Walliser im Ausland | Erika Nielsen in Australien
«Schuhe immer auf Spinnen und Schlangen kontrollieren»
Acht Jahre lang hat Erika Nielsen im Oberwallis als Ernährungsberaterin gearbeitet. Vor anderthalb Jahren hat die 47-Jährige die Alpen gegen die australischen Blue Mountains eingetauscht.
Erika Nielsen, was hat Sie nach Down Under verschlagen?
«Nun, das ist eine lange Geschichte: Mein Mann ist Australier und bereits am Anfang unserer Beziehung war es unser Traum, irgendwann in seine Heimat zurückzukehren, und dort zu leben und zu arbeiten. Bis wir dann tatsächlich den Schritt gewagt haben, sind 13 Jahre vergangen!»
Wo genau leben Sie?
«In Hazelbrook, einem 5000-Seelendorf im Herzen der Blue Mountains, im Staat New South Wales (NSW). Mit dem Zug erreichen wir die Millionenstadt Sydney in knapp zwei Stunden. Die Blue Mountains erstrecken sich über eine Fläche, die mehr als doppelt so gross ist wie der Kanton Wallis. Allerdings leben hier nur etwa 80‘000 Personen, also rund vier Mal weniger als im Wallis. Wenn wir von ‚Mountains’ – Bergen – sprechen, ist das für uns Schweizer eine Übertreibung: Der höchste Punkt, der Mt Werong, ist gerade mal 1215 Meter über Meer!»
Sie waren während acht Jahren im Oberwallis am SZO als Ernährungsberaterin tätig und üben Ihren Beruf nun in Australien aus. Können Sie Unterschiede feststellen?
«Ich bin mehr unterwegs! Ein Teil meiner Aufgaben sind die regelmässigen Besuche in diversen Behindertenheimen, Altersheimen und teilweise bei behinderten Menschen zu Hause. Dabei führe ich Ernährungsassessments bei Einzelpersonen durch und schreibe anschliessend die Berichte mit den entsprechenden Ernährungsempfehlungen. Hauptziele sind dabei das Verhindern von Mangelernährung, Anpassung der Sondennahrung und die Handhabung von Lebensmittelallergien. Eines der Behindertenheime, welches ich etwa alle zwei Monate besuche, ist in Orange, einer Kleinstadt, die rund 170 Kilometer von meinem Wohnort entfernt ist. Da dauert die Autofahrt doppelt so lange wie die eigentlichen Besuche bei den Klienten!
Einen Tag pro Woche führe ich Ernährungsberatungen in einer Arztpraxis durch. Die Ernährungsthemen – Diabetes, Übergewicht, Reizdarm – sind dabei ähnlich, wie ich es aus meiner Arbeit im SZO kenne, mit dem Unterschied natürlich, dass alles in Englisch ist. Aber daran habe ich mich recht gut gewöhnt – und schliesslich war das Walliserdiitsch für mich als Üsserschwiizerin zu Beginn auch ein bisschen gewöhnungsbedürftig…»
Wie wohnen Sie?
«Wir wohnen in einem Drei-Zimmer Häuschen mit grosszügigem Garten, welches wir für 1500 Dollars, etwa 1200 Franken, im Monat mieten. Das Haus ist von viel ‚Bush Land’ – Wald – umgeben. Morgens erwachen wir oftmals vom Vogelgezwitscher – und der typische Duft der Eukalyptusbäume ist sehr ausgeprägt, speziell wenn es geregnet hat. Das Dorfzentrum liegt rund drei Kilometer entfernt. Dort finden wir neben einem kleinen Supermarkt auch einen Metzger, Bäcker, zwei Restaurants und eine Arztpraxis. Für den monatlichen Grosseinkauf fahren wir ins 20 Kilometer entfernte Katoomba.»
Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
«Lesen, Gartenarbeit, Kino. Interessanterweise sind unsere Freizeitaktivitäten ähnlich wie damals in der Schweiz. Zudem laden wir Freunde zum Essen ein oder werden eingeladen. Die Kuchen nach ‚gutem alten Betti-Bossy-Rezept’ finden übrigens grossen Anklang bei den Aussies! Mein grösstes Hobby ist das Wandern. Die Blue Mountains sind ein tolles Wanderparadies mit spektakulären Ausblicken, Höhlen und zahlreichen Wasserfällen, die im Sommer ideal sind zum Baden – absolut unwiderstehlich.»
