WB-Jahresrückblick | Das war 2019 - Eine Auswahl
Menschen, die uns bewegt haben
Die WB-Redakteure und Fotografen präsentieren, mit einer Auswahl ihres Schaffens im zu Ende gehenden Jahr, Menschen, die sie bewegt haben.
Viola Amherd: Die Brigerin überrascht in Bern
Vor etwas mehr als einem Jahr wurde Viola Amherd in den Bundesrat gewählt. Im ersten Wahlgang mit 148 Stimmen. Ein aussergewöhnliches Resultat. Denn seit der Wahl von FDP-Kandidat Kaspar Villiger 1989 benötigten die Bundesräte jeweils mehrere Wahlgänge, um den Sprung in die Landesregierung zu schaffen. Die Ausnahme: Doris Leuthard. Auch ihr reichte 2006 ein Wahlgang.
Vor zwei Wochen schliesslich die Wiederwahl von Amherd. Mit 218 Stimmen erreichte sie erneut ein Spitzenergebnis. Die Brigerin erzielte das zweitbeste Resultat aller Zeiten bei einer Bundesratswahl. Nur der ehemalige SP-Bundesrat Hans-Peter Tschudi holte 1971 mehr. Es waren 220 Stimmen. Wie schafft es Amherd, im Parlament derart zu punkten? Und in den Beliebtheitsskalen der Bevölkerung obenauf zu schwingen? Kurz: Was macht Amherd derzeit richtig? Die Antwort ist trivial: Sie arbeitet an Lösungen, schmiedet an Allianzen, kommuniziert offen und – vor allem – nicht an den Leuten vorbei. Bodenhaftung statt Luftschlösser. Sitzungszimmer statt Scheinwerferlicht.
Es ist diese Amherd’sche Unaufgeregtheit, die in der zunehmend medial inszenierten Politlandschaft erfrischend und wohltuend ist. Während nicht wenige Politikerinnen und Politiker viel Energie dafür aufbringen, sich ins rechte Licht zu rücken und abwechselnd auszuteilen und einzustecken, konzentriert sich Amherd auf die relevanten Akten und Dossiers.
Fazit: Viola Amherd steht nicht für Show, Spektakel oder Small Talks. Vielmehr für Verlässlichkeit und konstruktive Lösungen. Das kommt an. Zu Recht.
Armin Bregy (bra), a.bregy@walliserbote.ch
Willy-Franz Kurth, Regisseur aus Visp
Willy-Franz Kurth begegnete ich 2019 gleich zweimal. Einmal beim Casting für die neue Serie von Regisseur David Constantin im Zeughaus Kultur in Glis. Kurth spielte selber für eine Rolle vor. Und ich muss eingestehen, dass ich ihn nicht kannte, obwohl ich selber tief verwurzelt bin in Visp.
Als ich dann als Kulturattaché für die Uraufführung des Dok-Films «Powerplay» aufgeboten wurde, durfte ich den 65-Jährigen in seinem Heim in Geimen besuchen. Dorthin hat er sich nach der Pensionierung gemeinsam mit seiner Frau zurückgezogen. Ausser jetzt während der kalten Wintermonate weilen die beiden lieber in wärmeren Gefilden.
Wir führten ein sehr anregendes Gespräch auf dem lauschigen Vorplatz. Sprachen über Gott, die Welt und ganz allgemein über Film. Über die Eigen- und Besonderheiten beim Filmschaffen. Es war total spannend. Bei der Vorführung von «Powerplay» am Abend wurden dann rund 100 Gäste im Visper Kino Astoria Zeugen von Kurths aktuellstem Auftragsprodukt. Im abwechslungsreichen und sehr rasanten Dok-Film ging es nicht nur um Eishockey. Er lieferte vielmehr ein wichtiges Zeitzeugnis über das Lonzastädtchen ab, über seine bereits etwas ältere, aber auch jüngere Geschichte. Wie sich die Visper samt Gehilfen tapfer gegen Angriffe wehrten, sah man ebenso wie die Entwicklung von Lonza über all die Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts hinweg. Der Film zeigte Erfolg wie Misserfolg. Er erzählte vom vielschichtigen, wahren Leben.
Daniel Zumoberhaus (zum), d.zumoberhaus@walliserbote.ch
Isabelle Berchtold: Sie bricht das Tabu und erzählt über ihre Fehlgeburten
Auf der Facebook-Seite «Walliser Mams», auf der sich Mütter aus dem Kanton austauschen, stosse ich auf einen Eintrag von Isabelle Berchtold. Sie sucht nach Frauen, die ebenfalls bereits eine Fehlgeburt erlitten haben. Ich schreibe sie an in der Hoffnung, mit ihr über ihre Erlebnisse sprechen zu können, ja vielleicht sogar für diese Zeitung.
Und siehe da – Isabelle Berchtold, die mittlerweile im Kanton Obwalden lebt und bereits ein Kind hat, willigt ein. Man trifft sich in Visp, ihrem Heimatort, an Fasnachten. Draussen spielen die Guggenmusiken, drinnen versuche ich meine erste Frage zu formulieren. «Ich kann nicht verstehen, warum das Thema immer noch so ein grosses Tabu ist», eröffnet sie das Gespräch. Zwischen der fünften und der zehnten Schwangerschaftswoche haben etwa 15 bis 20 Prozent aller Schwangeren eine Fehlgeburt, aber kaum eine spricht darüber. Isabelle Berchtold hatte drei davon. Beim ersten Abort hat sie ihr Kind in der elften, beim zweiten in der neunten und beim letzten in der sechsten Schwangerschaftswoche verloren. Sie erzählt von Versagensängsten, Schuldgefühlen, Trauer und dem Gefühl, nichts mehr kontrollieren zu können.
