Wahlbetrug | Sitzen die Richtigen in Sitten?
Was man bisher weiss
Heute sollen in Sitten die fünf Mitglieder der Regierung sowie die 130 Parlamentsabgeordnete vereidigt werden. Diese sogenannte konstituierende Session wird jedoch von den Wahlfälschungen im Oberwallis überschattet. Es besteht der Verdacht, dass Grossräte aufgrund der Unregelmässigkeiten gewählt und andere abgewählt wurden. Zurzeit scheint es mehr Fragen denn Antworten zu geben. Überblick: Was man bisher weiss.
Das Ausmass
Betroffen sind die drei Oberwalliser Talgemeinden Brig-Glis, Naters und Visp. Behördenvertreter der drei Gemeinden haben angekündigt, Klage wegen Wahlbetrug einzureichen. Wie die Staatsanwaltschaft des Kantons am Sonntagabend präzisierte, habe man bisher die formellen Klagen der Stadtverwaltung Brig-Glis sowie jene der Gemeindeverwaltung Naters erhalten.
In Brig-Glis und Naters hat man bei beiden Wahlgängen der Staatsratswahlen (5. März / 19. März) sowie den Grossratswahlen (5. März) Unregelmässigkeiten festgestellt. In Visp geht man davon aus, dass nur der zweite Wahlgang der Staatsratswahlen betroffen ist.
Gemäss Recherchen des «Walliser Boten» handelt es sich in Brig-Glis um rund 40 gefälschte Wahlcouverts für den ersten Wahlgang und somit auch für die Grossratswahlen. In Naters sind es im ersten Wahlgang rund 15 Fälle, wie Gemeindepräsident Franz Ruppen gegenüber der «NZZ am Sonntag» bestätigt. Weiter sagt Ruppen, dass man beim zweiten Wahlgang der Staatsratswahlen auf «etwa acht» gestossen sei. In Brig-Glis sind es knapp 100 Fälle, wie WB-Recherchen ergaben. Gemäss dem Schweizer Radio und Fernsehen SRF sind es in Visp 20 Fälle.
Zusammengefasst: Im ersten Wahlgang der Staatsratswahlen respektive bei den Grossratswahlen sind es in Brig-Glis und Naters rund 55 gefälschte Wahlzettel. Im zweiten Wahlgang der Staatsratswahlen hat man in den drei Gemeinden zusammen rund 130 Fälschungen festgestellt.
Die Täterschaft
Über die oder den Täter ist bis dato nichts bekannt. Indizien sprechen dafür, dass es sich bei den drei Gemeinden und den beiden Wahlgängen um die gleiche Täterschaft handeln könnte. Er gehe davon aus, dass das Stimmmaterial aus den Briefkästen geklaut wurde, sagt der Briger Stadtschreiber Eduard Brogli gegenüber SRF und beruft sich dabei auf die Aussagen eines Betroffenen. Auch das Schreibwerkzeug sowie die Art und Weise, wie die Unterschriften gefälscht wurden - Stimmzettel waren laut Brogli mit dem Vornamen unterzeichnet -, seien in den meisten Fällen identisch.
Der Natischer Gemeindeschreiber Bruno Escher sagte gegenüber dem Lokalsender «Kanal9», dass das Fälschungsmuster jenem in Brig sehr ähnlich sei. In der gleichen Sendung fügt Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold zudem an, dass das Vergehen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden könne.
Vergleichbare Fälle
Bei den Berner Gemeindewahlen vom vergangenen November hat man ebenfalls Unregelmässigkeiten entdeckt. Den Stimmenzähler sind rund 300 Zettel aufgefallen, die alle mit der gleichen Handschrift ausgefüllt worden sind. Der Stimmausschuss hat daraufhin die Wahlzettel für ungültig erklärt. Im Gegensatz zu den Oberwalliser Behörden hat die Berner Stadtkanzlei die Öffentlichkeit damals direkt über den Verdacht auf Wahlbetrug informiert.
Einfluss auf das Resultat der Staatsratswahlen
Beim jetzigen Wissensstand ist davon auszugehen, dass der Wahlbetrug keinen Einfluss auf das Ergebnis der Staatsratswahlen hat. Oskar Freysinger von der SVP fehlten beim zweiten Wahlgang 2124 Stimmen auf Frédéric Favre, den Überraschungssieger der FDP. Die Dunkelziffer müsste somit bei rund 900 gefälschten Wahlzetteln liegen, damit Freysinger theoretisch an Favre herankommen würde. Vorausgesetzt natürlich, in den Couverts wäre auch Favre drin.
Laut dem Walliser Gesetz über die politischen Rechte (Art. 217) ist eine Wahl nur dann für ungültig zu erklären, «wenn es wahrscheinlich erscheint, dass die geltend gemachten Unregelmässigkeiten das Resultat des Urnengangs in entscheidender Weise beeinflusst haben». Dies scheint bei den Staatsratswahlen nicht der Fall zu sein. Die Unterwalliser SVP hat derweil eine Stimmrechtsbeschwerde eingereicht. Und wie das Unterwalliser Lokalradio «Rhone FM» berichtet, hat der abgewählte Freysinger über den SVPU-Fraktionschef Grégory Logean ausrichten lassen, bei einer allfälligen Wiederholung der Staatsratswahlen nochmals zu kandidieren.
