Walliser im Ausland | Walburga Baur-Stadler berichtet aus Südkalifornien
«So war mein Visp» – Teil 2
Seit 17 Jahren lebt Walburga Baur-Stadler in Südkalifornien. Sie ist im Wallis aufgewachsen und seitdem hat es sie in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Auf 1815.ch berichtet Baur-Stadler heute über das erste öffentliche Schwimmbad im Lonzastädtchen, die «Puttisalberi», den «Blätz» und anderes aus ihren Jugendjahren in Visp.
Walburga Baur-Stadler (wbaur@roadrunner.com) hat sich nach zahlreichen Auslandserfahrungen vor 17 Jahren in Südkalifornien niedergelassen, ausserhalb von Los Angeles, am Fuss der San Gabriel Berge. Ihre Zeit widmet sie ihrem Garten, dem Malen und Singen.
Auf 1815.ch berichtet sie in loser Reihenfolge über ihr Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten:
«Als ich in die erste Klasse ging, konnte ich noch nicht richtig Walliserdialekt, da meine Eltern St. Galler waren und wir im Lonza-Quartier aufwuchsen, wo die meisten anderen Leute auch 'Üsserschwiizer' oder 'Chrütgagger' waren. Am Morgen versammelten sich alle Kinder vor dem Schulhaus und dann ging man in Zweierkolonnen hinauf zur neuen Kirche zur Messe. Wer aus irgendeinem Grund nicht in die Kirche ging, wartete dann beim Schulhaus. Ich ging ein Jahr zu früh in die Schule und war deshalb die Kleinste. Da fragte mich ein anderes Kind: 'Hesch dü gäru Polänta?' Ich hatte keine Ahnung, was sie meinte und sagte deshab vorsichtigerweise nein. 'Aha, darum bisch dü ä sonä chliini!', kam dann die blitzschnelle Antwort.
Ich freute mich immer sehr auf den Frühling. Den Hang hinauf klettern, Richtung Visperterminen, um die ersten 'Faschtumejini' und die ersten Anemonen zu pflücken. Heute ist dort alles überbaut.
Bevor der Sommer begann, waren die Kirschen reif. Wir hatten einen grossen Baum, auf den wir noch vor Schulbeginn kletterten. Und dann war es endlich so weit, dass wir wieder barfuss herumlaufen konnten. Am Anfang, als ich in die Primarschule ging, hatten wir noch vier Monate Sommerferien. Was für eine tolle Zeit! Zuerst gings aufs Lonza-Gut um Johannisbeeren zu pflücken. Ganze 30 Rappen pro Kilo wurde uns bezahlt. Manche Kinder brachten es auf beinahe hundert Franken bis die Ernte vorbei war. Niemand genierte sich an Kinderarbeit. Im Gegenteil, wir waren sehr stolz auf unser Sackgeld und machten endlose Pläne, was wir damit kaufen könnten.
Als es noch kein Schwimmbad gab in Visp, liefen wir in Begleitung unserer Mutter bis ins Brigerbad. Ein Weg dauerte eine ganze Stunde. Und das Bad bestand eigentlich nur aus zwei grossen Zementbecken, die Wände schmierig von Algen, aber halt wunderbar. Zum z’Mittag gabs ein mitgebrachtes Picknick auf dem Rasen unter einem Baum. Natürlich waren wir todmüde vom vielen Herumtollen und sahen dem Heinweg nicht gerade freudig entgegen. Offensichtlich war auch meine Mutter müde, denn eine uns entgegenkommende Frau sagte zu ihr: 'Ah, geht die Grossmutter mit den Kindern spazieren?' Jahrelang hat sie an diesem Satz herumgekaut!
Damit wir uns auch künstlerisch betätigen konnten, gingen wir so oft wie wir wagten zur Druckerei Mengis und bettelten um Zettel. Faustweise wurden sie uns ausgeteilt, Abschnitte in allen Farben. Was für ein Reichtum!
