Walliser im Ausland | Walburga Baur-Stadler berichtet aus der Ferne
Teil 1: «Belgien, 1965 - 1967»
Seit 18 Jahren lebt Walburga Baur-Stadler in Südkalifornien. Sie ist im Wallis aufgewachsen und seitdem hat es sie in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Ihre erste Auslandserfahrung machte Baur-Stadler als junge Frau in Belgien. Auf 1815.ch berichtet sie über Miesmuscheln, Zimmer, die stundenweise vermietet wurden, und chiffrierte Nachrichten.
Walburga Baur-Stadler (wbaur@roadrunner.com) hat sich nach zahlreichen Auslandserfahrungen vor 18 Jahren in Südkalifornien niedergelassen, ausserhalb von Los Angeles, am Fuss der San Gabriel Berge. Ihre Zeit widmet sie ihrem Garten, dem Malen und Singen.
Auf 1815.ch erinnert sie sich in loser Reihenfolge an die Länder, in die sie im Verlauf ihrer Karriere versetzt wurde:
«Als frisch angestellte Sekretärin im Eidgenössischen Amt für Auswärtige Angelegenheiten kam ich zuerst in die 'Pouponnière' – nichts anderes als ein Büro mit einer Chefin und etwa zehn jungen Damen wie ich, die alle vor einer Schreibmaschine sassen. An einem nie endenden Laufband kamen die jungen Diplomaten herein und brachten Material, das abgetippt werden musste. Leben kam meist nur in den Raum, wenn ein wirklich gutaussehender junger Mann ihn soeben verlassen hatte oder wenn einer eine absolut unleserliche Handschrift hatte und es vereinte Kräfte brauchte, das Gekritzel zu lesen.
Ich sass drei Monate dort und träumte von fernen, exotischen Ländern. Die Personalchefin der Sekretärinnen sagte: 'Dir sid no so jung, mached dir zersch a Poschte in Europa' und schlug gleich Belgien vor. Mein Herz sank. Als ich dann übers Wochenende nach Hause ins Wallis fuhr, war meine Mutter ganz begeistert. Sie verbrachte als junges Mädchen dort ein Jahr in einem Internat. 'Ich werde dich dann ganz bestimmt besuchen.'
Anfangs Januar fuhr ich dann mit dem Zug (Couchette, meine Damen und Herren!!!), begleitet von zwei Koffern, die mein sämtliches Hab und Gut enthielten, nach Bruxelles. Meine beiden Arbeitskolleginnen erwarteten mich am Bahnhof, brachten mich zur Pension, wo ich wohnen würde, bis ich ein eigenes Zuhause gefunden hätte, und führten mich dann gleich aus. Es ging auf die 'Grande Place'. Noch heute denke ich, dass dies eines der schönsten Stadtzentren ist. Rund herum hat es das Ratshaus, andere Regierungsgebäude und dann Restaurants. Auf einer Seite steht der weltberühmte 'Manneken Piis Brunnen' und auf der anderen führt die 'Petite Rue des Bouchers' vom Platz heraus. An dieser Strasse liegt ein Restaurant am anderen. Wir gingen in den oberen Stock und die Damen fragten mich, ob ich gerne Moules (Miesmuscheln) habe. Ich konnte nicht anworten, da ich solche noch nie gegessen hatte, sagte aber, ich wolle sie gerne versuchen – und bis heute habe ich sie gerne.
Mit der Stadt selber hatte ich Mühe, war es doch das erste Mal, dass ich mit so einer grossen Stadt konfrontiert wurde. Meine Kollegin half mir bei der Zimmersuche. 'Chambre à louer' stand dann oft in einem Fenster. Die Zeitungen waren voll von Inseraten. Wir machten eine Liste und begaben uns auf die Suche. Mit eher unterwerfendem Erfolg! Dann sahen wir ein schönes Haus, auch mit einem Zimmer zu vermieten. Wir läuteten. Die Türe wurde geöffnet von einer jungen Dame in einem schwarzen Mini-Hausmädchen-Dress mit weissem Spitzenschürzchen und kleinem Häubchen, wie in einer Operette. Sie sagte dann eher spitz: ’Nous louons par heure, pas par mois!’ (Wir vermieten pro Stunde, nicht pro Monat.) Schlussendlich fand ich dann aber doch eine sittenhafte kleine Einzimmerwohnung.
