Politik | Die Jugendsession in Sitten zeigte das Engagement des Nachwuchses. Mittendrin: Matteo Chiabotti
«Abstimmungen und Wahlen sind das, was unser Land ausmachen»
Am Donnerstag sassen im Saal des Grossen Rates besonders junge Politiker. Dort tagte das Jugendparlament. Eine Lehrstunde für den politischen Nachwuchs.
Männer in Anzügen und mit Aktentaschen stehen vor dem Gebäude des Walliser Parlaments. Frauen in Blusen und Anzughosen diskutieren miteinander. Kein ungewohntes Bild. Ungewöhnlich ist allerdings ihr Alter. Zwischen 15 und 20 sind die Jugendlichen, die für einen Tag die Luft von Politikern einatmen dürfen. Sie nehmen an der Jugendsession teil, die einmal jährlich organisiert wird.
Im Grossratssaal werden die Nachwuchspolitiker von Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten und vom Sittener Präsidenten Philippe Varone begrüsst. Sie reden davon, wie wichtig das Engagement der Jugend ist, dass ihnen die Zukunft gehört. Und sie reden von den Klimademonstrationen, die zeigen, dass die Jugend nicht einfach zusehen will, wenn es um die Zukunft unseres Planeten geht.
Schule soll erst um 9.00 Uhr beginnen
Für die rund 120 Jungpolitiker geht die Arbeit danach in vier Kommissionen weiter. Die Themen: das Verhältnis von Ober- und Unterwallis, die tiefe Stimmbeteiligung, die Abwanderung von Akademikern aus dem Wallis und die Mobilität. Die Kommission für Mobilität macht sich auf ins benachbarte Maison socialiste. Dort führen die zwei Referenten Vincent Pellissier, Chef der kantonalen Dienststelle für Mobilität, und Yves Marclay, CEO von RegionAlps, ins Thema ein. Sie sprechen davon, wie lange politische Prozesse dauern und wie die RegionAlps seit 2012 ihre Passagierzahlen um 40 Prozent steigern konnten. In der Kommission beginnt nun die Debatte: Fronten prallen aufeinander, Vergleiche zu anderen Kantonen werden gezogen. Kugelschreiber klicken, Notizen werden niedergeschrieben. Die Kommissionsmitglieder liefern Argumente, fallen einander ins Wort. Irgendwann ist es wieder für einen Moment still: Und jemand sagt: «Sind wir uns einig, dass wir zusammen etwas verändern wollen? Das ist unsere Chance.»
Ein erster Punkt, über den sie hitzig diskutieren: die vollen Züge zu den Stosszeiten. Der pragmatische Vorschlag der Jungpolitiker: Die Schüler der Gymnasien und der Berufsschule sollen nicht zur selben Zeit reisen wie die Arbeitnehmer. Der Unterricht sollte nach hinten geschoben werden, sodass der Unterricht erst um 9.00 Uhr beginnt. Durch eine kürzere Mittagspause wäre der Unterricht trotzdem um 16.00 Uhr zu Ende. Der Vorschlag fordert, dass die ÖV-Anbieter mit den Schulen in Kontakt treten, um zusammen geeignete Vorschläge auszuarbeiten. Alles wird niedergeschrieben, um am Nachmittag im Plenum vorgetragen zu werden.
Nur fünf Parlamentarier aus dem Oberwallis
Von den rund 120 Jungpolitikern sind lediglich fünf Oberwalliser dabei, darunter keine Frau. Die Präsidentin des Vorstands des Jugendparlaments Bérénice Georges weiss nicht, weshalb das Verhältnis zwischen Ober- und Unterwallis so unausgeglichen ist. Sie hätte viele Oberwalliser Vereine und auch das Briger Gymnasium angeschrieben. Trotzdem sind nicht mehr gekommen.
