Abstimmung | Referendum über die Überwachung von Versicherten
Offene Fragen bei Sozialdetektiven
Wallis | Die kommende Abstimmung über die Überwachung von Versicherten wirft die Frage des privaten Raums auf. Die Versicherungen behaupten, sie brauchen Überwachungen, um Missbrauchsfälle aufdecken zu können. Für die Gegner, darunter Procap, ist die Überwachung willkürlich. Und ein zu starker Eingriff in die Privatsphäre.
Mathias Gottet
Im Büro von Christophe Müller hängt ein bedrohliches Plakat. Es zeigt ein grosses Stopp. Ein Auge, welches nicht nur beobachtet, sondern das Geschehen auch filmt. Darunter der Schriftzug «Gegen die willkürliche Überwachung von Versicherten».
Müller ist Geschäftsführer von Procap Oberwallis. Er vertritt Menschen mit einer Behinderung und engagiert sich gegen das Gesetz, welches die rechtliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten schaffen soll. «So schnell ist ein Gesetz noch nie im Parlament durchgewunken worden», sagt er. Daran sehe man, was die Versicherungen in Bern für eine starke Lobby haben. Ein Komitee aus dem Volk rund um die Schriftstellerin Sibylle Berg hat daraufhin das Referendum ergriffen. Nun können die Stimmbürger am 25. November selber entscheiden, ob die vorgesehene Überwachung zu weit geht.
Wer ordnet Überwachung an?
Für die gesetzliche Grundlage und für die Überwachung setzen sich im Oberwallis verschiedene Parteien ein. So haben bereits die CVPO, die SVPO und die CSPO eine Ja-Empfehlung abgegeben. Zudem engagieren sich auch verschiedene Versicherungen für ein Ja.
So etwa Jürg Hallenbarter. Der CSPO-Suppleant aus dem Goms arbeitet als Versicherungs- und Vorsorgeberater bei der Mobiliar. Er sagt, es werde sehr viel Angst gemacht. «Die Gegner behaupten, es werde in Zukunft eine flächendeckende Überwachung geben. Das stimmt aber überhaupt nicht. Auch in Zukunft wird nur sehr punktuell überwacht. Und nur, wenn bereits ein Verdacht besteht.»
Hier eröffnet sich eine wichtige Frage: Ab wann darf man eine Überwachung überhaupt anordnen? Laut Abstimmungstext dürfen Observationen nur dann angeordnet werden, wenn es einen begründeten Verdacht gibt, dass ein Sozialversicherter unrechtmässig Leistungen bezieht. Und sie dürfen nur von einem Direktionsmitglied angeordnet werden.
Eine Formulierung, die gemäss Müller jeder rechtlichen Grundlage entbehrt. «Gibt es ein Strafverfahren, muss ein Richter die Überwachung anordnen. Und nicht ein Direktor einer Versicherung.» Hallenbarter hingegen argumentiert, dass bereits früher Überwachungen angeordnet wurden. Zudem würde das neue Gesetz diese in genügendem Mass legitimieren.
Wer überwacht?
Ein grosser Streitpunkt ist die Frage, wer in Zukunft überhaupt überwachen soll. Für Christophe Müller ist es ein Fehler der Vorlage, dass in Zukunft jeder eine Überwachung durchführen kann. «Die Polizisten haben eine Ausbildung und strikte Vorgaben. Bei privaten Detektiven ist dies fraglich», sagt er. Und fügt in klaren Worten hinzu: «Sogar ein Kehrichtkontrolleur ist vereidigt. Detektive brauchen keine Ausbildung.»
Hallenbarter hingegen sagt, dass die Versicherungen sich hüten werden, die falschen Leute für eine Observation zu engagieren. Bei der Mobiliar habe man in der Vergangenheit eine eigene Abteilung gehabt, um Missbrauchsfälle zu untersuchen. «Wir haben bisher meistens mit Polizisten zusammengearbeitet und keine Hobbydetektive
angestellt.»
Im Abstimmungstext heisst es zwar, dass der Bundesrat die Anforderungen an die Detektive noch stellen wird. Wie hoch diese Anforderungen festgesetzt werden, bleibt in der Gesetzesvorlage jedoch unklar. Zudem stellt sich die Frage der Unabhängigkeit: Wird ein Detektiv nicht nur belastendes Beweismaterial vorbringen, das für einen Missbrauch spricht?
Was wird überwacht?