Wir vergessen die Zeit und reden lange. Auch ich kämpfe zwischendurch mit den Tränen, nicht weil mich das gleiche Schicksal ereilte, sondern weil ich den Schmerz der Frau erahnen kann. Aber in erster Linie bewundere ich ihren Mut und ihre Offenheit. Noch heute stehen wir in Kontakt. Inzwischen sind Isabelle Berchtold und ihr Mann wieder Eltern geworden.
Melanie Biaggi (meb), m.biaggi@walliserbote.ch
Felicitas Hoppe: Die Leukerin aus Deutschland und ihre 1.-August-Rede
Zu den Höhepunkten einer 1.-August-Feier gehört die Rede aufs Vaterland selten. Manchmal aber schon. Wie heuer in Leuk-Stadt.
Dass es mucksmäuschenstill ist während einer solchen Ansprache, dass die Leute nicht bloss einigermassen ruhig sind, sondern sogar aufmerksam zuhören – ich geriet so ziemlich ins Staunen während der Rede, welche die deutsche Schriftstellerin Felicitas Hoppe zwischen Rathaus und Schloss Leuk hielt. Diese Aufmerksamkeit im Publikum – sie lag zum einen an der Persönlichkeit der Rednerin, hatte zum andern viel mit dem am Hut, was die Schriftstellerin da sagte: Eine Liebeserklärung an Leuk und ans Wallis gab es da zu hören.
Nicht plumpe Liebesbeschwörungen, nicht anbiedernde Worte kamen da von der Bühne. Sondern «Blicke von aussen», gekleidet in Worten, die aus ihrem Innersten kamen.
Vor 15 Jahren erhielt Felicitas Hoppe den «Spycher: Literaturpreis Leuk». Seitdem ist sie regelmässig in Leuk-Stadt anzutreffen. Selbst nach Ablauf des Gastrechts, das ihr diese Auszeichnung gewährte. Hat sie sich doch die Einsiedelei der Ringackerkapelle mieten können, ist im Laufe der Jahre «eine eingesiedelte Ausländerin, die eines der schönsten Walliser Denkmäler von innen bewohnt», geworden.
Dass sich diese Schriftstellerin in Leuk-Stadt zu Hause fühlt – unübersehbar war dies vor und nach ihrer Rede. Wie eigentlich immer, wenn Felicitas Hoppe hier weilt. Es seien «nicht die Berge und auch nicht die Landschaft, es sind die Menschen, die bis heute dafür sorgen, dass ich Jahr für Jahr nach Leuk auf den Ringacker zurückkehren möchte, den Paul-André Ambühl seit Jahren verlässlich bewacht», sagte sie. Leuk bereichert Hoppe – umgekehrt ist es genauso.
Lothar Berchtold (blo), l.berchtold@walliserbote.ch
Thomas Schibli: Der 81-Jährige, der carvt und seine Skier nicht an den Nagel hängen will
Wie bereitet man sich als Journalist auf die erste Berichterstattung über die Belalp Hexe vor? Wenn man sie nur vom Hörensagen von den Onkeln kennt. Und wenn man selbst schon lange nicht mehr Ski fährt. «Vielleicht kannst du ein Interview mit dem ältesten Teilnehmer machen», meinte ein Arbeitskollege. Dies im Hinterkopf, ging es am Hexenmorgen ab in den Schnee. Ohne Skier.
Bald einmal wurde mir bewusst, wie gross das Hexengebiet ist, das ich abdecken sollte: Start, Ziel, Partyzone, Pisten, Beizen. Wie soll man da wissen, wo gerade etwas Interessantes läuft? Wo gerade jemand etwas Spannendes zu sagen hat. Schliesslich wollte ich als Nichtkenner auch einen Hauch Hexenstimmung einfangen und zu Wörtern und Sätzen zusammenbrauen. In der Partyzone war die Party noch nicht im Gang und die Kälte setzte meinem Handy-Akku bereits zu. Auf dem Speicher noch kein einziges Interview. Zum Glück hatte ich das Ladegerät dabei. Besser wieder hinunter «seilbahnen» und im Ziel ein paar von den Schnellen knipsen. Die ersten gemütlichen Hexen in ihren Kostümen brauchen eh noch eine Weile.
Leider konnte mir die Frau im Speaker-Zelt auf der Suche nach dem ältesten Rennfahrer nicht weiterhelfen. Dann vielleicht doch besser zuerst Sandwich und Kaffee. Dort hat sich dann auch die alte Weisheit bestätigt, dass man in Beizen oft an die gewünschten Informationen kommt. Ein Mann an der Bar hat stets den Bildschirm im Blick. Plötzlich verkündet er: «Der Mann ist 81 Jahre alt», und filmt mit dem Handy, wann immer Thomas Schibli auf dem Bildschirm auftaucht. Das war mein Stichwort und so machte ich mich auf Richtung Zielraum. Dort wartete ich auf den Berner Schibli.
Einen warmen Kaffee und viele Glückwünsche später stand er für ein Interview bereit. Ein ehrgeiziger Mann: Er nehme nächstes Mal nicht mehr die Carving-Skier, die seien in der Waldpassage nicht ideal. Ausserdem sei er mit einem verbogenen Skistock gefahren: Weil er am Vorabend im Pulverschnee gelandet ist.
Marcel Theler (tma), m.theler@walliserbote.ch
Cem Kirmizitoprak: Der laute Rollstuhlfahrer
An einem Lager teilzunehmen, ist für die meisten Menschen keine allzu grosse Sache. Nicht so für Cem Kirmizitoprak. Der türkischstämmige St. Galler ist an einen Rollstuhl gebunden. Was eine Lagerwoche zwar nicht per se ausschliesst, sie aber dennoch erschwert. Im Fall von Kirmizitoprak wurde sie gar verunmöglicht. Dies, da ihn die Spitex frühmorgens nicht pflegen konnte oder wollte – je nach Sichtweise der Parteien.