Einer der fünf Oberwalliser ist Matteo Chiabotti. Der Schüler aus der 4. Klasse des Gymnasiums Brig, der auch im Schülerrat mitwirkt, interessiert sich seit Längerem für die Politik. Der Brexit und die Wahl von Donald Trump seien Ereignisse gewesen, die man nicht umgehen konnte. Und da sei das Bedürfnis aufgekommen, sich selbst zu engagieren. Einer Jungpartei ist er zwar noch nicht beigetreten, denn die richtige Partei gebe es für ihn nicht. «Die Abstimmungen und Wahlen sind das, was unser Land und unsere Demokratie ausmachen», sagt er. Sich in diese Debatten einzumischen, finde ich gerade bei uns Jugendlichen sehr wichtig.»
Am Nachmittag sitzen die Jungparlamentarier wieder zusammen im Grossratssaal. Sie testen, ob die Abstimmungsknöpfe funktionieren und schon geht es los. Rund zehn Vorschläge werden nun vorgestellt. Die Energie geht den Jungpolitikern nicht aus. Bei jedem Vorstoss gibt es über zehn Wortmeldungen. Sie kommentieren, kritisieren und zerpflücken die gegnerischen Argumente. Die Liste der Redner, die sich zu Wort melden wollen, ist derart lang, dass gar nicht alle angehört werden können. Einige mussten von Präsidentin Bérénices Georges ermahnt werden: «Bitte halten Sie sich kurz, Herr Tomé!» Er retournierte: «Bitte entschuldigen Sie mich, Frau Präsidentin.»
Die zehn Vorschläge der Jungpolitiker waren bunt, liberal, innovativ. Das sieht auch das Vorstandsmitglied des Jugendparlaments, Loris Perruchoud, so: «Die Jugendlichen sagen manchmal Sachen, die sich die Erwachsenen gar nicht erst denken. Sie haben sehr unterschiedliche Meinungen und sind sehr kreativ», sagt er.
Drei Stunden lang debattieren die Jungpolitiker. Zum Schluss gibt die Präsidentin des Grossen Rates, Anne-Marie Sauthier-Luyet, und Staatsrat Frédéric Favre, die einen Teil der Debatten verfolgt haben, ihre Meinung auf die Jugendsession ab. Staatsrat Favre sagt, dass er heute ein tolles Ergebnis zu Gesicht bekommen hat. Damit meint er nicht, die Abstimmungsresultate, sondern die spannenden Debatten: «Heute ging es weniger linientreu zu als normalerweise», sagt er. «Es gibt nicht nur eine einzige Meinung und man muss auch akzeptieren, wenn das Gegenlager einmal gewinnt. Der Respekt ist in der Debatte sehr wichtig», sagt Favre.
Gehör bei den Grossen?
Die Grossratspräsidentin zeigt sich berührt von der unterschiedlichen Zusammensetzung im Saal des Grossen Rates. Besonders, weil viel mehr Frauen anwesend seien, als sie gewohnt sei. Und zum Schluss gratulierte sie den Jungpolitikern zu den äusserst spannenden Anträgen. Matteo Chiabotti zog am Ende des Tages ein positives Fazit: «Es war eine coole Erfahrung, und ich durfte viele neue Sachen erfahren», sagte er. Die Meinungsvielfalt sei sehr gross gewesen. «Es war spannend zu hören, was die Unterwalliser für Meinungen haben.» Die Arbeit des Jugendparlaments kann nun auch Früchte tragen. Auch in der Vergangenheit gab es bereits Fälle, bei denen die Vorschläge des Jugendparlaments vom Grossen Rat umgesetzt wurden. Die zehn Ideen werden nun dem Grossen Rat und dem Staatsrat übergeben. In den Kommissionen werden die Anträge noch einmal zur Diskussion stehen, allenfalls in eine Motion oder in ein Postulat umgewandelt. Und irgendwann vielleicht sogar den Weg in ein Gesetzbuch finden.
Mathias Gottet
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