Ibiza-Skandal | Wie WB-Kolumnistin Elena Lynch das Polit-Beben in Österreich miterlebt
«Über den Inhalt des Videos empört sich hier niemand»
FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache ist vor einer Woche zurückgetreten, die österreichische Regierung wankt. Die Oberwalliserin Elena Lynch über das Skandal-Video und seine Folgen.
Elena Lynch, im Ibiza-Video lassen zwei Politiker ganz tief blicken. Das Unflätige, das Prahlerische, dieses Aufplustern – wie viel Strache steckt in den Österreichern?
«Heinz-Christian Strache und sein Busenfreund Joschi Gudenus entsprechen sicherlich dem Ideal ihrer Wähler und politischen Milieus. Die Leute in meinem Umfeld hier in Wien, vor allem Studenten also, sind derweil ganz anders. Aber eben: Wien ist nicht Österreich. Wie sonst wo auch bewegt sich hier jeder in seiner Blase.»
Was bestimmt den Diskurs im Land: die Empörung über den Inhalt des Videos, dass hier ein Politiker für Gegenleistungen quasi sein Land verscherbeln will, oder die Aufregung über die Art und Weise, wie das Material zustande kam, mit Lockvogel und versteckten Kameras?
«Auch in links-liberalen Studentenkreisen wird diskutiert, ob der Zweck tatsächlich alle Mittel heiligt, ob die Abhöraktion so wirklich sein musste. Aber über den Inhalt selbst empört sich hier niemand. Im Gegenteil: Man ist erleichtert.»
Erleichtert?
«Ja. Die ganze Welt konnte jetzt sehen, was hier alle wussten. Das Video war ja nicht der erste Skandal der FPÖ, wenn auch der deftigste. Die Ironie: Strache muss jetzt gehen wegen Korruptionsvorwürfen. Nicht etwa wegen extrem fremdenfeindlicher Aussagen oder so. Hätte er im Video Ausländer beschimpft, wäre das hier kaum der Rede Wert gewesen.»
Woran liegt das?
«Die Rolle von Österreich im Nationalsozialismus wurde erst spät aufgearbeitet. Fremdenfeindlichkeit und auch ein latenter Antisemitismus sind vielerorts immer noch salonfähig.»
Der Bundeskanzler von Österreich, Sebastian Kurz, wird im August 33 Jahre alt. Wie ist der so, wie kommt er an bei deiner Generation?
«Kurz ist ein kalkulierter und opportunistischer Typ, der jetzt versucht, seine Haut zu retten. Persönliches Machtkalkül ist für ihn wichtiger als staatsmännische Verantwortung. Identifizieren tun wir uns mit ihm also nicht, auch wenn er in unserem Alter ist. Seine Karriere ist ja so oder so ‹out of this world›, da ist Identifikation schwierig.»
In deiner Kolumne hast du neulich geschrieben, wie Du dir an einem feuchtfröhlichen Abend ein Tattoo hast stechen lassen. Wenn Strache bei euch in der WG auftauchen würde: Was würdest du ihm auf den
Arm tätowieren?
«Ibiza (lacht). Ich erinnere mich noch an einen WG-Abend im Wallis, als plötzlich zu später Stunde ein lokaler SVP-Politiker bei uns auf dem Sofa sass. Der hat mich damals so genervt. Im Nachhinein muss ich sagen: Die Diskussion damals hat wohl beiden Seiten gutgetan.»
Interview: David Biner
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