Walliser im Ausland | Walburga Baur-Stadler berichtet aus der Ferne
Teil 2: «Belgien 1965 - 1967»
Seit 18 Jahren lebt Walburga Baur-Stadler in Südkalifornien. Sie ist im Wallis aufgewachsen und seitdem hat es sie in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Ihre erste Auslandserfahrung machte Baur-Stadler als junge Frau in Belgien. Auf 1815.ch berichtet sie über Eier aus Holland, lachsfarbene Unterwäsche und Autofahren in der Grossstadt.
Walburga Baur-Stadler (wbaur@roadrunner.com) hat sich nach zahlreichen Auslandserfahrungen vor 18 Jahren in Südkalifornien niedergelassen, ausserhalb von Los Angeles, am Fuss der San Gabriel Berge. Ihre Zeit widmet sie ihrem Garten, dem Malen und Singen.
Auf 1815.ch erinnert sie sich in loser Reihenfolge an die Länder, in die sie im Verlauf ihrer Karriere versetzt wurde. Heute lesen Sie den zweiten und letzten Teil ihrer Belgien-Erfahrungen:
«Einmal pro Woche kam ein Verkäufer aus Holland und brachte Butter, Rahm und frische Eier, da diese dort viel billiger waren. Der Landwirtschaftsrat legte die ganze Platte mit den 144 Eiern aufs Dach des Autos, schloss das Auto auf und fuhr davon. Sie können sich sicher vorstellen, wie lange wir darüber lachten.
Irgendwann dachte ich dann, ich sollte eigentlich Autofahren lernen und ein Auto kaufen. Kein Problem. Meine Kollegin hatte einen brasilianischen Freund, Gustavo, der trieb einen zehn Jahre alten Volvo auf. 'Nur ein Besitzer, nur 60’000 Kilometer, also praktisch wie neu.' Problem: Das Auto hatte nur drei Gänge. Der erste Gang war nicht synchronisiert. Es gab 1955 noch keine Autos mit gebogenen Scheiben, so hatte die vordere Scheibe ein Holz in der Mitte, von wo aus die beiden Scheiben zur Seite gingen. Ich musste auf ein Kissen sitzen, um die ganze Kühlerhaube zu sehen. Und die Handbremse war auf der linken Seite. Gustavo liess sich ob solchen Kleinigkeiten nicht abhalten und wir fuhren in einen Stadtpark, der bekannt dafür war, dass dort alle Leute Autofahren lernten. Es war eben auch noch die goldene Zeit, als man in Belgien gar keinen Führerschein brauchte, um zu fahren.
Also erster Gang hinein, ganz langsam Gas geben und gleichzeitig gaaaanz langsam den linken Fuss von der Kupplung hochheben. Und das Auto tat einen Ruck vorwärts und blieb dann wieder stehen. Nach etlichen Versuchen schaffte ich es und wir drehten einige Runden im zweiten Gang. Dann sagte Gustavo: ‘Und jetzt noch ein wenig den dritten Gang einschalten.’ Ich tat es und fuhr ganz locker weiter. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Gustavo ein verhinderter Rennfahrer war! Die Kurve nahm ich dann so flott, dass wir auf dem nassen Boden ins Schleudern kamen, das Auto von der Strasse auf den Rasen kletterte und dort ein frisch gesetztes Bäumlein überfuhr. Als das Auto still stand, schauten vorne noch einige Blätter und hinten die Wurzeln des Bäumleins heraus. Der Brasilianer wechselte sofort mit mir den Platz und sagte, dass wir gleich verschwinden müssten.
Meine andere grosse Sorge war, dass in meiner Strasse die Autos einen Tag auf der rechten und den anderen auf der linken Strassenseite parkieren mussten. Und mit meinen Parkierkünsten war es noch nicht so weit her. So suchten wir eine etwas entferntere Nebenstrasse, die keine solchen Schikanen aufwies. Als ich zum ersten Mal allein in die Stadt fuhr, zitterte ich schon im Vornherein, weil ich wusste, dass es bei der Kathedrale eine ziemliche Steigung in der Strasse hatte und unten eine Verkehrsampel. (Hier kurzes Stossgebet einschalten: 'Herr, lass die Ampel grün sein!’) Am Hang mit einem nicht synchronisierten Gang anfahren war eine richtige Herausforderung. Aber ich schaffte es.
Die Sekretärin des Botschafters war eine Ausland-Schweizerin, in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie besuchte dort die höhere Töchterschule, wie sie uns immer wiederholte. Auch wohnte sie an der vornehmen Avenue Louise und musste deshalb zwei verschiedene Busse bis zur Arbeit nehmen. Sie war überzeugt, dass sie eine Ähnlichkeit mit der englischen Königin habe und dies auch sehr pflegte. Kleider, betonte sie, müssten alle Ärmel bis zum Ellbogen und ein Gürtlein haben. Wir wussten auch, dass sie zweimal in der Woche badete und die Hälfte der Woche weisse und die zweite Hälfte lachsfarbene Unterwäsche trug.
An Wochenenden im Sommer fuhr jedermann ans Meer, wenn das Wetter auch nur einigermassen schön war. Und alle fuhren natürlich gleichzeitig wieder nach Hause. So wurde die ganze Autobahn zu einer Einbahn Richtung Brüssel umgeleitet. Was dann zur Folge hatte, dass wir alle wie in einen Trichter gerieten, wenn wir zur Stadtnähe kamen und uns wieder an normale Strassen zu gewöhnen hatten.
Im Grossen und Ganzen war mein Leben in Bruxelles nicht sehr aufregend. Mit der Zeit hatte ich genug gespart und konnte mir ein brandneues Auto kaufen. Renault R8, schneeweiss mit königsblauen Polstern. Ein absolutes Bijou von einem Auto! Ich besorgte mir beim Automobilklub einen internationalen Fahrausweis und fuhr dann nach Marokko, wohin ich nach etwa zweieinhalb Jahren Belgien zu meiner grossen Freude versetzt wurde.»
Als Vierjährige zog Walburga Baur-Stadler mit ihrer Familie ins Wallis, wo sie aufgewachsen ist und die Real- und Handelsschule im Institut St. Ursula in Brig besuchte. Nachdem sie zwei Jahre lang Sekretärin bei den Walliser Kraftwerken in Visp war, zog es sie nach Oxford, um Englisch zu lernen.
Danach trat Walburga Baur-Stadler eine Stelle beim Politischen Departement in Bern (heute: Departement für auswärtige Angelegenheiten) an und wurde in Belgien, Marokko, Thailand und Madagaskar als Sekretärin eingesetzt. Nach ihrem Wechsel in die konsularische Laufbahn kam es erneut zu Versetzungen: Mailand, Kongo, Peru, Costa Rica und Kalifornien, wo sie ihren Mann, einen Zürcher, kennenlernte und heiratete. Gemeinsam waren die beiden noch in Spanien und Argentinien, wo sich Baur-Stadler Ende 1998 im Grad einer Generalkonsulin frühzeitig pensionieren liess.
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Kommentare
Rudolph Moosgruber - ↑1↓0
Walburga, du bist die Beste!!
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Nelly Schmidtbauer - ↑2↓0
Ich bin ein großer Fan von Walburga und ihren Erzählungen aus fremden Ländern und vergangenen Zeiten. Man kommt sich selbst versetzt vor in eine Zeit, in der uns weniger Sorgen des Alltags bedrückten, und die Menschen aufrechter und verbindlicher waren. Nichts kann eine fröhliche Jugendzeit ersetzen.
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