Vorsätze | Psychiaterin Bernadette Stucky über die Schwierigkeit, neue Verhaltensweisen anzunehmen
«Bei Vorsätzen ist ‹nit lugg la gwinnt› der Schlüssel zum Erfolg»
Sport treiben, sich nicht zu sehr stressen lassen, mehr Zeit mit der Familie verbringen: Im neuen Jahr wird alles anders. Zumindest, wenn es nach unseren Vorsätzen geht. Dr. Bernadette Stucky, Chefärztin der ambulanten Psychiatrie am Psychiatriezentrum Oberwallis, weiss, wie gute Vorsätze nicht nur solche bleiben.
Bernadette Stucky, weshalb machen wir uns ausgerechnet zum Jahreswechsel hin vermehrt Vorsätze?
«Das menschliche Verhalten funktioniert in vielen Dingen sehr automatisiert. Wir haben unsere Routinen, die wir normalerweise selten hinterfragen. Ändern kann sich dies durch einen äusseren Einfluss. Etwa, wenn jemand nach einem Herzinfarkt darüber nachdenkt, seinen Lebensstil zu ändern. Genauso kann uns aber auch der eigene Geburtstag oder eben der Beginn eines neuen Kalenderjahres veranlassen, unser Verhalten zu reflektieren.»
«Auch Vorsätze, die nur eine Zeit lang eingehalten wurden, haben einen positiven Effekt»
Wenn nun aber beispielsweise jemand mit dem Rauchen aufhören möchte – wäre es da nicht besser, er würde gleich damit beginnen, statt bis zum Ende des Jahres zu warten?
«Wenn jemand heute schon motiviert ist, das Rauchen aufzugeben, ist es sicher nicht falsch, wenn er damit heute schon beginnt.»
Weiss man, wie viele Menschen sich Vorsätze machen?
«Zum Ende des Jahres hin macht sich etwa ein Drittel der Bevölkerung Vorsätze.»
Und wie viele Menschen können diese tatsächlich längerfristig umsetzen?
«Die meisten setzen sie schlussendlich nicht um, das ist klar (schmunzelt). Von denen, die sich an Neujahr etwas vorgenommen haben, ist gemäss Umfragen etwa jeder Zehnte langfristig erfolgreich.»
Das würde bedeuten, dass sich insgesamt vielleicht drei Prozent aller Menschen etwas vornehmen und das dann auch durchziehen können. Klingt ziemlich deprimierend…
«So betrachtet, ja. Andererseits haben aber auch Vorsätze, die nur eine Zeit lang eingehalten wurden, einen positiven Langzeiteffekt. So gibt es in England beispielsweise die ‹Dry-January-Bewegung›, bei welcher die Teilnehmenden im Januar auf Alkohol verzichten. Hier haben Untersuchungen gezeigt, dass diese 31-tägige Abstinenz noch ein halbes Jahr später positive Auswirkungen auf das Alkoholverhalten hatte. Ebenfalls gaben über 90 Prozent an, ein Erfolgserlebnis verspürt zu haben. Dies wiederum steigert die Selbstwirksamkeit und ist Motivation, sich weitere Ziele zu setzen.»
Was hat mehr Aussicht auf Erfolg: das Rauchen von einem Tag auf den anderen ganz zu lassen oder eine schrittweise Reduktion?
«Das Rauchen ist ein Kapitel für sich, weil Nikotin körperlich wie auch psychisch stark abhängig macht. Mit der direkten Rauchstopp-Methode im Sinne von ‹Jetzt höre ich auf› schaffen es nach australischen Studien insgesamt bis zu 75 Prozent der Raucher, von ihrem Laster loszukommen. Daneben gibt es aber auch viele Unterstützungsmöglichkeiten, die helfen können. Das ist sehr individuell.»
Die perfekte Strategie gibt es demnach nicht?
