Unwetter | 1,5 Tonnen Schutt pro Sekunde
Vor 25 Jahren überschwemmte die Saltina Brig
Vor 25 Jahren verwüstete die tosende Flut der Saltina das Stadtzentrum von Brig. Zwei Frauen kamen in einem Geschäft, gefangen von den Fluten, Schlamm und Steinen, ums Leben.
Ein besonderer Anlass findet zum runden Jahrestag der Tragödie nicht statt. Wie jedes Jahr wird auf dem Bahnhofplatz eine Gedenkmesse gefeiert, teilte die Gemeinde mit. Zudem werde die Feuerwehr die vier Jahre nach dem verheerenden Hochwasser erbaute Saltina-Brücke heben, an der die Katastrophe ihren Anfang nahm.
Der 24. September 1993 wird den Einwohnern Brigs und des ganzen Oberwallis lange in Erinnerung bleiben. Im Wallis, im Tessin, in Norditalien sowie in Teilen Frankreichs regnete es seit Tagen wie aus Kübeln.
Bereits am Vortag war der Nufenenpass aus Sicherheitsgründen gesperrt worden. Der Regen verursachte an mehreren Stellen Steinschläge. Nach anhaltenden Niederschlägen mussten in der Folge mehrere Kantonsstrassen wegen Erdrutschen und Schlammlawinen gesperrt werden.
Das Matter- und das Saastaal, der Zugang zu den Pässen Grimsel, Furka, Simplon und Grosser St. Bernhard wurden geschlossen. Wildbäche überfluteten Wiesen, die Rhone stand kurz davor, über die Ufer zu treten.
Derweil bahnte sich in den Bergen über Brig das Unheil an. Die Wassermenge der Saltina schwoll bedrohlich an. In den nächsten Stunden gebärdete sich der Fluss so wild, dass er sämtlichen Schutt mitriss, der sich über die Jahre in seinem Bett angesammelt hatte.
Saltina-Brücke als Nadelöhr
Die Brücke unterhalb des Stockalperpalasts wurde zum fatalen Nadelöhr. Dort stauten sich Gesteinsmassen, Schlamm und Schwemmholz, bis sie den Durchgang vollständig blockierten. Der Fluss übertrat blitzartig die Ufer. In wenigen Minuten war der zentrale Platz, nur wenige Meter von der Saltinabrücke entfernt, mit Schutt überdeckt.
Die Saltina überflutete die Strassen flussabwärts. Steine, Schlamm und Wasser verschlangen die Erdgeschosse und Keller der Häuser. Die Einwohner mussten in die oberen Stockwerke flüchten. Bis zu drei Metern hoch türmte sich das Geschiebe.
Zunächst schien die Katastrophe hauptsächlich Sachschaden zu verursachen. Bis Mitternacht gab es keine Vermisstenanzeigen. Am nächsten Tag wurde die Stadt zum Katastrophengebiet erklärt. Die Polizei blockierte den Zugang für alle Nichtanwohner.
Dann wurde die Leiche eines ersten Opfers in einem Schuhgeschäft am Bahnhofplatz gefunden. Bis Tagesende wurden mehrere Personen als vermisst gemeldet. Nach drei Tagen wurden davon alle bis auf eine lebend wieder gefunden.
Das zweite Todesopfer wurde fünf Tage später im Keller des Schuhgeschäfts geborgen. Die beiden Frauen waren die Filialleiterin und eine Mitarbeiterin des Ladens.
Betroffenheit und Mitgefühl
Die Katastrophe löste Betroffenheit und Solidarität in der ganzen Schweiz aus. Der damalige Bundesrat Adolf Ogi besuchte Brig drei Tage nach dem Unglück. Glückskette, Rotes Kreuz, Caritas und viele andere Organisationen sammelten für die Opfer.
Armee und Zivilschutz waren bis Dezember mit Räumungsarbeiten beschäftigt. Insgesamt standen 7500 Helferinnen und Helfer im Einsatz. 250'000 Kubikmeter (etwa 20'000 Lastwagenladungen) Schlamm, Sand und Geschiebe räumten sie aus dem Stadtgebiet von Brig weg.
Allein die Schäden an privaten Mobilien und Immobilien erreichten einen damaligen Rekordwert von 250 Millionen Franken. Davon ausgenommen waren Schäden an Infrastruktur, Fahrzeugen sowie Verluste wegen Betriebsunterbrechungen. Die Gesamtschäden beliefen sich auf mehr als eine Milliarde Franken.
1,5 Tonnen Schutt pro Sekunde
Die Katastrophe wurde auch zum Forschungsobjekt von Wissenschaftlern. Das Institut für Hydrologie der ETH Zürich lieferte interessante Zahlen. Zum Zeitpunkt der Katastrophe betrug die Strömung des Flusses 70 Kubikmeter pro Sekunde. Im gleichen Zeitraum riss die Saltina 1,5 Tonnen Stein und Kies.
Selbst der Einsatz von Baggern oder anderem Baugerät hätte die Massen aus den tosenden Fluten nicht aus dem Weg räumen können. Die Überlegungen führten knapp vier Jahre nach dem verheerenden Unwetter zum Bau einer neuen Brücke. Die 2,2 Millionen Franken teure Konstruktion soll künftig Überschwemmungen verhindern.
Die 152 Tonnen schwere Hubbrücke passt sich automatisch dem Pegelstand an und kann für den Notfall hydraulisch um 2,8 Meter angehoben werden. Das System wurde seit der Fertigstellung mehrfach getestet, insbesondere beim Unwetter 2000.
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