Nun, über Kirmizitopraks Reklamationen kann man geteilter Ansicht sein. Was jedoch unbestritten ist: Der junge Mann ist ein Kämpfer. Seinen Feldzug für die Rechte von Menschen mit Behinderung nimmt er persönlich. Als er sich Mitte Mai bei der Redaktion meldete, um über seinen Ärger zu berichten, fragte ich ihn, wann er denn Zeit für ein Telefongespräch habe? Nichts da. Einen Tag später traf Kirmizitoprak mit dem Zug in Visp ein. Das sind dreieinhalb Stunden Hin-, und dreieinhalb Stunden Rückreise, sowie – das Umsteigen mit eingerechnet – vier Mal, bei denen er sich von der SBB Hilfe fürs Einsteigen organisieren musste. All dies, um mit einem Journalisten eine Tasse Kaffee zu trinken und zu schauen, was dieser wohl aus seiner Geschichte machen würde.
Für den Rollstuhlfahrer war dies allerdings selbstverständlich. In St. Gallen leitet er eine Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung; bei den dortigen Stadtbehörden hat er so lange insistiert, bis diese die Randsteine abgeflacht haben, damit auch Menschen im Rollstuhl barrierefrei unterwegs sein können. Dabei dürfte sein Hintergrund als ausländischer, bei den JUSO aktiver Rollstuhlfahrer nicht überall auf Gegenliebe stossen. Beirren lässt sich Kirmizitoprak davon aber nicht. Stattdessen glänzte er mit feinem Humor und einer ordentlichen Prise Optimismus. Definitiv jemand, von dem sich manch einer eine Scheibe abschneiden könnte.
Fabio Pacozzi (pac), f.pacozzi@walliserbote.ch
Pater Julius Tanner: 40 Jahre nach dem Brand im Gliser Kapuzinerkloster
40 Jahre ist es her, seit das Kapuzinerkloster in Glis in Flammen aufging und Pater Martinian Zeller beim Versuch, Alarm zu schlagen, sein Leben liess. Und 40 Jahre hat Pater Julius Tanner, der damals mit dem Schrecken davonkam, Briefe von Briger Primarschülern mit sich herumgetragen; ohne zu wissen, dass er die überhaupt noch hat. Ein Lehrer liess sie nach dem Brand von Viertklässlern schreiben. Erst beim Zügeln nach Olten, nachdem das Kloster in Glis geschlossen wurde, hat Tanner sie wiedergefunden. Er ist gerührt, dass sich die Kinder nach ihm erkundigt haben und ist beeindruckt von der spontanen Schreibe der Viertklässler. So brachte etwa Michèle zu Papier: «Bald kommt die Feuerwehr, Wir laufen zur Kapelle. Bald schon können wir Kinder helfen. Ich frage mich die ganze Zeit: ‹Wo ist Pater Julius?› Jemand meint, er habe das Gesicht aufgerissen. Mir ist kalt ums Herz.»
Als 1980er-Kind habe ich den Klosterbrand zwar nicht miterlebt. Doch kann ich sehr gut nachvollziehen, was ihm die Primaschüler geschrieben haben. Schliesslich durfte auch ich bei Pater Julius in den Religionsunterricht. Und am Sonntag bei den Kapuzinern zum Gottesdienst. Dort war die Messe immer am schnellsten vorbei. Und bei Pater Julius gabs stets Sechsen; selbst dann, wenn man den Spick offen auf dem Pult hatte. Heute würde man Pater Julius – die Güte in Person – wohl einen Gutmenschen schimpfen. Dabei ist er einfach nur ein netter Kerl, der es gut mit seinen Mitmenschen meint. Warum nett sein heutzutage verpönt ist, weiss ich auch nicht. Kitschig, werden jetzt sicher einige denken. Mag sein, dass man sich zur Weihnachtszeit etwas zur Gefühlsduselei hinreissen lässt. Doch finde ich, dass nette Menschen wie Pater Julius der Gesellschaft guttun – auch nach den Festtagen.
Martin Kalbermatten (mk), m.kalbermatten@walliserbote.ch
Regula Treyer: Nach schwerem Schicksalsschlag zurück im Leben
Die Leistungen von Sportlerinnen und Sportlern sind einfach messbar. Wer am schnellsten eine Piste hinunterdonnert, am meisten Gewicht stemmt oder am weitesten springt, wird geehrt und mit Medaillen behängt. Leistungen von verunfallten oder erkrankten Menschen, die sich zurück ins Leben kämpfen, finden hingegen in der Öffentlichkeit kaum Beachtung. Obwohl sie manchmal schier übermenschliche Kräfte an den Tag legen.
Regula Treyer hat mich in diesem Jahr tief beeindruckt. In ihrem Leben gab es ein einschneidendes Erlebnis. Die aktive, sportliche Frau erkrankte nach einem Zeckenbiss an der tückischen Krankheit FSME, Frühsommer-Meningoenzephalitis. Ihr Stammhirn, das Rückenmark und die peripheren Nerven auf der rechten Seite waren betroffen und hochgradig entzündet. Sie befand sich in einem absolut hilflosen Zustand, konnte weder ihren Kopf heben, noch spürte sie ihre rechte Seite. FSME kann nicht behandelt werden. Die Prognosen waren dementsprechend wenig ermutigend. «Vielleicht bleiben diese Lähmungen bestehen. Wir wissen nicht, was wir Ihnen prognostizieren können», sagte der behandelnde Arzt zu ihr. Sie haderte mit dem Herrgott und warf ihm vor, ihr alles genommen zu haben. Aber irgendwann entschied sie sich, zu kämpfen. Jeder noch so kleine Erfolg motivierte Regula Treyer, weiterzumachen und an sich zu glauben. «Ich habe Demut und Geduld gelernt. Ich musste mir eingestehen, dass man zwar vieles erkämpfen kann, aber eben doch nicht alles», spricht sie über ihre Erkenntnisse. Mit eisernem Willen hat sie den Weg zurück geschafft. Im Sommer 2019 stand sie wieder auf einem ihrer geliebten Berge. Sie ist für mich stellvertretend für alle Erkrankten oder Verunfallten, die nicht aufgeben und ihr Schicksal in die Hand nehmen, meine persönliche Heldin des Jahres.
