Walliser im Ausland | Walburga Baur-Stadler berichtet aus Südkalifornien
«Sommerferien»
Seit 17 Jahren lebt Walburga Baur-Stadler in Südkalifornien. Sie ist im Wallis aufgewachsen und seitdem hat es sie in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Auf 1815.ch berichtet Baur-Stadler heute über die Sommerferien ihrer Kindheit; vom Lago Maggiore über Rimini bis Gspon.
Walburga Baur-Stadler (wbaur@roadrunner.com) hat sich nach zahlreichen Auslandserfahrungen vor 17 Jahren in Südkalifornien niedergelassen, ausserhalb von Los Angeles, am Fuss der San Gabriel Berge. Ihre Zeit widmet sie ihrem Garten, dem Malen und Singen.
Auf 1815.ch berichtet sie in loser Reihenfolge über ihr Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten:
«Unsere Mutter war eine richtige Wasserratte. So ist es wohl nicht erstaunlich, dass jährlich Sommerferien irgendwo hinführten, wo man baden konnte. Die ersten Ferien, an die ich mich erinnere, waren in Gerra, ein kleines Dorf auf der östlichen Seite des Lago Maggiore, nur wenige Kilometer von der italienischen Grenze entfernt und an einer Bahnlinie gelegen. Das war auch wichtig, da wir kein Auto hatten. Durch die 'Familienherbergen' hatten wir ein günstiges Haus gemietet. Mit von der Gruppe waren ausser uns auch noch unsere Grossmutter mütterlicherseits und die jüngere Schwester meiner Mutter. Übers Wochenende kam dann noch der Verlobte unserer Tante zu Besuch. Es war mir ganz und gar nicht klar, warum so lange herumdiskutiert wurde, wo denn Erwin schlafen könne, wenn es doch im Zimmer meiner Tante Platz gehabt hätte. Das Haus war zweistöckig. Den oberen Stock erreichte man über eine Aussentreppe, die in einen Balkon mündete, von wo aus man Zugang zu den einzelnen Zimmern hatte. So wurde dann abends eine Matratze auf den Balkon gezogen. Irgendwie kam dann die Diskussion auch noch auf Schlangen, von denen es im Tessin laut meinem Vater giftige gab. Kurz und gut, mein fast schon Onkel machte die ganze Nacht praktisch kein Auge zu.
Abgesehen vom Bötlifahren und Baden war der Höhepunkt eine kurze Bahnfahrt über die Grenze nach Italien, wo es jeden Samstag einen Markt hatte. Sicher war er nicht so gross wie derjenige in Domodossola, aber wir Kinder wussten das ja nicht. Abgesehen von Früchten und Gemüse gab es da noch allerhand Sachen, die ein Kinderherz hoch schlagen liessen: Lustige Hüte, billige Spielsachen, und natürlich Gelato.
Ein anderes Ferienziel war die Isola San Giulio am Ortasee. Auch dort hatten wir ein Haus direkt am See. Es war so alt, dass alle Böden leicht gegen das Wasser abfielen, so dass wir am Morgen immer am Fussende des Bettes aufwachten. Dann gings aber schnurstracks zum einzigen Laden auf der Insel, um frisches, ganz weisses, knuspriges Brot zu holen. Für eine Familie, die Zuhause immer dunkles Brot essen musste, ein wahres Vergnügen! Auch hier gehörte ein kleines Boot zum Haus. Es war flach, rechteckig und hatte nur in der Mitte ein viereckiges Loch, wo die Füsse hineinkamen. Sonst war es gedeckt und ganz stabil, so dass auch Kinder problemlos damit herumfahren konnten. Meine Mutter machte mit uns eine Wette, dass sie rund um die Insel schwimmen könne. Gesagt, getan. Wir ruderten hinterher.
Am Sonntag gab es in der Kirche auf der Insel sogar eine Messe. Es hatte einen ganz alten, verknorzten Pfarrer, der auf der Insel wohnte. Wir hatten ihn ins Herz geschlossen, denn er brachte es fertig, die ganze Messe, inklusive Predigt, in gut 20 Minuten vom Stapel zu lassen! Zur Insel gehörte auch Mario. Er hatte ein Motorboot und fuhr regelmässig von der Insel nach Orta und wieder zurück. Ich hatte in der Schule bereits angefangen, Italienisch zu lernen und versuchte fleissig, mit ihm zu reden. Auf dem Dorfplatz von Orta hatte es mehrere Restaurants und eben auch wieder eine Gelateria. So kamen wir schleckend zurück zum Boot. 'E caldo?', fragte Mario mit einem breiten Lachen. Da 'caldo' ja nur 'kalt' heissen konnte, bejahte ich eifrig.