Und dann war es soweit, dass wir in Visp ein öffentliches Schwimmbad erhielten. Ds'Hockey-Walki hatte nun eine zweite Aufgabe: Im Sommer Kassier, der getreulich jeden Morgen die Wasser-Temperatur im Schwimmbad mass und dann auf eine Tafel direkt an der Kasse schrieb. Und wie der Name sagt, war er im Winter Kassier auf dem Hockey-Platz. Als wir schon etwas grösser waren, durften wir sogar abends zum Schlittschuhlaufen. Aber um 9 Uhr mussten wir zuhause sein, obwohl die Eisbahn bis 10 Uhr offen war.
Für eine Familie mit fünf Kindern muss natürlich immer viel eingekauft werden. Herr Lengacher und der Ausläufer von der Trächa belieferten uns regelmässig mit einem kleinen Anhänger per Velo. Herr Lengacher trug das ganze Jahr nur Sandalen, aber dafür mit dicken Wollsocken.
Lange Jahre war Dr. Meier der Chefarzt vom Spital. Ein Üsserschwyzer, der uns aber imponierte, wenn er mit seinem VW-Porsche, meist mit offenem Dach, herumbrauste. Auch in der medizinischen Branche tätig war Fräulein Muff. Eine lange, magere Bohnenstange, die in einer kleinen Wohnung hinter der alten Kirche wohnte. Sie war für die Tuberkulose-Kontrolle in der Schule zuständig und wurde deshalb, natürlich nur hinter ihrem Rücken, 'Puttisalberi' genannt. Hans-Rüedi Kreutler hatte auch einen Übernamen: Er wurde bei den Pfadfindern 'Blätz' getauft, weil ihm ständig irgendwo ein Stück Haut fehlte. Und der Name folgte ihm auch, als er nach Zürich auswanderte.
Ich könnte noch lange von den Leuten in unserem Dorf schreiben. Beenden will ich hier aber mit dem Uhrenmacher Donzé. Ein Welscher, der immer sagte, er sei nach Visp gekommen, um Uhren zu reparieren, und nicht um Deutsch zu lernen. Wenn man ihn fragte, wann eine Uhr geflickt sei, hiess es einfach immer 'demain'. Auch er hatte ein grosses Fenster vorne an seinem Laden, wo wir ihm bei der Arbeit mit im Auge eingeklemmter Lupe zuschauen konnten. So lernten wir im Laufe der Zeit allerhand Berufe kennen – und merkten nicht einmal, dass wir am Lernen waren!»
Als Vierjährige zog Walburga Baur-Stadler mit ihrer Familie ins Wallis, wo sie aufgewachsen ist und die Real- und Handelsschule im Institut St. Ursula in Brig besuchte. Nachdem sie zwei Jahre lang Sekretärin bei den Walliser Kraftwerken in Visp war, zog es sie nach Oxford, um Englisch zu lernen.
Danach trat Walburga Baur-Stadler eine Stelle beim Politischen Departement in Bern (heute: Departement für auswärtige Angelegenheiten) an und wurde in Belgien, Marokko, Thailand und Madagaskar als Sekretärin eingesetzt. Nach ihrem Wechsel in die konsularische Laufbahn kam es erneut zu Versetzungen: Mailand, Kongo, Peru, Costa Rica und Kalifornien, wo sie ihren Mann, einen Zürcher, kennenlernte und heiratete. Gemeinsam waren die beiden noch in Spanien und Argentinien, wo sich Baur-Stadler Ende 1998 im Grad einer Generalkonsulin frühzeitig pensionieren liess.
map
Artikel
Kommentare
Jacqueline Filkins-Merz - ↑7↓1
Wie viele Erinnerungen wachgerufen wurden! Ich habe den Artikel in meinem Büro in Cumbria (Nordengland) mit viel Freude und Nostalgie gelesen. Ich war eine Kurskollegin von Walburga. Auch mich verschlug es in die weite Welt aber die Verbindung mit dem Wallis ist fest geblieben. Ich freue mich auf die Nachfolge der Erinnerungen!
antworten