«Wilde Lise» hat Bock auf Freiheit
Steingeiss entpuppt sich als notorische Ausbrecherin

«Berti» heisst der ausgewachsene Steinbock im Tierpark Aletsch. Wegen ihm kehrt die halbwilde Steingeiss immer wieder zurück in ihr Habitat.
Foto: zvg

Nachwuchs im Tierpark: Zwei Steinbockgitzi im Sommer 2014.
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Im Tierpark Aletsch in Fiesch lebt eine achtjährige Steingeiss, die ihrer Herde in den Sommermonaten jeweils den Rücken kehrt, um in Freiheit ihren Nachwuchs zur Welt zu bringen. Zur Fortpflanzungszeit zieht es den weiblichen Hornträger aber wieder zurück ins Gehege, zu «Berti», dem imposanten Steinbock der Kolonie. Die Parkleitung weiss von der aussergewöhnlichen Liaison.
Neben kleineren Nutz- und Heimtieren beherbergt der Tierpark Aletsch in Fiesch auch eine aus zehn Tieren bestehende Alpensteinbockherde. Zusammen mit einem ausgewachsenen und einem halbwüchsigen Bock sind die vier Steingeissen mit ihren Jungtieren in einem ungefähr 2000 Quadratmeter umfassenden Gehege einquartiert, welches laut des diesjährigen Zooberichts des Schweizerischen Tierschutzes (STS) ein Beispiel guter Tierhaltung darstellt.
Vor fünf Jahren erstmals ausgebüxt
Die positive Beurteilung des STS für das mit Bäumen und zahlreichen natürlich vorhandenen Felsen durchsetzte Gelände scheint eine achtjährige Steingeiss, die im Tierpark geboren wurde, jedoch nicht zu kümmern. Das Tier mit dem treffenden Namen «Wilde Lise» nimmt regelmässig Reissaus um die Sommermonate in Freiheit zu verbringen. Bricht der Herbst an, kehrt die clevere Steingeiss schliesslich zu ihrer Herde im Tierpark Aletsch zurück.
Die Parkleitung weiss um die notorische Ausbrecherin und lässt die «Wilde Lise» gewähren. «Während Jahrzehnten ist es keinem Steinbock gelungen, das Gehege zu verlassen», erklärt Martin Kull, Präsident des Vereins Tierpark Aletsch. «Nachdem die Steingeiss vor fünf Jahren ein erstes Mal ausgebüxt war, haben wir die Gehegeabsperrung umgehend erhöht. Der Erfolg blieb jedoch aus.»
«Wilde Lise» bleibt in der Nachbarschaft
Anfänglich sei das freiheitsliebende Tier von einem Bock gleichen Alters begleitet worden. In den letzten Jahren unternehme die «Wilde Lise» ihre regelmässigen Ausflüge in die partielle Selbstständigkeit nun aber auf eigene Faust, so Kull. Vor dem Tor zur grossen weiten Welt macht das behornte Tier aber dennoch Halt. Ihr Aufenthaltsort in Freiheit befinde sich in der näheren Umgebung des Tierparks, wissen die Pfleger.
Rechtzeitig zurück bei Steinbock «Berti»
Das Verhalten der Steingeiss sei ein natürliches Gebaren, welches bei der «Wilden Lise» jedoch ausgeprägt auftrete, erklärt Kull die möglichen Beweggründe des Tieres. «Der Fortpflanzungstrieb treibt die Steingeiss, sei es Zufall oder nicht, jeweils vor Jagdbeginn ins Gehege zurück. Nachdem sie vom mächtigen Steinbock ‚Berti’ gedeckt wurde, geniesst sie danach die Winterfütterung im Tierpark.»
Scheue Steingeiss
Im Frühjahr, vor dem Setzen des Jungtiers, erfolgt schliesslich die alljährliche Ausbruchsaktion. «Wahrscheinlich will die Steingeiss abgesondert von den anderen Tieren gebären», wird im Tierpark Aletsch über den halbwilden Paarhufer gemutmasst. «Nach rund zwei Monaten führt sie das Jungtier in ein offenes Nachbargehege und pendelt zwischen Freiheit und Obhut im Park hin und her.» Dabei zeige die «Wilde Lise» gegenüber Menschen eine natürliche Scheu, so der STS, der dem Verhalten der Steingeiss im Zoobericht 2014 einige Zeilen zusätzlich widmet.
Überlebenschancen in Freiheit intakt
Das Beispiel der in Halbfreiheit lebenden Steingeiss des Parks zeige, dass die Überlebenschancen von Steinböcken, deren überschüssiger Nachwuchs vom Tierpark Aletsch mit der Zustimmung der Jagdverwaltung bisweilen ausgewildert wird, offenbar gut sind, heisst es im Papier des Schweizerischen Tierschutz weiter. «Die Tiere gehören genetisch zur Gründerpopulation der Alpenkolonien und dürfen zur Aufstockung und genetischen Bereicherung von Lokalpopulationen eingesetzt werden.»
Für den Tierpark Aletsch ist die Haltung der «Wilden Lise» ferner auch ein gutes Beispiel dafür, wie man in einem Zoo den Bedürfnissen von Wildtieren möglichst gerecht werden könnte.
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Kommentare
Maria - ↑0↓0
Ja, ja. Der Instinkt mancher Tiere kommt der mennschlichen Intelligenz ziemlich nahe.
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Helen Sandmeier - ↑1↓0
Ein toller Artikel. Kaum zu glauben, dass sich diese Steingeiss wirklich nicht um die Beurteilung ihres Geheges durch den Schweizer Tierschutz STS kümmert. Mit dieser Gleichgültigkeit gegenüber unserer Arbeit müssen wir leben ...
Medienstelle Schweizer Tierschutz STS
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Leser - ↑0↓0
Sehr schöner Artikel.
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