Einfluss auf das Resultat der Grossratswahlen
Heikler wird die Beurteilung der Grossratswahlen. Hier gilt es festzuhalten, dass es natürlich verschiedene Szenarien gibt. Das Brisanteste wäre aber, dass die SVPO profitieren würde - zu Ungunsten der CSPO. Eine entsprechende Analyse von Grégoire Nicollier, Mathematik-Dozent an der HES-SO Wallis und Spezialist in Sachen Wahlsysteme, zeigt: Lediglich 28 Listen betrug im Wahlkreis 1 (Bezirke Goms, Östl. Raron und Brig) die Differenz zwischen den beiden Parteien. 14 Listen würden den «Gelben» also reichen, um mit der SVP gleich zu ziehen. Zur Erinnerung: Bei den Grossratswahlen geht man in Brig-Glis und Naters von 55 gefälschten Wahlzetteln aus.
Im besagten Fall käme es zu folgenden Verschiebungen: Die SVP hätte einen Briger Sitz an die CVP abtreten, die CVP dafür den Sitz in Östlich Raron der CSP überlassen müssen. Nicht die CSP-Grossrätin Irmina Imesch-Studer wäre im Bezirk Östlich Raron abgewählt worden, sondern der CVP-Grossrat Guido Walker. Im Bezirk Brig hätte indes Pascal Salzmann von der SVP die Wahl nicht geschafft. Dafür würde CVP-Grossrat Andreas Zenklusen weiterhin im Parlament sitzen. Das heisst, die CVP würde ihre Sitze behalten - aber mit anderen Gewählten. Die SVP würde einen Sitz verlieren, den die CSP wiederum gewinnt. CSPO-Präsident Alex Schwestermann hat bereits angekündigt, die Resultate der Grossratswahlen im Wahlkreis 1 allenfalls anzufechten.
Wie weiter?
Aufgrund der bekannten Fakten dürften die Parteien bei der heutigen Session nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Franz Ruppen liess im «SonntagsBlick» durchblicken, dass die SVP die Vereidigung des Staatsrats allenfalls verhindern wolle, indem sie den entsprechenden Punkt von der Tagesordnung streicht. Dies dürfte aber rein aus formellen Gründen nicht möglich sein. Wahrscheinlicher ist, dass die SVP den Antrag stellt, das Resultat der Staatsratswahlen nur unter Vorbehalt zu validieren.
Auch bei der Validierung der Resultate der Grossratswahlen gehen die Meinungen der Juristen auseinander. Sowohl die Validierungskommission wie auch ein einzelnes Ratsmitglied könnten die Resultate im Wahlkreis 1 beanstanden, sagen die einen. Die anderen meinen, dass das Parlament den Entscheid der Kommission lediglich genehmigen, auf die Strafanzeige selbst aber nicht reagieren könne, zumal sich die Anzeigen nicht gegen das Wahlergebnis, sondern gegen die Täterschaft richte. In Hinblick auf die heutige Session bleiben also mehr Fragen denn Antworten.
Pikant dabei: Recherchen des «Walliser Boten» deuten darauf hin, dass man bei den drei Gemeinden mindestens eine Handvoll gefälschte Rückantwortcouverts samt Wahlzettel vor der Einlegung in die Wahlurnen abfangen und der Staatsanwaltschaft übergeben konnte. Deren Inhalte könnten Rückschlüsse darauf geben, in welche politische Richtung die Täterschaft «gewählt» hat. In Polit-Kreisen zeigte man sich übers Wochenende erstaunt, dass es offenbar Beweise gibt. Kommentieren wollte dies öffentlich niemand. Auch die Staatsanwaltschaft nicht.
Weitere Hintergründe zum Wahlbetrug und wie einige Exponenten den Skandal bereits politisch ausschlachten wollen, lesen Sie in der Montagsausgabe des «Walliser Boten». Auf unserem Online-Portal «1815.ch» halten wir Sie über die heutige Session auf dem Laufenden.
hbi / zen / dab
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Kommentare
Beat Fehr, Bellwald - ↑26↓13
Namens der ehrlichen Stimmbürger/Innen fordere ich die Verantwortlichen und Journalisten auf, den Namen des Politikers der auf den gefälschten Wahlzetteln stand und ein Bild auf dem die Handschrift des Täters zu erkennen ist zu veröffentlichen. Einerseits erhöht das die Chance den Verursacher zu eruieren und andererseits Erhellendes zur Sache beizutragen. Es liegt doch auf der Hand, dass es alle Beschäftigten in den betroffenen Wahlbüros, die Stadt- und Gemeindeschreiber, viele Politiker und deren Angehörige schon wissen – uns wird es aus nicht nachvollziehbaren Gründen vorenthalten, obschon es früher oder später bekannt gemacht werden muss.
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Arthur Heinzmann, Visp - ↑21↓9
Das ist sehr zu befürworten. Wobei es sich ja nicht nur um einen einzelnen Politiker handelt, es wurde ja manipuliert in beiden Urnengängen und bei beiden Wahlen, also sowohl Staats- wie auch Grossrat. Aber im Grunde spielt es überhaupt keine Rolle, was für Wahlzettel in die Urne gelangt sind. Betrug ist Betrug und muss geahndet werden. Zumindest sehe ich da grossen Handlungsbedarf.
Doch mache ich mir da keine grossen Hoffnungen, da ja die Angelegenheit nach Gutdünken beurteilt werden kann/darf/soll/wird.
Arthur Heinzmann, Visp - ↑24↓13
***Laut dem Walliser Gesetz über die politischen Rechte (Art. 217) ist eine Wahl nur dann für ungültig zu erklären, «wenn es wahrscheinlich erscheint, dass die geltend gemachten Unregelmässigkeiten das Resultat des Urnengangs in entscheidender Weise beeinflusst haben***
Einmal mehr ein Gummiartikel, bei dem man, je nach Gutdünken, so oder anders entscheiden kann. Die Wahrscheinlichkeit der Beeinflussung des Resultats liegt also im Auge des Betrachters. Unsere Gesetzgebung ist ja wirklich nur noch zum Kopfschütteln!
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