Vor einigen Jahren wollte ich meinem Mann Orta und die Insel San Giulio zeigen. Es war im Hochsommer. Wir hatten uns schon ausgedacht, dass wir dann so gemütlich in einem der Restaurants beim Dorfplatz eine Pizza essen würden. Je näher wir gegen Orta kamen, desto mehr Autos hatte es. Und dann war die Strasse gesperrt und ein riesiger Parkplatz, zum Teil sogar unterirdisch, schluckte alle Autos. Es gab nur zwei Möglichkeiten, nach Orta hinunter zu kommen: Pendelverkehr mit einem kleinen Bus oder zu Fuss. Als wir sahen, dass sich eine wahre Prozession hinunter schlängelte, wurde das Pizza-Projekt in Orta abgeblasen. Ich hatte natürlich nicht daran gedacht, dass meine Orta- und San-Giulio-Erinnerungen ungefähr 50 Jahre alt waren! Auf eine Pizza wollten wir aber nicht verzichten und hielten auf der ganzen Rückfahrt ins Wallis danach Ausschau. Einmal war das Restaurant wegen Sommerferien geschlossen, im anderen gab es momentan keine Pizza mehr, so dass wir schlussendlich irgendwo am Simplon in einer kleinen Beiz hielten und mit Hochgenuss einen Walliser Teller verzehrten.
Dann kam das Jahr, wo wir zum ersten Mal nach Rimini ans Meer fuhren. Alles mit dem Zug. In Mailand mussten wir umsteigen und auf den vom Gotthard herkommenden Sonderzug warten. Im Bahnhof erlebten wir dann unsere erste Rolltreppe. Sie war sehr lang und wir rollten hinauf und hinunter bis wir zum Zug mussten. Von Couchettes oder so war natürlich keine Rede. Wir mussten sitzend oder halb auf den Eltern liegend schlafen. Kaum fing es an zu tagen, hielten wir es vor Ungeduld kaum mehr aus. Endlich, endlich würden wir das Meer sehen! Mit grossen Augen erblickten wir es zwischen Palmen. Wir wohnten in einer Familienpension. Meine Schwester und ich mussten das Zimmer mit zwei wildfremden jungen Damen teilen. Die beiden älteren Brüder hatten ein eigenes Zimmer und der Jüngste schlief bei den Eltern. Der Strand war wunderbar, dehnte sich kilomterweit aus und fiel nur ganz langsam ab, so dass man bis weit hinaus ins Meer immer noch stehen konnte. Das Essen war wie bei einer grossen Familie. Es wurde für alle gemeinsam gekocht und man ass, was man serviert bekam, ausser mein jüngsten Bruder, der schlicht und einfach in den Hungerstreik trat und zur Verzweiflung meiner Eltern nur noch von Bomboloni und Gelato lebte.
Ein anderes Jahr sagte mein Vater: 'Wir gehen immer nach Italien, dabei kennen meine Kinder die Schweiz viel zu wenig.' Kurz entschlossen wurde also wieder durch die Familienherbergen ein Haus am Lac de Joux gemietet. Zum Glück hatten wir da schon ein Auto und konnten allerhand Ausflüge machen, denn zum Baden war es meist viel zu kalt.
Und aus irgendeinem Grund ging es ein Jahr hinauf nach Gspon in die Sommerferien. Das Seilbähnchen von Staldenried nach Gspon war gerade defekt, so organisierte mein Vater jemanden in Visperterminen, der ein Maultier hatte, auf das unser Gepäck geladen wurde und dann gings von dort durch den Wald fast gerade aus Richtung Gspon. Plötzlich war unsere Grossmutter nicht mehr bei uns. Wir riefen und riefen. Es dauerte ziemlich lange, bis wir sie endlich hörten. Sie hatte beim Laufen Heidelbeeren gesehen und verfiel in so einen Sammeleifer, dass sie total vom Weg abgekommen war. Das Ferienhaus war eine Skihütte. Gekocht wurde mit Holz und das Wasser holte man vom Brunnen, der etwas weiter unten auf der Wiese war. Wir teilten den Brunnen mit den Kühen. Am Morgen wurden wir auch dorthin abkommandiert, um uns zu waschen. Das Wasser war aber sehr kalt… Wir Kinder hatten eine tolle Zeit und konnten sogar den Bauern beim Heuen helfen. Als die Ferien zu Ende waren, war auch das Seilbähnchen wieder geflickt und es ging motorisiert abwärts.»
Als Vierjährige zog Walburga Baur-Stadler mit ihrer Familie ins Wallis, wo sie aufgewachsen ist und die Real- und Handelsschule im Institut St. Ursula in Brig besuchte. Nachdem sie zwei Jahre lang Sekretärin bei den Walliser Kraftwerken in Visp war, zog es sie nach Oxford, um Englisch zu lernen.
Danach trat Walburga Baur-Stadler eine Stelle beim Politischen Departement in Bern (heute: Departement für auswärtige Angelegenheiten) an und wurde in Belgien, Marokko, Thailand und Madagaskar als Sekretärin eingesetzt. Nach ihrem Wechsel in die konsularische Laufbahn kam es erneut zu Versetzungen: Mailand, Kongo, Peru, Costa Rica und Kalifornien, wo sie ihren Mann, einen Zürcher, kennenlernte und heiratete. Gemeinsam waren die beiden noch in Spanien und Argentinien, wo sich Baur-Stadler Ende 1998 im Grad einer Generalkonsulin frühzeitig pensionieren liess.
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