Wie viel kostet eine Tasse Kaffee?
«Rund 4 Dollars, das entspricht etwa 3 Franken.»
Wie ist das Wetter momentan?
«Der Winter hat begonnen! Die Nächte sind kühl, um die 8 Grad. Tagsüber können die Temperaturen bis 15 Grad ansteigen, wenn die Sonne scheint. Ich habe mir sagen lassen, dass im Jahr 2010 das letzte Mal Schnee gefallen ist in den Blue Mountains. Das waren etwa 10 cm und der Schnee ist während eines ganzen Tages liegen geblieben. Unsere Nachbarskinder waren ganz aufgeregt; sie hatten nie zuvor Schnee gesehen…»
Mit welchen Erwartungen und Vorstellungen sind Sie nach Australien gezogen?
«Ich hatte mir erhofft, irgendwie in meinem Beruf weiterarbeiten zu können, an einem schönen Ort zu wohnen und vom relaxten Lebensstil der Australier inspiriert zu werden.»
Haben sich diese Erwartungen erfüllt?
«Ja und nein. Unsere jetzige Wohnsituation hat meine Erwartungen sogar übertroffen! In Bezug auf die Arbeit als Ernährungsberaterin hatte ich einige Anlaufschwierigkeiten und trotz vieler offener Stellen war es für mich nicht leicht, eine Stelle zu finden. Der Arbeitsmarkt ist sehr kompetitiv. Nun, das ist Schnee von gestern! Glücklicherweise habe ich eine Arbeit gefunden, die sehr spannend und vielseitig ist und zudem viel Flexibilität punkto Planung meines Arbeitsalltages zulässt. In der Zwischenzeit habe ich mich sogar an meine etwas choatische Chefin gewöhnt!
Was die relaxte Lebensart der Australier anbelangt, war ich – und übrigens auch mein Mann – sehr überrascht: Viele Australier wirken ziemlich gestresst im Alltag. Sie arbeiten viel und lange, um die hohen Lebenskosten zu finanzieren und vor allem, um ihre Hypotheken bezahlen zu können. Diskussionen mit Freunden haben mir bestätigt, dass die legendäre Gelassenheit nach dem Motto ‚No Worries’ einer angespannteren, nervösen Haltung gewichen ist. Ich selber fühle mich im Moment recht entspannt. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass wir keine Hypothek zurückzahlen müssen.»
Auf welche Herausforderungen sind Sie gestossen?
«Die Bürokratie machte mir am meisten zu schaffen. Ich hatte letztes Jahr einen auf zwölf Wochen befristeten Arbeitsvertrag als Ernährungsberaterin im Spital. Vom Zeitpunkt des Vorstellungsgespräches bis zum Arbeitsbeginn sind sechs Monate (!) vergangen. Der Arbeitsvertrag war 26 Seiten lang und ich musste unzählige zusätzliche Dokumente vorlegen – Arbeitsvisum, Police Record, Working with Children Check, Erste-Hilfe-Ausweis, vollständiger Impfausweis... Die gesamte Administration wirkt schwerfällig und langwierig… Ich habe lernen müssen, geduldig(er) zu sein und in manchen Situationen einfach einmal zuzuwarten statt gleich vorzupreschen.»
Barbecues, Weihnachten am Strand und gefährliche Tiere – dies nur einige Stichworte, die einem einfallen, wenn man an Australien denkt. Wie erleben Sie Ihre neue Heimat?
«Wir wohnen etwas weit entfernt vom Strand – und Weihnachten verbringen wir traditionsgemäss im Outback bei den Schwiegereltern. Letztes Jahr hatten wir das Glück, zahlreiche Kängurus und Wallabies zu beobachten, die direkt vor dem Küchenfenster vorbeihüpften!