Nathalie Benelli (ben), n.benelli@walliserbote.ch
Otto Burgener, Schuhmachermeister und musikalischer Tausendsassa
Otto Burgener blickt auf ein bewegtes Leben zurück. «Die Musik ist gut für meinen Geist», sagt der pensionierte Schuhmacher, dessen massgefertigte Bergschuhe einst Weltruf genossen. Deshalb greift er noch heute täglich zum Akkordeon – ein Instrument, das ihn seit seiner Kindheit fasziniert.
Im vergangenen Februar wurde Otto Burgener 90-jährig. Den runden Geburtstag hat der Zermatter ausgiebig gefeiert – mit Familienangehörigen und vielen Musikerkollegen, die zum Teil aus der Deutschschweiz angereist waren. Auch die Gemeindepräsidentin war eingeladen und Adolf Ogi schickte Glückwünsche. «Wir haben
ein flottes Fest gefeiert», sagt Burgener.
Der rüstige Rentner hat in seiner beruflichen Laufbahn die Entwicklung des alpinen Schuhwerks hautnah miterlebt – und mitansehen müssen, wie die industrielle Massenproduktion die gesamte Branche umpflügte. Teile seiner einstigen Schuhmacherwerkstatt sind heute im Matterhorn Museum zu bestaunen. Otto Burgeners grosse Leidenschaft ist und bleibt die Musik. Neben dem Akkordeonspiel, das ihm der virtuose Berufsmusiker Bobby Zaugg beibrachte, galt sein vielseitiges musikalisches Engagement auch der Blasmusik. Von 1959 bis 1986 dirigierte er die Musikgesellschaft «Matterhorn», die ihn für seine Verdienste um die Blasmusik in Zermatt zum Ehrendirigenten ernannte. Und als Glockenspieler – mit Sohn Alex und Tochter Silvia – feierte Otto Burgener sogar in Japan grosse Erfolge. Noch heute lassen die Burgeners in Zermatt die Glocken klingen: an den Messfeiern zu Weihnachten und an Neujahr, aber auch in privater Runde – etwa für die frühere britische Premierministerin Theresa May und ihre Leibwächter anlässlich ihres Urlaubs in Zermatt.
Franz Mayr (fm), f.mayr@walliserbote.ch
Mathias Reynard: Mit Anstand und Gelassenheit fast zur Sensation
Am 3. November hat das ganze Wallis auf die Resultate der Ständeratswahlen gewartet. Und die ganze Schweiz wusste danach, was die CVP-Kandidatin Marianne Maret an diesem Morgen gemacht hat: ihre Wohnung geputzt. Gleichzeitig hat fast die Hälfte der Walliser auf Mathias Reynard gehofft. Vor allem die Wähler im Welschwallis wollten endlich mal jemand anderen im Ständerat, nicht immer nur die CVP. Aber wie hat eigentlich Reynard selbst den Morgen des 3. November verbracht?
Das Abschneiden des SP Mannes war eine Überraschung. Auch der Sek-Lehrer aus Savièse brauchte nach dem ersten Wahlgang ein paar Minuten, um zu realisieren, dass da plötzlich was in der Luft und auf den Lippen liegt, ein Walliser Wind des Wandels. Für Reynard folgten zwei kurze Wochen auf einer Wolke. Und erst die Oberwalliser sowie die vielen polit-abstinenten Dazugezogenen unterhalb des Rhoneknies brachten den Überflieger wieder auf den Boden zurück. Reynard verpasste ganz knapp die Sensation.
Die wahre Grösse eines Politikers zeigt sich in seiner Niederlage. Reynard schmollte ganz kurz, wischte sich seinen Mund ab und machte mit dem weiter, was er am besten kann: sich selbst sein. Seine persönliche Bilanz dieses Wahlherbsts: Als Linker wurde Reynard der bestgewählte Nationalrat in diesem bürgerlich dominierten Kanton. Und das mit Anstand und einer wohltuenden Gelassenheit. Die Walliser CVP-Bastion im Ständerat zitterte nicht wegen harter Angriffe und Sprüche unter der Gürtellinie, sondern wegen eines Lächelns auf dem Gesicht eines 32-Jährigen. Am Morgen des 3. November ging Reynard mit seinem Vater spazieren, danach öffneten sie eine Flasche Wein.
David Biner (dab), d.biner@walliserbote.ch
Daniel Bregy: Ein Vater der Eishalle Raron
Lange haben die Mitglieder des EHC Raron ihren Traum von der eigenen Eishalle gehegt. Fast ebenso lange blieb es beim sehnsüchtigen Traum. Gleich mehrere erfolglose Anläufe mussten verkraftet werden, die bestehende Anlage im Kuntschen zu überdachen. Dann endlich tat sich die Chance auf, eine nigelnagelneue Halle an anderer Stelle zu bauen. Das Problem dabei: Wie lässt sich das Ding bloss berappen? Raron ist schliesslich nicht Brig-Glis oder Visp, wo sich eine Eishalle einfach so aus dem ordentlichen Cashflow der Gemeinde realisieren lässt.
