nach Abbruchobjekten. Inzwischen fragen wir systematisch bei Eigentümern nach, und es gibt auch schon Abbruchfirmen, die uns auf Objekte aufmerksam machen.» Das Zeitfenster zum Abbau der Bauteile sei nicht sehr gross. Meistens müsse es auf Baustellen schnell vorwärtsgehen, deshalb sei ein rasches Handeln unabdingbar.
Ökologisch sinnvoller Transport
Was alles für Elemente wiederverwertet werden können, zeigt sich an der Halle 118 in Winterthur: Der Dachaufbau und die Fassadenbleche stammen von der Ziegler-Druckerei in Winterthur, Fenster und Treppe sowie Granitplatten wurden vom Orion in Zürich ausgebaut, und die Stahlstruktur stammt von einem Gebäude in Basel und Uster. «Alle Bauteile kommen höchstens aus einem Radius von 100 Kilometern. Weiter weg wären die Suche und der Transport nicht mehr ökologisch», betont Geraldine Clausen.
Bei der Suche nach Bauteilen denke
sie immer in Serien. Einzelteile zu la-
gern lohnt sich nicht. Wichtig sei auch gewesen, dass es für die ausgewählten Bauteile noch Ersatzteile gebe. Klar, dass beim Bau mit vorgegebenen Teilen nicht alles zusammenpasst wie bei einem Puzzle-Spiel. «Die Gestaltung richtet sich nach dem Vorhandenen, und es werden fehlende Passstücke gefertigt, die das Gegebene verbinden. Erreichen Fenster nicht die gewünschte Dämmung, werden sie aufgedoppelt und so lässt sich der angestrebte U-Wert erreichen», erklärt die angehende Architektin. Das Projekt der Aufstockung auf dem Lagerplatz-Areal in Winterthur wird inzwischen von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, der ETH Zürich und dem Bundesamt für Umwelt mit Forschungsarbeiten begleitet.
Verantwortlich bauen
und handeln
Was nach viel Aufwand klingt, ist auch so. Das Bauen mit «alten» Materialien wird nicht etwa billiger. In den meisten Fällen sind die Kosten ähnlich hoch wie bei einem vergleichbaren Neubau. «Für Bauherren, die solche Bauten in Auftrag geben, sind nicht nur die Kosten prioritär. Da geht es um eine Ideologie, um verantwortliches Bauen und Handeln.» Geraldine Clausen sieht auch im Wallis das Potenzial für einen schonenderen Umgang mit Ressourcen. «Altes Holz eignet sich sehr gut, um wiederverwendet zu werden. Aber es gäbe natürlich noch viel mehr Möglichkeiten, die grossen Mengen Bauabfall zu reduzieren», sagt die Architekturstudentin. In welche Richtung sie ihr beruflicher Weg führen wird, lässt sie noch offen. Aber Nachhaltigkeit beim Bauen ist ihr wichtig − für die kommenden Generationen mit den Netto-0-Zielen bei den CO2-Emissionen gar unabdingbar.
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