In Bezug auf gefährliche Tiere bin ich vorsichtig, aber nicht hysterisch. Sie haben Recht, in Australien leben einige potenziell tödliche Tiere, welche immer wieder für Schlagzeilen sorgen. Gerade vor zwei Monaten hörten wir in den Nachrichten, dass in Westaustralien zwei Windsurfer von Haien angegriffen und mittelschwer verletzt wurden. Und tatsächlich lernte ich im Erste-Hilfe-Kurs, wie man sich bei Schlangenbissen oder Spinnenattacken verhalten sollte. Mein Schwiegervater wurde von der berüchtigten Brown Snake, Braunschlange, gebissen und ist offenbar nur knapp dem Tod entkommen. Verständlich also, dass er mir jedes Mal, wenn ich ihn besuche, in den Ohren liegt, meine Schuhe auf Spinnen und Schlangen zu kontrollieren, bevor ich hineinschlüpfe!»
Was unterscheidet die Australier von den Wallisern?
«Beide sind offenherzig und liebenswert! Die Australier erziehen ihre Kinder etwas anders. Da beide Elternteile meistens zu 100 Prozent arbeiten, gehen viele Kinder nach der Schule in Tagesstätten und der Eltern-Kind-Kontakt ist generell etwas distanzierter. Ein weiterer Unterschied ist die Lebensplanung: während wir Schweizer oftmals Pläne für 10, 15 oder sogar 20 Jahre machen, im Geschäfts- und im Privatleben, planen die Australier etwa drei Jahre im voraus – oder fünf Jahre, wenn sie ‚langfristig’ planen.»
Welches Bild der Schweiz hat man in Australien?
«Die meisten Australier haben ein sehr positives Bild von der Schweiz und den Schweizern! Viele Australier kennen die Schweiz von organisierten Reisen durch Europa und schwärmen von den eindrücklichen Bergen, den freundlichen und zuverlässigen Leuten. Ich wurde anfangs oft gefragt, was mich dazu bewegt in Australien zu leben, wo es doch in der Schweiz so schön sei…»
Haben Sie manchmal Heimweh?
«Sehr selten! Aber ich denke regelmässig an meine Familie, an ‚alte Freunde’ und ehemalige Arbeitskolleginnen zurück. Zudem bin froh, dass ich via Skype und E-Mail Kontakte aufrecht erhalten kann.»
Kommen Sie regelmässig zurück in die Schweiz?
«Bis jetzt nicht. Vermutlich wird in den nächsten Jahren mal der Wunsch aufkommen, meine Heimat zu besuchen, aber konkret geplant ist im Moment noch nichts.»
Was aus der Schweiz vermissen Sie am meisten?
«Einen Tagesausflug mit dem GA und ein gutes Früchte-Roggenbrot. Und: einen lauen Sommerabend, an welchem man bis 10 Uhr abends draussen auf der Veranda sitzen kann. Hier wirds im Sommer schon um 8 Uhr abends dunkel.»
Sehen Sie Ihre Zukunft langfristig in Australien?
«Gute Frage! Mein Mann und ich werden in zwei Jahren entscheiden, ob wir für weitere zwei Jahre und dann vielleicht nochmals für zwei Jahre in Australien bleiben wollen. Zukunftsplanung nach ‚australischer Art’.»
Haben Sie einen Insider-Tipp für Australien-Reisende?
«Verbringen Sie einen zusätzlichen Tag in der pulsierenden Millionenstadt Sydney! Profitieren Sie von der vielseitigen asiatischen Küche und testen Sie chinesische, japanische, koreanische oder vietnamesische Restaurants, die ausgezeichnete und preiswerte Menus anbieten! Sehr zu empfehlen ist eine der zahlreichen Küstenwanderungen in und um Sydney. Mein Geheimtipp: Nehmen Sie den Bus vom Zentrum nach Spit Bridge und wandern Sie von dort nach Manly Beach. Das sind knapp zehn Kilometer und es bieten sich dabei gute Ausblicke auf die Stadt und mehrere Gelegenheiten, im Meer zu schwimmen. Nehmen Sie die Fähre auf dem Rückweg von Manly nach Sydney und bestaunen Sie das weltberühmte Opera House. Und abends können Sie das Grossstadt-Leben geniessen.»
Für unsere Rubrik «Walliser im Ausland» sind wir regelmässig auf der Suche nach Wallisern, die fernab der Heimat leben. Gehören Sie auch dazu oder kennen Sie jemanden? Dann freuen wir uns auf Ihre Nachricht an info@1815.ch.
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