Da trat Generalunternehmer Daniel Bregy auf den Plan. Nächtelang hat er mit seinem Partner Pascal Bregy das Projekt durchgerechnet. Über 50 verschiedene Positionen mussten erfasst und optimiert werden. Die Aufgabe war beileibe keine einfache: Schliesslich sollte nichts anderes als eine voll funktionsfähige Halle entstehen, die darüber hinaus noch schön aussieht und… erst noch so günstig wie möglich sein muss, damit sie finanziell tragbar ist. Herausgekommen ist eine wunderschöne Eishalle, die dem Eishockey-Sport im Talgrund einen weiteren Schub bescheren wird.
Natürlich hat die Eishalle viele Väter. Von der Vereinsleitung über die Mitglieder der Betriebs AG bis hin zum einfachen Vereinsmitglied haben sich alle mächtig ins Zeug gelegt und ihren Beitrag zum guten Gelingen geleistet. Ohne Generalunternehmer Daniel Bregy wäre es aber wahrscheinlich nicht gelungen. Denn er trug das unternehmerische Risiko, dass das vorgesehene Kostendach eingehalten werden kann. Davor ziehe ich den Hut!
Werner Koder (wek), w.koder@walliserbote.ch
Theresa Mary May: Die erfolglose Brexit-Bewerkstellerin empfängt zum Interview
Wenige Wochen nach ihrem ungewollten Rücktritt als Premierministerin des Vereinigten Königreichs am 23. Juli erholt sich Theresa May für zwei Wochen in Zermatt. Wie viele Jahre zuvor verbringt die englische Spitzenpolitikerin diese Zeit mit ihrem Mann Philip abgeschirmt von der Öffentlichkeit standesgemäss im Fünfsternehotel Zermatterhof. Das ist freilich auch für einen Journalisten einer Lokalzeitung interessant. Auch wenn man weiss, dass diese Politikerin sicherlich nicht nach Zermatt gereist ist, um sich in den Ferien den Fragen des «Walliser Boten» zu stellen, hinterlegen wir über einen diskreten Mittelsmann eine Anfrage. Erfolglos, wie es scheint. Doch dann kehrt sich völlig überraschend das Blatt. Zwei Tage vor ihrer Abreise erhalten wir morgens um sieben Uhr eine SMS, dass uns May gleichentags um vier Uhr im «Zermatterhof» empfängt.
Um 16.00 Uhr ist es dann so weit. Begleitet von ihrem Mann Philip und Sicherheitsleuten betritt die May, die Pfarrerstochter, den fürs Interview vorgesehenen Raum. Nach freundlicher Begrüssung und kurzem Small Talk wird Tea serviert. Dann stellt sich May meinen Fragen. Jene Frau also, die wie kaum ein anderer Politiker in Europa in den Jahren vor ihrem Rücktritt im medialen Rampenlicht stand. Sie musste das umsetzen, was ihr Vorgänger Cameron angezettelt hatte: den Austritt Grossbritanniens aus der EU. Den grössten Teil ihrer Regierungszeit verbrachte sie wegen dieser unlösbaren Aufgabe im Flugzeug zwischen London und Brüssel. Zwischen dem charmanten, aber kompromisslosen EU-Chef Jean-Claude Juncker und der chaotischen Polit-Hyäne Boris Johnson, der sie aus dem Amt verjagen will. Dieses Powerplay steckt kein Politiker auf Dauer weg.
Ruhig geht die Politikerin auf meine Fragen ein. Ist stolz, dass sie es geschafft hat, dass Grossbritannien in ihrer Amtszeit als erstes europäisches Land Massnahmen gegen den Klimawandel beschlossen hat. Schwärmt von Zermatt als ihrem Lieblingsort in den Schweizer Alpen. Sagt, dass eine Besteigung des Matterhorns für sie nie infrage kam. Und bittet ihren Gatten Philip nach Ende des Interviews, vom Journalisten und ihr ein Foto zu schiessen. Zweifellos eine bewegende Begegnung.
Norbert Zengaffinen (zen), n.zengaffinen@walliserbote.ch
Albert Abgottspon: Berufsjubiläum
Im «Walliser Boten» sind immer wieder spannende Porträts zu lesen. Kann man hinter die Kulissen blicken und miterleben, wie eine solche Geschichte entsteht, so ist dies sehr interessant und bleibt deshalb besonders in Erinnerung. So wie die Geschichte von Albert Abgottspon aus Stalden. Er stand Anfang Oktober bei uns am Empfang und wollte seine Geschichte erzählen. Er dürfe auf eine 75-jährige Berufserfahrung zurückblicken, meinte er bei unserem ersten Gespräch, und er würde gerne darüber erzählen.
Mit Kugelschreiber und Block bewaffnet, setzten wir uns aufs Sofa. Er erzählte von seiner Lehre als Schuhmacher und auch von seiner kleinen Werkstatt in Stalden, in der er noch heute anzutreffen ist. Bald wechselten wir das Thema und er erzählte von seiner Familie und auch von seiner Zeit als Materialkontrolleur in den Walliser Zeughäusern – davon konnte er einige lustige Anekdoten erzählen. Dass Abgottspon bereits 92-jährig ist, hätte man dem netten, rüstigen Renter nie gegeben. Unsere Journalistin Perrine Andereggen traf sich danach mit Albert Abgottspon für eine Geschichte der Rubrik Spätlese. Sie besuchte ihn in seiner Werkstatt in Stalden, in der auch das Foto entstanden ist. Sie hatte ihn mit Bild und Text so beschrieben, wie ich ihn in Erinnerung hatte: unermüdlich, beharrlich, aktiv – und hoffentlich auch noch lange Zeit gesund.
