Berufsjubiläum | Auch nach 75 Jahren geht Albert Abgottspon sein Schusterhandwerk nicht auf den Senkel
Schuhwerk für die Ewigkeit
Stalden | Albert Abgottspon kann auf eine lange Berufskarriere als Schuhmacher zurückblicken. Vor 75 Jahren trat er die Lehre in Visperterminen an. Noch immer hantiert der 92-Jährige in seiner Werkstatt in Stalden fast täglich mit Sattlernadeln und Dreifuss.
Perrine Andereggen
Er laufe nun im 93. Jahr, sagt Albert Abgottspon bei einem Besuch in seiner herrlich unaufgeräumten Werkstatt. Der schmächtige Staldner, dem sein stattliches Alter nicht wirklich anzumerken ist, hat auf einem niedrigen Hocker, umgeben von allerlei Schuhmacher-Bedarf, hinter einer massiven Werkbank Platz genommen. Das mit Locherzangen und Leimkartuschen, mit Ahlen, Nieten und Nägeln reich befrachtete Möbelstück scheint, den tiefen Kerben in dessen Oberfläche nach zu urteilen, mindestens genauso alt wie der Mittneunziger zu sein.
75-Jahr-
Berufsjubiläum
Ledergeruch wabert durch den Arbeitsraum, in dem Abgottspon immer noch fast täglich kleinere Handarbeiten erledigt.
«In der Armee habe ich mehr als 5000 Paar Militärschuhe hergestellt»
Eine abgegriffene Visitenkarte, die der 92-Jährige zwischen all den Siebensachen hervorholt, bescheinigt ihm nicht nur
den Titel als «Cordonnier»; sie zeichnet ihn gleichzeitig als «Inhaber des Ausweises für Militärschuh-Reparaturen» aus. «Militärschuhe werden in zwei Tagen repariert», ist da auch noch vermerkt.
Hinter den knappen Angaben auf dem Kärtchen steckt eine nunmehr 75 Jahre andauernde Berufskarriere, die
in Visperterminen ihren Anfang genommen hat. Dort trat Abgottspon «am 26. Oktober 1944» die Schuhmacher-Lehre an. «Am ersten Arbeitstag stand ich morgens um 5.55 Uhr vor der Werkstatt», erinnert sich der Berufsmann noch ganz genau. Den Weg von Neubrück, wo er mit elf Geschwistern aufwuchs, zu seiner Ausbildungsstätte im Heidadorf legte er jeweils zu Fuss zurück. Solides Schuhwerk war dazu unentbehrlich. Auch, als Abgottspons Lehrmeister seine Werkstatt nach Brig verlegte, der Arbeitsweg für den Lehrbub anstrengender wurde. «Für die Strecke nach Brig habe ich während eineinhalb Jahren wohl nicht zehn Zugbillette gelöst.» Irgendwann habe er sich ein Velo zugelegt und die Distanz zwischen Neubrück und Brig mit dem Drahtesel bewältigt. 1947 schloss der damals 20-Jährige seine Ausbildung erfolgreich ab. «Vier Lehrlinge aus dem Oberwallis haben damals die Abschlussprüfung abgelegt.»
Beschwerliche Jugend
Eigentlich habe er Küchenchef werden wollen. «Ich habe immer gerne gekocht. Mein Vater war jedoch dagegen.» Als Koch finde man nur schlecht eine Anstellung und gerate womöglich in falsche Gesellschaft, habe das Familienoberhaupt gesagt. «Wir hatten eine harte Jugend», schweift Abgottspon ab. Zum einen, weil die Familie Schulden abzuzahlen hatte, zum anderen, weil seine Mutter Kathrine, nachdem sie das jüngste Kind zur Welt gebracht hatte, während rund drei Jahren ans Bett gefesselt war und der Nachwuchs die mütterlichen Aufgaben übernehmen musste. «Niemand hat es damals für möglich gehalten, dass unsere Mutter noch einmal auf die Beine kommen würde.» Mithilfe eines Mediziners, der zuvor angekündigt hatte, «Kathrine, wir sorgen dafür, dass du wieder gesund wirst», sei sie schliesslich doch noch genesen. Abgottspons Mutter wurde über 100-jährig.
Schuhwerk für
Tausende Soldaten
Für den frisch diplomierten Schuhmacher stand unmittelbar nach der Lehre der Militärdienst ins Haus. Freilich trat Soldat Abgottspon die Rekrutenschule mit selbst gefertigten Militärschuhen an, auf
die der Materialwart bei der Ausgabe der Ausrüstung in der Kaserne aufmerksam wurde. Abgottspons fachmännisch ausgeführten Schusterarbeiten hatten Hand und Fuss und verhalfen ihm schliesslich zu einem Posten als Schuh-Kontrolleur. Daneben fabrizierte er für die militärpflichtigen Mannen unermüdlich neues Schuhwerk, reparierte aufgerissene Nähte und zerschlissenes Leder, klopfte neue Nägel in die Sohlen. «In der Armee habe ich mehr als 5000 Paar Militärschuhe hergestellt», versichert Abgottspon, der nach seinem Dienst in Bern die Materialkontrolle in der Militärkaserne in Sitten und in den Zeughäusern im Wallis übernahm. Gleichzeitig richtete er in Stalden eine kleine Werkstatt ein und zog einen Schuhhandel auf.
Mit einem Startkapital von insgesamt 165 Franken habe er sich seinerzeit nicht viel leisten können. «Die Bestellungen beim Vertreter fielen vorerst klein aus.» Nach sechs Jahren vergrösserte Abgottspon sein Geschäft an einem neuen Standort, ein Textilhandel wurde angegliedert, grosse Maschinen erleichterten das Schusterhandwerk, indem einige Arbeitsprozesse automatisiert werden konnten. Im Laufe der Jahre bildete Abgottspon 14 Schuhmacher aus. «Pro Woche schafften ein Lehrling und ich zehn neue Paar Schuhe.» An den Samstagen stand man jeweils für Reparatur- und Flickarbeiten zur Stelle.
Beharrlicher Schaffer
Und genau dafür ist Albert Abgottspon nach wie vor zu haben. Auch nach 75 Jahren Berufspraxis kann der rüstige Rentner nicht von Leder und Leisten lassen. Neben der Werkbank stehen eine Handvoll Glockenriemen zur Überarbeitung parat. Abgottspon ergreift einen antik anmutenden Schuhmacher-Hammer, klopft die gehärteten Lederstreifen in Form. Dabei fügt er an, dass seine eigenen Armeeschuhe von damals noch immer in Gebrauch stünden. «Sie werden jeweils an der Prozession zu Fronleichnam getragen.» Richtig gute Schuhe habe man damals gefertigt. «Perfekt auf den Fuss des Trägers zugeschnitten. Fussballen, Gelenke und Zehen zuvor exakt ausgemessen. Die Schuhe passten wie angegossen», schwärmt der Fachmann. Kein Vergleich zur heutigen Ware, meint Abgottspon. Oft nur billige Fabrikate, keine Handarbeit mehr. «Ein Rekrut kann heute froh sein, wenn sein Militärschuh die RS übersteht. Da war man früher besser bedient.» Erweisen sich die handgemachten Schuhe aus seiner Werkstatt nur halb so zäh wie die Schaffensfreude ihres Machers, wird Abgottspon freilich recht behalten.
pan
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