Ich arbeitete nicht auf der Botschaft (welche für die Beziehungen Schweiz-Belgien zuständig war), sondern bei der Schweizerischen Vertretung bei den Europäischen Gemeinschaften. Unsere Botschaft war also für die Beziehungen zur EWG und für den Schutz der schweizerischen Interessen zuständig. Damals waren erst sieben Länder dabei. Mein Chef war der dritte Sekretär, also rangmässig der unterste Diplomat, und zuständig für die assoziierten Länder. Wenn also die EWG an einem neuen Reglement für Wein arbeitete, kamen Spanien, Portugal, Marokko oder Algerien gleich daher und verlangten, dass bei dieser oder jener Regel auch ihre Wünsche berücksichtigt würden. Wenn ich dann so einen Rapport getippt hatte und zu ihm brachte, fragte er: 'Haben Sie verstanden, was Sie da geschrieben haben?' Ich bejahte. Dann gings weiter: 'Gut, erklären Sie es mir. Wissen Sie, ich versuche immer so zu schreiben, dass auch jeder Idiot in Bern drauskommt!' Ich war also ein gut bezahltes Versuchskaninchen! Dafür war mein Chef lustig und voller Lebensfreude. Im Sommer ging er in der Mittagspause ins Schwimmbad und wenn er zurückkam, hängte er seine Badehose und das Frottiertuch am Fensterrahmen auf. Man muss sich das vorstellen: Ein Bürohaus in einer Reihe von gleichen Bürohäusern und das einzige Merkmal war die improvisierte Wäscheleine im siebten Stock!
Zur damaligen Zeit kamen die schnellen Nachrichten mit dem Telex herein. Wichtige Informationen wurden chiffriert gesandt. Da kam dann aus der Maschine ein nicht mehr enden wollender gelochter Papierstreifen. Wir mussten dann ganz am anderen Ende des Ganges zum Kanzleichef gehen, der das zum Entziffern notwendige Band bei sich im Kassenschrank aufbewahrte. Beide Bänder wurden dann an einer ganz bestimmten Stelle ins Lesegerät eingespannt und plötzlich wurden die unverständlichen Fünfergruppen (z.B. XYPPC TZUVV WAMMR PYZZX) zu einem gut leserlichen Text. Das letzte Mal, wo ich so ein Telexgerät bedienen musste, war in Costa Rica. Dort war ich von 1982 bis 1984. Der Bund ist halt nicht der Schnellste mit Anpassung an neue Methoden!»
Lesen Sie nächsten Montag Teil 2 von Walburga Baur-Stadlers Belgien-Erinnerungen.
Als Vierjährige zog Walburga Baur-Stadler mit ihrer Familie ins Wallis, wo sie aufgewachsen ist und die Real- und Handelsschule im Institut St. Ursula in Brig besuchte. Nachdem sie zwei Jahre lang Sekretärin bei den Walliser Kraftwerken in Visp war, zog es sie nach Oxford, um Englisch zu lernen.
Danach trat Walburga Baur-Stadler eine Stelle beim Politischen Departement in Bern (heute: Departement für auswärtige Angelegenheiten) an und wurde in Belgien, Marokko, Thailand und Madagaskar als Sekretärin eingesetzt. Nach ihrem Wechsel in die konsularische Laufbahn kam es erneut zu Versetzungen: Mailand, Kongo, Peru, Costa Rica und Kalifornien, wo sie ihren Mann, einen Zürcher, kennenlernte und heiratete. Gemeinsam waren die beiden noch in Spanien und Argentinien, wo sich Baur-Stadler Ende 1998 im Grad einer Generalkonsulin frühzeitig pensionieren liess.
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