Rosmarie Wyssen (rwy), r.wyssen@walliserbote.ch
Marianne Maret: 140 Tage mit einer Ständeratskandidatin
Die eidgenössischen Wahlen sind ein Theaterstück, das alle vier Jahre aufgeführt wird. Haupt- und Nebendarsteller putzen sich fein heraus, sind in allen Ecken des Kantons anzutreffen, schütteln Hände und buhlen um die Wählergunst für den Sitz unter der Bundeshauskuppel. Es war ein Jahr der Superlative: Noch nie haben sich schweizweit so viele Kandidierende für die 200 Sitze im National- und 46 Sitze im Ständerat zur Verfügung gestellt. Und mittendrin: Marianne Maret. Die 61-Jährige sprang für den untragbar gewordenen Yannick Buttet in die Bresche, trug nicht nur ihre Kandidatur auf den Schultern, sondern auch die Verantwortung für den Erhalt des zweiten CVP-Sitzes im Ständerat.
Wir wollten wissen, wie sie mit diesem Druck umgeht und vor allem: Wer ist sie, wenn Mikrofone und Kameras ausgeschaltet und die Scheinwerfer nicht auf sie gerichtet sind? Abseits vom Wahlkampfrummel und der Öffentlichkeit? Die Antwort ist, zugegeben, ein wenig banal. Aber umso erfrischender, wenn man nur das Bild einer toughen Politikerin hatte, die lieber in Dossiers kniet als rhetorisch Klingen kreuzt, der letztlich weder die grüne Welle noch der Frauenstreik zur Wahl verholfen haben. In den vier Monaten, in denen wir sie begleitet haben, war Marianne Maret engagiert, unsicher, glücklich, nervös, stark, bedrückt, stolz und müde. Kurz: Marianne Maret ist ein Mensch, authentisch auch abseits der grossen Bühnen.
Adrien Woeffray (awo), a.woeffray@walliserbote.ch
Aaron Heinzmann: Wie sich ein junger Mann die Zukunft wünscht
Wie trist wäre eine Schweiz, in der junge Menschen keine eigenen Wünsche und Vorstellungen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung ihres Landes hätten? Im Fall von Aaron Heinzmann eine völlig abwegige Frage. Als Nationalratskandidat der Grünen skizzierte er im Rahmen einer WB-Serie ein klares Bild seines Traumwallis 2050. Seine Zukunftsvision geht dabei weit über Reaktionismus hinaus. Digitalisierung und Bildung werden darin nicht bloss als Chancen gesehen, um im Ringen um Ressourcen und Wohlstand mindestens den Status quo halten zu können. Heinzmanns Zukunft impliziert eine logische Prämisse. Ist die gesamte Wirtschaft auf Wachstum und Gewinnmaximierung ausgelegt, wird auch das menschliche Denken von diesen Parametern durchdrungen. Mögliche Folgen davon: Auch Beziehungen werden nach Pros und Kontras abgewogen und unterliegen ständigen Vergleichen.
So gilt es aus Heinzmanns Sicht vielmehr zu hinterfragen, was eine wachsende Digitalisierung für Auswirkungen auf das Zusammenleben hat? Oder auf die Berufswelt und alle anderen Bereiche? Anschliessend muss ein Konsens darüber gefunden werden, welche Entwicklung wünschenswert ist. Für ihn ist klar, dass in dieser Gleichung die Frage «Was ein glückliches Leben überhaupt ausmacht» ins Zentrum rückt. Von dieser Position aus wird der gesellschaftliche Rahmen gesponnen, der zu einem völlig neuen Gemeinschaftssinn führt. So seine Hoffnung. Darin sieht er auch eine zentrale Lösung für die stetig steigenden Gesundheits- und Pflegekosten. Diesen kann Einhalt geboten werden, indem die Menschen in modernen Mehrgenerationenhäusern die Solidarität hochleben lassen. Es wird wieder in grösseren Zusammenhängen gedacht. Fernab vom Spezialisierungswahn, der sich heutzutage immer öfters in Kleinkrämertum und Gartenhag-Denken ausdrückt.
Eine florierende Wirtschaft ist in seiner Zukunft nicht ausgeschlossen. Nicht aber auf Kosten der anderen. Man muss Heinzmanns Vision nicht teilen. Aber die Fragen, die er sich stellt, sollte jeder einmal für sich beantworten – oder zumindest den Versuch wagen. Auch wenn die Momentaufnahmen den trügerischen Eindruck einer unveränderlichen, konstanten Welt vermitteln. Die Gesellschaft und die Wirtschaft unterstehen einem permanenten Wandel. Der nicht aufhört, wenn man die Augen verschliesst. Wer sie aber offenhält, kann den Weg mitgestalten.
