Open Air Gampel 2017 | Clemens Rehbein von Milky Chance im Interview
«Der Rhythmus war wie in einer Achterbahnfahrt»
Über Nacht wurden Milky Chance berühmt. Im Interview erzählt der Sänger der Band von seinem verkauften VW Bus, Kontrollverlust und dem Ruhepol Kassel.
Wo wärt Ihr heute, wenn Ihr euren VW Bus nicht verkauft hättet?
Vielleicht irgendwo an der Côte d’Azur, vielleicht hätten wir uns im Road-Movie-Lifestyle verloren, vielleicht würden wir heute in der Uni sitzen. Das ist jetzt aber schon sechs Jahre her.
Den VW Bus habt Ihr aber verkauft um Euer erstes Album aufzunehmen. Jetzt reist ihr mit eurer Musik um die Welt. An welchem Ort an den ihr gereist wärt, habt ihr noch nicht gespielt?
Mit dem VW Bus wollten wir durch Europa reisen und da haben wir zwar sehr viel gespielt, aber noch lange nicht alle Orte gesehen. Es ist eine andere Art zu reisen. Mit der Band reist man sehr schnelllebig und kratzt nur an der Oberfläche.
Mit Eurem Song «Stolen Dance» seid Ihr über Nacht berühmt geworden, war das Fluch oder Segen?
Es waren bestimmt mehrere Nächte (lacht). Aber klar, alles ging extrem schnell, ich selber hätte mir mehr Zeit gelassen. Wir waren sehr jung und standen plötzlich im Rampenlicht, haben uns aber wenig Gedanken gemacht, wie wir auf andere Leute wirken. Speziell ist natürlich, dass man ab dem Jahr 2013 jede Menge Videos von uns auf Youtube anschauen kann. Es ist fast wie ein Tagebuch. Manchmal denke ich mir, oh Gott, was habe ich damals gesagt.
In einem Jahr habt Ihr über 100 Konzerte gespielt. Konnte man das überhaupt noch fassen?
Klar, es verschwimmt sehr. Man verliert das Gefühl für die Zeit und denkt überhaupt nicht mehr in Wochentagen. Ob es nun Samstag oder Montag ist, ist total egal. Der Rhythmus war wie in einer Achterbahnfahrt. Es war schwierig zu fassen und wir mussten uns viel Mühe geben, um die Momente aufzusaugen.
Kriegt man die Unterschiede im Publikum noch mit?
Man kriegt die Unterschiede auf jeden Fall mit, sogar in Europa. Im Osten sind die Menschen sehr enthusiastisch. Sie freuen sich extrem, gerade deswegen, weil die Bands nicht regelmässig dort spielen.
Und in der Schweiz?
Eine Mischung aus Entspanntheit und Lässigkeit. Auf jeden Fall fröhlich.
Neutral?
Nein, neutral auf keinen Fall.
Nachdem Euer erster Song «Stolen Dance» zum Hit wurde, habt Ihr ein eigenes Plattenlabel gegründet. Wäre Eure Karriere anders verlaufen, wenn Ihr direkt bei einem Major-Label unterschrieben hättet?
Vielleicht haben wir durch das eigene Label ein bisschen mehr Raum für selbstbestimmtes Handeln erhalten. Wir haben aber auch sehr viel gelernt. Das Wichtigste ist, dass man mit den Leuten, mit denen man arbeitet, klar kommt.
Inwiefern hat sich die Produktion des ersten zum zweiten Album unterschieden?
Der Vibe war genau der gleiche wie beim ersten Album. Wir hatten aber Lust, in einem grösseren Studio aufzunehmen. Ein grösserer Spielplatz mit mehr Instrumenten, auf dem wir uns austoben konnten.
Eure Musik lässt sich weder in die elektronische, noch in die Rock-Kategorie einordnen. Ist die Schwierigkeit, jemanden in eine Schublade einzuordnen, ein Erfolgsgarant?
Bestimmt. Es ist auf jeden Fall hilfreich einen eigenen Sound zu haben. Wenn die Leute die Musik cool finden, aber nicht wissen, wo man sie einordnen soll, dann sticht man heraus.
Ihr spielt verschiedene Musikstile, hört Ihr im Privaten auch diverse Musik?
Genau. Sonst würden wir auch nie die Musik machen, die wir machen. Wir hören alles mögliche. Das fängt bei Mozart, Bob Marley und Jimi Hendrix an und endet bei afrikanischen Chorgesängen. Wir sind sehr offen und hören alles mögliche.
Was war dein letztes Album, dass du dir gekauft hast?
Gekauft?
Oder gestreamt?
Seit einem Monat habe ich Spotify, aber eigentlich kaufe ich Musik. Lange Zeit habe ich mich dagegen gewehrt. Die Alben, die ich da heruntergeladen habe, will ich mir aber bestimmt noch auf Vinyl kaufen. Das letzte Album war eine Mischung aus afrikanischer und südamerikanischer Musik.
Wie wichtig war Spotify und Youtube für Euren schnellen Erfolg?
Natürlich sind das für uns die wichtigsten Plattformen. Die meisten Menschen, die unsere Musik hören, bewegen sich auf diesen Plattformen. Sting und Bob Dylan brauchen kein Spotify, um zu überleben. Wir schon.
Nach Rammstein wart Ihr die zweite Deutsche Band die bei Jimmy Kimmel gespielt hat und Ihr hattet einen Auftritt am Coachella Festival in Kalifornien. Wie war der Schritt über den grossen Teich?
Aufregend, aber nicht einfach. Wir haben uns lange Gedanken darüber gemacht und hatten am Anfang grosse Angst davor. Es ging alles sehr schnell, wir waren extrem viel auf Tour und wollten manchmal einfach nur nach Hause. Ein Gefühl von Kontrollverlust war bestimmt dabei. Wir haben uns aber für Amerika entschieden.
Trotz Eurem Erfolg wohnt Ihr noch im beschaulichen Kassel.
Die Verbindung zu Kassel, zu unseren Freunden und Familien, war für uns immer das Wichtigste. Das ist für uns ein Gegenpol, der Ruhe in unser Leben bringt. Es festigt uns und gibt uns die Möglichkeit, nicht verrückt zu werden.
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