Tierwelt
Walliser Bartgeierpopulation wächst weiter
Im letzten Jahr sind in den Walliser Bergen zwei Bartgeier aus Wildbruten ausgeflogen. Beim Bartgeiernetzwerk Westschweiz rechnet man im kommenden Frühling erneut mit zwei oder mehr Jungvögeln. Zumindest bei zwei Bartgeierpaaren herrscht derzeit Brutstimmung.
Die Stiftung Pro Bartgeier konnte im vergangenen Jahr mit acht wildgeschlüpften Bartgeiern in der Schweiz einen Rekord für das Wiederansiedlungsprojekt des im Alpenraum vorübergehend ausgerotteten Greifvogels vermelden. Neben sechs Wildbruten in Graubünden haben auch zwei Bartgeierpaare im Wallis erfolgreich je einen Jungvogel aufgezogen.
Zwei Bruten im Unterwallis
«Im Jahr 2014 kam es in Derborence zu zwei Bruten und es flog je ein Jungvogel aus», präzisiert Michael Schaad von der Stiftung Pro Bartgeier und Regionalkoordinator beim Bartgeiernetzwerk Westschweiz die Situation im Wallis und reicht bei der kleinen und noch jungen Bartgeierpopulation im Unterwallis gleich eine Besonderheit nach: Bei einem dieser «Paare», die im vergangenen Jahr ihren dritten Jungvogel aufzogen, handelt es sich korrekterweise um ein Trio, das sich aus dem Geiermännchen Pablo und den Weibchen Guillaumes und Gildo zusammensetzt. «Die Vögel wurden 1998, 2000 und im Jahr 2003 in der Haute-Savoie oder im Engadin als Jungvögel ausgewildert», weiss Regionalkoordinator Schaad.
Derzeit deutet einiges darauf hin, dass sowohl der besondere Dreier-Verbund als auch das Brutpaar weiter talauswärts, bestehend aus den beiden Vögeln Swaro und Gilbert, wiederum für Bartgeier-Nachwuchs sorgen werden. «Auch in diesem Winter sind die Bartgeier in der Derborence an ihren Horsten aktiv», so Michael Schaad, der auf weitere Jungtiere aus dem Wallis hofft. «Das Verhalten der Vögel weist darauf hin, dass Eier gelegt wurden. Wir sind zuversichtlich, dass es dieses Jahr erneut zum Ausfliegen zweier junger Bartgeier kommt.» Für das routinierte Paar Swaro und Gilbert wäre es die vierte Aufzucht in freier Wildbahn, das Walliser Bartgeier-Trio hat heuer die Chance, sein fünftes Junges aufzuziehen. Die genauen Brutplätze bleiben ungenannt, um mögliche Störungen zu vermeiden.
Vier Bartgeier bei Leukerbad
Neben den fünf Altvögeln, die in der Derborence sesshaft wurden, gilt auch ein Bartgeierpaar bei Leukerbad als etabliert. Dem männlichen Vogel namens Diana Valais, der 1998 im Engadin ausgewildert wurde, und seiner Partnerin, die vermutlich aus einer Wildbrut stammt, ist bisher aber noch keine Brut gelungen. Michael Schaad bleibt jedoch optimistisch: «Es ist nicht ungewöhnlich, dass Bartgeier etliche Anläufe nehmen müssen, bis ein Brutversuch gelingt. Auch in der Derborence hat es erst mehrere Jahre nach dem ersten Versuch geklappt.» Die Rolle zweier weiterer bei Leukerbad anwesender Bartgeier sei bisher noch unklar, sagt Schaad.
Bartgeier brüten im tiefsten Winter. Die Aasfresser, deren Reviere bis zu 500 Quadratkilometer umfassen können, profitieren davon, dass am Ende des Winters sehr viel Fallwild und damit viel Nahrung für die Jungtiere zu finden ist. Die warmen Witterungsverhältnisse zu Beginn der kalten Jahreszeit 2014 sowie der späte Wintereinbruch konnten den prächtigen Tieren indes nichts anhaben. «Kälte macht Bartgeiern nichts aus», erklärt Schaad. «Solange sie genügend Kadaver zum Fressen finden, stellt auch der Schnee kein Problem dar. Dass die Walliser Bartgeier mit dem Brüten begonnen haben, zeigt, dass sie mit der Situation gut klarkommen.»
Künstliche Zufütterung schadet
Seit 1991 werden in den Schweizer Alpen junge Bartgeier ausgewildert. Doch erst im Jahr 2007 ist die erste Wildbrut in der Schweiz gelungen. Seither schlüpfen jährlich zwei bis acht Bartgeier in freier Wildbahn. «Wie im gesamten Alpenraum wächst die Bartgeierpopulation auch in den Walliser Alpen», zieht Schaad ein positives Fazit zu den Wiederansiedlungsbemühungen. «Allerdings ist der Bestand immer noch verletzlich, und der Verlust jedes einzelnen Bartgeiers kann die Population gefährden.»
Die grössten Gefahren würden in unseren Breitengraden sowohl menschliche Störungen am Horst als auch die künstliche Zufütterung darstellen, so Schaad. Die aussergewöhnlichen Geier, die mit einer Flügelspannweite von bis zu drei Metern zu den grössten flugfähigen Vögeln der Welt gehören, stehen am Ende der Nahrungskette und fressen hauptsächlich Knochen. «Das gut gemeinte Füttern ist für Bartgeier aus verschiedenen Gründen eine Gefahr», mahnt die Stiftung Pro Bartgeier in einem Informationsschreiben. Weil die Greifvögel durch eine Zufütterung ihre Scheu verlieren würden, könnten sie zu leichten Opfern für Wilderer werden, heisst es weiter. Ferner würden Brutpaare unter Stress leiden, wenn immer wieder fremde Bartgeier Futterstellen in deren Revieren aufsuchen würden. Das könne den wertvollen Bruterfolg gefährden.
Alpenpopulation noch klein
Seit 1987 hat das Bartgeiernetzwerk Westschweiz mehr als 7000 Beobachtungen von Bartgeiern aus den Kantonen Wallis, Waadt, Fribourg und Bern gesammelt. Während ausgewachsene Bartgeier Standvögel sind, streifen Jungvögel umher. «Im Jahr 2014 haben mehr als 30 Bartgeier die Westschweizer Alpen besucht», schätzt Schaad. «Davon waren rund ein Dutzend sesshaft. Ein Grossteil waren junge und nicht verpaarte Bartgeier, die weit herumkommen und deshalb auch andere Regionen der Alpen besuchen.»
Vor rund 100 Jahren war der mächtige Greifvogel mit den leuchtend roten Augen wegen der folgeschweren Hetzjagd durch den Menschen vollständig aus dem Alpenraum verschwunden. Mit acht wildgeschlüpften Tieren im vergangenen Jahr bekomme die Bartgeierpopulation in der Schweiz einen wichtigen Wachtumsschub, freut man sich bei der Stiftung Pro Bartgeier. Es dauere allerdings noch einige Jahre, bis sich eine eigenständige Alpenpopulation gebildet habe. Weitere Auswilderungen sollen nun auch dazu beitragen, dass der Bartgeierbestand eine gute genetische Basis erhält und keine Inzuchtprobleme entstehen.
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