«Kommt die Vorlage durch, kann man in Zukunft ohne Probleme in die Schlafzimmer der Überwachten fotografieren», sagt Christophe Müller. Die Gegenseite sieht dies anders:
«Die grosse Frage ist, was alles zur Privatsphäre gehört. Mit der Kamera Fotos vom Schlafzimmer zu machen, geht aber sicher zu weit», sagt Jürg Hallenbarter.
Auch hier lässt der Abstimmungstext einen grossen Interpretationsraum offen. Einerseits heisst es, dass der Versicherte nur observiert werden darf, wenn er sich an öffentlichen Orten befindet. Oder an Orten, die von einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbar sind. Da Kamera- und Tonaufnahmen erlaubt sind, können diese aber wohl auch verwertet werden, wenn sie Innenräume zeigen.
Mit welchen Mitteln?
Eine weitere Frage, die im Abstimmungskampf immer wieder dis-
kutiert wird, ist das Ausmass an Hilfsmitteln, die zum Einsatz kom-
men dürfen. Neben Ton- und Bildaufnahmen ist der Einsatz von GPS-Trackern zur Standortbestimmung nur mit richterlicher Genehmigung erlaubt.
Kontroverser ist jedoch der Einsatz von Drohnen. Da dieser im Gesetzestext nicht explizit erwähnt ist, geht Christophe Müller davon aus, dass sie wohl auch eingesetzt werden. Sein Kontrahent sieht dies anders. «Sobald eine Drohne in das private Areal eindringt, verletzt dies das Gesetz. Und dann darf das gesammelte Material auch nicht verwendet werden», sagt Hallenbarter.
Rechtsexperte Thomas Gächter sagte gegenüber dem «Beobachter», dass solange kein explizites Verwertungsverbot vorliege, wohl auch Bilder von Drohnen verwertet werden können.
Für welchen Preis?
Die Invalidenversicherung konnte in den letzten Jahren bereits Erfahrungen mit Observationen sammeln. In der Zeit zwischen 2009 und 2016 wurde im Schnitt in rund 2000 Fällen ein Verdacht abgeklärt. Aber in nur rund 220 Fällen eine Observation durchgeführt. In circa der Hälfte der Fälle konnte schliesslich ein Versicherungsmissbrauch festgestellt werden.
Setzt man die Observationskosten den eingesparten Renten gegenüber, zeigt sich ein eindeutiges Bild. Die Ersparnisse sind rund 50 Mal höher als die Kosten der Observationen. Für Christophe Müller von Procap Oberwallis hat die Überwachung aber noch einen anderen Preis. «Durch die willkürliche Überwachung stellt man alle Versicherten unter Generalverdacht. Es kann jeden einzelnen Bürger treffen, dass er eine IV-Rente beziehen muss. Und deshalb kann es auch jeden treffen, dass er zukünftig in seiner Privatsphäre verletzt wird.» Jürg Hallenbarter von der Mobiliar argumentiert in die andere Richtung. «Indem bei Verdachtsfällen genau überprüft wird, ob die Leistungen rechtmässig bezogen werden, steigt das Vertrauen der Bevölkerung in die Sozialversicherungen. Es gehört zur Arbeit der Sozialversicherungen, dass sie genau überprüfen, ob die Leistungen zu Recht bezogen werden.»
Alle sind gegen Missbräuche
Der Geschäftsführer von Procap Oberwallis kritisiert auch, dass bei den verschiedenen Parteien gar nicht Wert darauf gelegt werde, über die Sache an sich zu diskutieren. Müller meint damit etwa die Veranstaltung, an der die CSPO ihre Parolen gefasst habe. Denn dort habe über die Abstimmung über die Sozialdetektive nur Jürg Hallenbarter referiert. Der als Versicherungsangestellter selbstverständlich die Sicht des Ja-Lagers dargestellt habe. Dabei stehe doch gerade die CSP für das Soziale. Hallenbarter hingegen retourniert, dass die CSP versuche, das gesamte Sozialsystem zu sichern. Deshalb müsse man Missbrauchsfälle aufdecken und dadurch das Vertrauen aller stärken. Beide Kontrahenten zeigen sich in einem Punkt einig. Um Missbräuche festzustellen, braucht es Überwachungen. Grosse Uneinigkeit herrscht jedoch bezüglich der vielen offenen Fragen. Ganz besonders in jener, wie weit die Überwachung gehen darf.
«Auch in Zukunft
wird nur punktuell überwacht. Und nur, wenn bereits ein
Verdacht besteht»
Mathias Gottet«Sogar ein Kehricht-kontrolleur ist vereidigt. Detektive
brauchen aber keine Ausbildung»
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