Wahlbetrug | Welche Parteien und Kandidaten im Wahlkreis 1 profitierten von den Manipulationen?
Wahlbetrug: Wann löst die Staatsanwaltschaft das Rätsel auf?
Im Mittelpunkt des Wahlbetrugs stehen immer mehr die Grossratswahlen im Wahlkreis 1. Widerspricht das Ergebnis dem Volkswillen und muss die Wahl wiederholt werden? Der Druck auf die Staatsanwaltschaft wächst.
Diese schweigt (noch). «Ob sich die Untersuchung nur auf den zweiten Wahlgang zu den Staatsratswahlen vom 19. März beschränkt oder sich auch auf den ersten ausweitet, wird die Untersuchung zeigen», erklärt Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold am Samstag auf Anfrage des «Walliser Boten».
Arnold leitet das Verfahren zu den Anzeigen der Gemeinden Naters, Brig-Glis und Visp wegen Wahlfälschung. Bekanntlich sind dort über 100 Fälle aufgedeckt worden, in denen Kandidatenlisten mit gefälschten Unterschriften auf den Stimmzetteln den Weg in die Wahlurnen fanden und so mit in die Wahlresultate einflossen: «Die Staatsanwaltschaft muss sich erst einen Überblick schaffen. Wir rechnen mit einer langen und schwierigen Untersuchung», erklärt Arnold.
Schlüssel liegt beim Staatsanwalt
Das mag stimmen. Doch aufgrund des äusserst knappen Ausgangs der Grossratswahlen im Wahlkreis 1 ist Eile angesagt. Denn es besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Wahlresultate durch den Wahlbetrug geändert wurde. Wer war der Nutzniesser?
Die Staatsanwaltschaft hat mehrere gefälschte Rückantwortkuverts des zweiten Wahlgangs gesichert und die Stimmzettel beschlagnahmt. Diese konnten vor der Einlegung in die Wahlurnen abgefangen werden. Und sie könnten, auch wenn sie vom zweiten Wahlgang stammen, natürlich Aufschluss geben, welche Partei(en) von den Manipulationen profitierten. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass bei beiden Urnengängen die gleiche Täterschaft am Werk war.
Vereidigung nicht gewählter Grossräte am Montag?
Bei den Grossratswahlen am 5. März 2017 geht man in Brig und Naters von mindestens 50 manipulierten Stimmzetteln aus. Und dies könnte gereicht haben, um das Ergebnis der Grossratswahlen im Wahlkreis 1, der die Bezirke Brig, Östlich Raron und Goms umfasst, massgeblich zu verändern.
Wie der «Walliser Bote» in der heutigen Samstagausgabe schreibt, hätten bereits 28 Listen zu Verschiebungen von Mandaten innerhalb der Parteien und der Bezirke führen können. Profitieren von den Manipulationen hätten natürlich alle Parteien können.
Bei der CVP und der SP haben sie das Ergebnis aber nicht beeinflusst, wie eine Analyse von Gégoire Nicollier, Mathematik-Dozent an der HES-SO Wallis, zeigte. Dafür war das Rennen zwischen der SVP und der CSP äusserst eng. Letztlich betrug die Differenz nur gut zwei Dutzend Listen.
Die SVP hätte einen Briger Sitz an die CVP abtreten müssen. Die CVP dafür den Sitz in Östlich Raron der CSP überlassen müssen. Nicht die CSP-Frau Irmina Imesch-Studer wäre im Bezirk Östlich-Raron abgwählt worden sondern der Bitscher CVP-Grossrat Guido Walker. Im Bezirk Brig hätte Pascal Salzmann von der SVP die Wahl nicht geschafft, dafür würde CVP-Mann Andreas Zenklusen weiterhin im Parlament sitzen. Bei der SP hätte vielleicht Barbara Eyer Jaggy, der nur eine Stimme fehlte, ihren Parteikollegen Werner Jordan besiegt.
Politiker und Juristen sind sich uneinig
Einig sind sich Politiker und Juristen, dass eine nachträgliche Stimmrechtsbeschwerde gegen die Grossratswahlen keine Chance hat. Uneinigkeit und fast schon Ratlosigkeit herrscht hingegen, ob das Parlament am Montag die Grossratswahlen im Wahlkreis 1 nur unter Vorbehalt validieren kann.
Die Validierungskommission des Walliser Grossen Rat könne am Montag den Antrag stellen, hinter den Wahlresultaten aus dem ersten Wahlgang zum Bezirk Brig einen Vorbehalt zu setzen. Ebenso sei es möglich, dass ein einzelnes Ratsmitglied das Resultat im betroffenen Wahlkreis beanstande.
Gemäss dem Gesetz über die Organisation der Räte und die Beziehungen zwischen den Gewalten (GORBG) muss die Validierungskommission die Protokolle der Wahlen des Grossen Rates und des Staatsrates prüfen. Sie bestimmt und begutachtet die Unvereinbarkeitsfälle, sie trifft die Untersuchungsmassnahmen und berichtet über eventuelle gegen diese Wahlen eingereichte Beschwerden. Das Parlament genehmigt den Entscheid der Kommission.
Wegen einer Strafanzeige könne das Parlament laut dem Gesetz aber nicht reagieren, denn diese richte sich ja nicht gegen das Wahlergebnis sondern gegen die Täterschaft.
Interesse aller an raschen Entscheid
Sollte sich aber während den Untersuchungen im Rahmen des Strafverfahrens herausstellen, dass Wahlfälschungen bei den Grossratswahlen mit grosser Wahrscheinlichkeit Einfluss auf den Ausgang der Wahlen hatten, und Abgeordnete wären nur durch den Wahlbetrug gewählt worden, wäre das ein harter Schlag für die Demokratie und das Image des Kantons.
Darum müssten alle Parteien und auch alle Gewählten ein Interesse an einem raschen Entscheid haben. Das grösste Interesse an einer Wiederholung der Wahlen hat natürlich die CSPO. Deren Parteileitung fühlt sich durch die Berechnungen von Nicollier bestätigt. «Nach Bekanntwerden des Wahlbetrugs nahmen wir an, dass wir allenfalls benachteiligt wurden», sagt CSPO-Präsident Alex Schwestermann. «Wir ziehen es in Erwägung, die Resultate der Grossratswahlen im Wahlkreis 1 anzufechten», meint Schwestermann. Einen entsprechenden Vorbehalt werde er am Montagmorgen in der Sitzung der Validierungskommission einbringen.
Zuerst sei man enttäuscht davon ausgegangen, dass an den manipulierten Resultaten nicht mehr zu rütteln ist, sagt CSPO-Fraktionschef Diego Clausen. «Zumal die Beschwerdefrist für die Ergebnisse des ersten Wahlgangs der Staatsratswahlen respektive der Grossratswahlen abgelaufen ist.» Nach allem, was man heute wisse, dränge sich aber seitens CSP eine Beschwerde auf, so Clausen. Wie sein Parteipräsident legt der «gelbe» Fraktionschef Wert darauf, das genaue Vorgehen mit der CVPO abzusprechen.
Die CVPO würde zwar auch trotz des Wahlbetrugs keinen der fünf Sitze im Wahlkreis verlieren. Es käme aber zu einer Rochade.
hbi / dab / zen
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