«Es gibt Tipps, wie sich Vorgenommenes besser einhalten lässt. Vorsätze zielen ja oft
auf eine Verhaltensänderung ab, und deren Umsetzung gelingt am ehesten, wenn die Ziele klar definiert, konkret und realistisch sind. So ist der Vorsatz ‹Ich will mehr Sport treiben› für viele zu vage. Hilfreicher wäre es zu sagen: ‹Im Büro nehme ich von nun an die Treppe.› Oder: ‹Ich mache jeden Donnerstagabend im Turnverein mit.› Wenn Zeitpunkt und Situation genau definiert sind, ist ein Erfolg wahrscheinlicher.»
«Es empfiehlt sich, bereits im Vorfeld darüber nachzudenken, was bei Fehlschlägen geschieht»
Und weiter?
«Wer sich zu ehrgeizige Ziele setzt, läuft Gefahr, eine Entweder-oder-Haltung anzunehmen: Entweder halte ich die strikte Diät ein, oder aber es ist alles erlaubt. Kleinere Vorsätze und flexiblere Zielvorgaben führen viel eher zum Erfolg. Vorsätze können beispielsweise zunächst sein, den Kaffee ohne Zucker zu nehmen oder an einem Tag pro Woche auf Süssigkeiten zwischen den Mahlzeiten zu verzichten. Klappt dies, erfolgt ein weiterer Schritt. Zudem empfiehlt es sich, bereits im Vorfeld darüber nachzudenken, was bei Fehlschlägen geschieht.»
Wie sähe dann die richtige Konsequenz aus?
«Jedenfalls nicht die Flinte ins Korn werfen und sich darin bestätigen, dass es ja sowieso nicht klappt. Besser ist, wenn man sich selbst verzeiht und sich klarmacht, dass morgen auch wieder ein Tag ist. Schliesslich zielt die Verhaltensänderung darauf ab, ein Verhalten, das jahrelang gleich war, in eine andere Spur zu lenken. Da kann es schon mal vorkommen, dass man wieder ins alte Muster zurückfällt. Wichtig ist, dies zu erkennen und dann wieder in ‹die neue Spur zu wechseln›. Im Stil von ‹nit lugg la gwinnt› – das ist wohl der Schlüssel zum Erfolg.»
Gibt es Menschen, die ihr Verhalten nicht mehr verändern können?
«Jeder Mensch hat die Fähigkeit, sich bis ins hohe Alter entsprechend seiner Möglichkeiten zu verändern. Häufig hilft es auch, Vorsätze gemeinsam mit dem Partner oder in einer Gruppe anzupacken. Zusammen wandern zu gehen, ist viel einfacher umzusetzen und auch viel unterhaltsamer, als sich alleine zu motivieren. Zudem sollten Ziele auch schriftlich festgehalten werden. Allein dadurch werden zusätzliche Hirnareale aktiviert, was die Erfolgsaussichten steigert.»
Trotzdem: Ich stelle mir einen grauen Januartag vor. Es ist stressig, ich habe seit zwei Wochen nicht mehr geraucht… wie schaffe ich es, in solchen Momenten nicht zur Zigarette zu greifen?
«Um eine Verhaltensänderung herbeizuführen, ist auch die Frage zentral: Was hat mein Verhalten für einen Zweck? Im Fall des Rauchens kann es sein, dass die Zigarette entspannt und beruhigt. Nun gilt es herauszufinden: Was gibt es für alternative Möglichkeiten der Entspannung? Das kann ein Spaziergang sein, aber auch Entspannungstechniken können helfen, den Moment zu überbrücken. Es geht also nicht nur darum, ein Verhalten wegzunehmen, sondern auch, es durch ein gesünderes zuersetzen.»
Wie verhält es sich bei schwerwiegenden Suchtproblemen? Ein Spaziergang dürfte da nicht ausreichen…
«Da ist es wichtig zu wissen, dass niemand Vorsätze alleine umsetzen muss. Jeder darf sich Hilfe holen – das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine Stärke.»
Bernadette Stucky, nehmen Sie sich auf das neue Jahr hin ebenfalls etwas vor?
«Ich habe mir auf meinen Geburtstag hin etwas vorgenommen und das bereits auch umgesetzt. Dadurch erspare ich mir den Vorsatzstress an Neujahr.» (lacht)
Interview: Fabio Pacozzi
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