Martin Schmidt (mas), m.schmidt@walliserbote.ch
Vitus Ugonna Nwosu, Pfarrer von Ernen, Binn und Lax und Torjäger
Er ist 37-jährig, stammt aus Nigeria, lebt und arbeitet seit 2018 aber im Goms: Vitus Ugonna Nwosu, Pfarrer von Ernen, Binn und Lax. Hier oben nennen sie ihn schlicht Vitus. Denn er will es so. «Das ist viel einfacher», erklärte er mir. Ich traf ihn im Juli in Ernen. Wir sprachen über Gott und die Welt. Aber vor allem über sein Hobby, seine Leidenschaft. Es ist der Fussball. Er kickt beim FC Ernen, ist für die Tore zuständig. «Ich bin eher der offensive Spieler.» Das runde Leder ist für den jungen Nigerianer aber nicht nur ein Spiel. Für ihn bedeutet es auch Integration. Denn er will unter die Leute, will seinen Arbeitsort auch als ein echtes Zuhause wahrnehmen. Im Winter wagt er sich deshalb gar auf den Binner Skilift «Wilern.» Er ist überzeugt: «Ein Pfarrer gehört nicht nur in die Kirche.» Ich spürte schnell: Es sind keine leere Worthülsen, die er da von sich gab. Seine Absichten sind echt, kommen von Herzen. Wer mit Vitus spricht, der lernt einen offenen, sympathischen und humorvollen jungen Mann kennen. Anfängliche Berührungsängste mit dem «speziellen» Mitspieler haben sich innerhalb der Mannschaft denn auch schnell gelegt. «Vitus ist für uns ein Spieler wie jeder andere auch», sagte etwa Mitspieler Lukas Clausen. «Und auch seine Gegenspieler nehmen ihn als solchen wahr.» Will heissen: Mit Samthandschuhen wird der Pfarrer in der Gommer Fussballmeisterschaft nicht angefasst. Und das ist auch gut so. Mit dem klaren Resultat von 9 zu 3 gewannen die Erner an diesem Sommerabend gegen den Gast aus Betten. Ein Tor wollte Vitus bei meinem Besuch zwar nicht gelingen. Aber für ihn gelten andere Werte. «Das Wichtigste ist, dass wir wie ein Team spielen.» Mit seiner authentischen Art scheint Pfarrer Vitus gut anzukommen. So rief mir ein älterer Herr nach Spielschluss zu: «Vitus ist super … in der Kirche und auf dem Spielfeld.» Es war ein lockerer Spruch, der jedoch viel aussagte. Pfarrer Vitus imponierte mit seiner positiven Lebenseinstellung auch mir. Ich wünsche ihm nur das Beste. Und natürlich noch viele Tore.
Matthias Summermatter (msu), m.summermatter@walliserbote.ch
Peter Bürcher: Ein Walliser Bischof soll das Bistum Chur zur Ruhe bringen
An einem schönen Oktobertag führte mich mein Weg über Furka und Oberalp nach Chur. Das tönt wie Ferien. Waren es aber nicht. In der Bündner Hauptstadt stand ein Termin an bei Bischof Peter Bürcher.
Papst Franziskus hatte den gebürtigen Fiescher im Mai angerufen und gebeten, als Apostolischer Administrator die Leitung des Bistums Chur zu übernehmen. Wenigstens ad interim. Es galt, den umstrittenen Vitus Huonder abzulösen. Die gegenüber der Bistumsleitung teilweise aufmüpfig gewordenen Gläubigen sollten zur Ruhe gebracht werden. Bürcher macht seine Sache offensichtlich gut. Er ist immer noch in Amt und Würden, was nicht ganz seinem Herzenswunsch entspricht.
Der Papst fand den emeritierten Bischof im Heiligen Land. In die Milde des dortigen Klimas hatte er sich zurückgezogen, nach der vorzeitigen Verabschiedung im November 2015 vom Bischofssitz in Island aus gesundheitlichen Gründen. «Wird man vom Papst um einen Dienst gebeten, sagt man nicht Nein», steht für Bürcher in seinem Palais mit Blick auf die älteste Stadt der Schweiz ausser Frage. Die Realität zur Aussenwelt verpasst ihm dabei jeweils täglich die Sicht aus
der Hauskapelle in den Gefängnishof.
Bischof Bürcher ist ein interessierter, aufmerksamer Gesprächspartner. Nix kommt wie von der Kanzel herab. Er gibt bereitwillig Auskunft auf alle Fragen, wenn auch zurückhaltend und sehr diplomatisch.
WB-Leser sagten nach der Publikation des Interviews, Bürcher habe «die heissen Eisen» elegant umschifft. Bei heiklen Fragen, wo letztlich nur der Glaube weiterhilft, berief er sich auf Jesus Christus und die Allmacht Gottes. Andere freuten Bürchers Demut und Frömmigkeit.
Der 74-jährige Würdenträger ist weit gereist und weltgewandt. Dazu gehört, dass er neben Deutsch, Französisch und Italienisch auch Englisch, Arabisch und Hebräisch spricht. Er zeigt sich gut informiert, auch übers Wallis, das er mit seiner Familie als Siebenjähriger Richtung Nyon verliess. Seine Wurzeln zu Fiesch pflegt er gezielt.
Nach dem Gespräch einigten wir uns darauf, in der Churer Altstadt «eis gaa z ziäh». Mit einem Bischof in die Beiz – das hatte ich noch nie erlebt. Bürcher im vollen Ornat, also mit Soutane, violettem Zucchetto, auch Soli Deo genannt (weil die runde Mütze nur vor Gott abgelegt wird), Zingulum (Bauchbinde) und goldenem Brustkreuz, unternahm den Spaziergang dorthin selbstverständlicher als ich.
Im Restaurant bestellte er für sich «eine warme Ovomaltine». Ich wagte zu widersprechen. Er solle sich doch, bitte schön, für ein Glas Rotwein entscheiden. Und mit mir zusammen ein Bündner Plättli teilen, was ich angesichts des einmaligen Treffens für angebrachter hielt. Es brauchte keine grosse Überredungskunst. Der gewissenhafte Gottesmann zeigte sich gegenüber meinem Vorschlag nicht abgeneigt. Er sollte wählen – und gab einem feurigen spanischen Rioja kurz entschlossen den Vorzug gegenüber einem Blauburgunder aus der umliegenden Bündner Herrschaft.
Walliser hatte es keinen auf der Karte.
