Reingehört | Seasick Steve überzeugte, bis der Donner grollte
Raue Klänge, warmes Herz
Erdige Klänge, authentische Anekdoten von Einsamkeit und Wildnis–Seasick Steve begeisterte, aber leider nur für zwanzig Minuten.
Bescheiden kommt er daher, der kleine Mann mit Bart. Fest gebaut, einfach gekleidet, nur in Begleitung eines Schlagzeugers, dessen graue Lockenpracht über die Glatze des Sängers hinwegtröstet. «Hey guys, how’re y’all doin’», begrüsst Seasick Steve sein Publikum im breitesten Südstaaten-Akzent. Der Funken springt sofort über: Die Menge jubelt.
Ohne grosse Einleitung stimmt der über 60-Jährige seinen ersten Song an. Ein simpler Griff auf der Cigar Box Guitar, ein Stampfen, eine einfache Melodie. Vergessen das wolkenverhangene Gampel–die erdigen Klänge versetzen unmittelbar in die heissen, staubigen Weiten Nordamerikas. Vers, Vers, Variation, Refrain. Eindringlich repetitive Muster spitzen sich zu, während Steve sich seiner Musik hingibt. Sie sprechen von Einsamkeit, von Stolz, von Wildnis. Und von der grenzenlosen Freiheit, in der man als «Hobo», als Wandergeselle, lebt.
Pentatonische Akkorde und Leitern
Ein Leben, wie es Seasick Steve von seinem 14. Lebensjahr an geführt hat. So erzählt er in seinen Texten von Begegnungen und Anekdoten, die er auf seinen Reisen alle erlebt haben will: «I’m a self-sufficient guy; if you have something to say, say it to my face.» Schlichte pentatonische Akkorde und Leitern, mit «Blue Notes» und etwas Vibrato durchsetzt, untermalt nur von einem Schlagzeug und dem regelmässigen «Footstomp», geben den Zuhörern die bohemische Authentizität, die sie suchen. Die rebellische Romantik reisst das Publikum mit. Da hebt sich der Wind, wirbelt Staubwolken auf. Ein Rasseln geht durch die Bühne, Donnergrollen lässt die Blicke nach oben schnellen. «What’s that?»–das angekündigte Gewitter meldet sich zu Wort. Die Atmosphäre ist wild und ungezähmt.
In dem Moment nimmt Seasick Steve eine junge Frau aus dem Publikum an der Hand. «Guess I’ll sing a love song», grinst er. Der Himmel bricht auf und ergiesst sich über das Feld, während der Sänger eine rote Blechgitarre hervorholt. Die rostig-flachen Klänge bilden einen starken Kontrast zu seiner rauen Stimme, die eine unerwartet sanfte Ballade zum Besten gibt. Die Dame erhält im strömenden Regen noch ein Autogramm und eine Umarmung, bevor sie abtritt. Der Musiker seufzt: «Guys, they’re telling us to go, it’s dangerous…» Der Sturm rüttelt an der Konstruktion, das Risiko ist zu hoch. Bedauerlich, aber in einer Viertelstunde gehts hoffentlich weiter, meint der Musiker. So flüchtet ein Teil des Publikums in die umliegenden Zelte, ein harter Kern wartet weiter. Doch auch eine halbe Stunde darauf bleibt die Bühne leer, der Zuschauerbereich ist nur noch spärlich besetzt. Bis auf Weiteres ist das Konzert abgesagt, das Set wird ab- und für Wolfmother aufgebaut. Die letzten Überbleibsel der Menschenmenge lassen sich aber den Spass auch vom ärgsten Wetter nicht verderben. Wer auf der Bühne steht, ist hier vorerst zweitrangig–jetzt wird wieder abgetanzt!
leh
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