Thomas Rieder (tr), t.rieder@walliserbote.ch
Markus Hasler: Zermatter Bergbahnen-CEO streicht Burgerprivilegien – fast ohne Protest
Fast 18 Millionen Franken flossen im Sommer 2018 in die Kassen der Zermatt Bergbahnen. Im ganzen Geschäftsjahr waren es 76 Millionen Franken. Künftig soll der Sommer dank der 3S-Bahn noch besser werden. Ein Drittel des Umsatzes will man von Mai bis Oktober verdienen, also 25 bis 30 Millionen Franken. Der Erfolg hat drei Namen: Hans-Peter Julen, ehemaliger VR-Präsident, Franz Julen, amtierender VRP, und CEO Markus Hasler.
Und bald kommt auch der «Alpine Crossing». Der Bau für die zweite 3S-Bahn von Testa Grigia zum Klein Matterhorn hat im Februar 2019 begonnen. 35 Millionen Franken wird sie kosten, spätestens Anfang 2022 soll sie in Betrieb gehen. Das Angebot richtet sich an Gäste mit hoher Kaufkraft. Eine einfache Fahrt von Cervinia nach Zermatt wird sicher mehr als 150 Franken kosten. Dafür verscherbeln andere Destinationen schon fast ihr Saisonabo! Die Zermatt Bergbahnen bleiben ihrer Tarifstrategie auch in Zeiten von Dumpingpreisen treu. Qualität statt Quantität.
Dazu gehört, dass auswärts wohnende Zermatter Burger künftig – wie etwa langjährige Zweitwohnungsbesitzer auch – den vollen Abo-Preis bezahlen müssen. Das Saisonabo gabs für Zermatter Burger, die nicht mehr in Zermatt wohnen, bisher für 800 statt für 1600 Franken. Angestossen und beschlossen haben dies Verwaltungsratspräsident Franz Julen und der Verwaltungsrat, der zur Mehrheit aus Zermattern Burgern besteht. Umsetzen musste es CEO Markus Hasler, der Bündner. Die Rabattstreichung sorgt hinter den Kulissen für ein ziemliches Rumoren. Öffentlich begehrt kein Zermatter Exil-Burger auf – und aufs Skifahren in Zermatt verzichten wohl auch nicht…
Herold Bieler (hbi), h.bieler@walliserbote.ch
John Bercow: Der Mann, der den Premier zur Ordnung rief
Im Rückblick scheint die Jahresbilanz auf der Weltbühne der Politik einem immensen Theater zu gleichen. Die immer gleichen Protagonisten versuchen ein Chaos zu entwirren, das sie eigenhändig und mit viel Lust am Krawall selbst verursacht haben. Der Klimawandel, Flüchtlingsströme, Kriege, Handelsstreitigkeiten und ja, natürlich der Brexit ohne Ende dominierten die Schlagzeilen 2019.
Und inmitten der lärmenden Abgeordneten im britischen Unterhaus, in dem sich Regierung und Opposition einen Schlagabtausch im besten Sinne eines Diskussionsforums der Sonderklasse liefern, sticht ein Mann mit schwarzer Robe und bunter Krawatte heraus. Ausgerechnet in diesem Club der Selbstdarsteller, wo die Buhs und das Raunen, die Zwischenrufe zu einer gewaltigen Geräuschkulisse anschwellen, versucht John Bercow, der Speaker des Unterhauses, so etwas wie die Ordnung aufrechtzuerhalten oder wieder herzustellen. Dabei ist er dem Theatralischen nicht nur zugetan, es ist quasi sein Markenzeichen geworden. Manche bezeichnen ihn gar als arrogant und rechthaberisch. Klar, sein Selbstvertrauen überragt selbst Big Ben, dazu ist er mit einem selbst für britische Verhältnisse Übermass an Witz, Schlagfertigkeit und rhetorischer Brillanz ausgestattet.
Die Commons-Speaker verwenden den Ruf «Order», wenn sie den Geräuschpegel wieder in erträglichere Phonstärken lenken wollen, so wie es ihre Aufgabe über die Jahrhunderte langer britischer Parlamentstradition verlangt. Aber John Bercow wäre nicht John Bercow, wenn er nur ein lautes «Order» gerufen hätte. Er hat den Ordnungsruf gewissermassen zelebriert. Er brüllte das «Order» mit kehliger Stimme, auf die zweite Silbe betont und lang gestreckt: «Order, Orderrrr...» Aber man würde John Bercow unrecht tun, ihn allein auf seine eitlen Auftritte zu reduzieren. Er modernisierte durchaus die Gepflogenheiten des Unterhauses. So gestand er den Hinterbänklern mehr Ruhezeit als je zu. Aber er verhinderte auch Gesetzesänderungen, die einen ungeordneten Austritt aus der EU ermöglicht hätten. Er erwies sich als Experte des britischen Rechtssystems, indem er einen Einwand gar auf eine parlamentarische Entscheidung aus dem Jahre 1604 abstützen konnte. Peinlich genau wachte er darauf, dass die Regierung die Forderungen des Unterhauses nach Transparenz und Klarheit nicht mit Füssen trat. So liess Boris Johnson im September sogar das Parlament zusperren, um seinen harten Brexit durchzuboxen. John Bercow hielt das für einen verfassungsrechtlichen Skandal. Der Höchste Gerichtshof erklärte die Suspendierung des Parlaments einstimmig für ungesetzlich. Ein gedemütigter Premierminister musste die Abgeordneten wieder zurückholen. «Sei ein guter Junge!», sagte Bercow dann Premierminister Boris Johnson bei einem gnadenlosen rhetorischen Schlagabtausch. Johnson musste sich dem Ordnungsruf des Speakers beugen.
John Bercow trat nach zehn Jahren vom Amt des Speakers zurück. Er war mehr als ein Farbtupfer in der Politik. Er holte den manchmal abgehobenen Politbetrieb wieder zurück auf den Boden. Irgendwie wird John Bercow nicht nur wegen dem theatralischen «Orderrrr» fehlen.
Stefan Eggel (seg), s.eggel@walliserbote.ch
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