Film | Nicolas Steiners Abenteuer mit «Above and Below»
«Mein neuer Dokumentarfilm zeigt Flüchtende»
Der Film «Above and Below» vom Oberwalliser Filmemacher Nicolas Steiner erzählt die Geschichte von drei unterschiedlichen Lebensformen – die auch für den 30-jährigen Turtmänner abenteuerlich waren.
Am 26. Januar feierte Nicolas Steiners neuester Dokumentarfilm und gleichzeitiger Diplomfilm «Above and Below» mit insgesamt sieben ausverkauften Vorstellungen Premiere am International Film Festival im niederländischen Rotterdam. In seinem neuesten Werk, dass voraussichtlich im Herbst oder Winter auch in Schweizer Kinos zu sehen sein wird, thematisiert der junge Regisseur das «unbekannte Amerika».
Da gibt es zum Beispiel ein Paar, welches in einem unterirdischen Tunnel in Las Vegas lebt. Oder ein einsamer Cowboy, der in der Wüste (über)lebt. Und eine Frau, die ernsthaft plant, zum Mars zu reisen. Für Steiner sind diese porträtierten Personen «unsichtbare Helden unserer heutigen Zeit», wie er im Gespräch mit 1815.ch erzählt.
1815.ch: Soll die Welt verbessert werden, wenn man einen Film über soziale Brennpunkte realisiert hat?
Nicolas Steiner: Eine Sozialstudie hatte ich nicht im Sinn, doch das Thema Obdachlosigkeit im Film gehört zu einem von mehreren Handlungssträngen. Kernthema ist jedoch das Miteinander – sei es im Team, zwecks einer Reise auf den Mars oder einfach nur zu zweit. Oder wenn man in einem überfluteten Tunnel in Las Vegas leben muss – immer gibt es etwas oder jemanden, an den man sich in harten Zeiten festhalten kann. Mein neuer Dokumentarfilm zeigt also eigentlich Flüchtende; oder Überlebende.
Ich habe versucht, in reiner Zerstörung eine Schönheit zu finden, was manchmal eine naive oder illusorische Hoffnung war. Dadurch ergab sich aber ein interessanter Spiegel, der gesellschaftsrelevante Fragen mit sich bringt. Ein fixes Thema gab es nicht, es war eine Konzeptreise: Vom Mars, zur Erde und unter die Oberfläche – die aber ganz klar von Ihren Protagonisten gelebt und getragen wird. Mir war es für meinen Abschlussfilm zudem wichtig, an meinen vorigen Arbeiten anzuknüpfen und das Medium Kinofilm in seiner vollen Breite zu nutzen.
Entsteht das Storytelling durch die Vorstellungen des Regisseurs – oder hält sich der Regisseur an das, was die Leute auch ausserhalb von «Kameraaugen» sind?
Ich bin konzeptlastig unterwegs. Durch die Bilder, die ich gesehen habe, sowie meine Recherchen ist der Rahmen entstanden. Recherche ist für mich zudem der Schlüssel beim Dokumentarfilm. Die Begegnungen mit den Menschen gestalten sich jeweils als unterschiedlich und teilweise auch sehr abenteuerlich, das beschreibt auch meinen Wesenszug ganz gut: Ich bin ein Abenteurer....
Filme machen gestaltet sich wie ein Pokerspiel: Man riskiert extrem viel und vieles kann in die Hosen gehen.
Was ist mit den Teilnehmern der Marsmission, die in «Above and Below» porträtiert werden?
Diese Gruppe – die Mars Society – ist eine Non-Profit-Organisation, die sich für die Erforschung und Besiedlung des Roten Planeten einsetzt. Wissenschafter, Raumfahrtfan-Millionäre, unter anderem auch James Cameron, haben die Gesellschaft in den 90ern gegründet. Die Gruppierung bereitet sich auf die Kolonisierung und Erhaltung der menschlichen Spezies vor und versucht hier auf der Erde das Leben auf dem Mars zu simulieren.
Die Dreharbeiten fanden zwar bereits vor drei Jahren statt, doch mittlerweile ist die Thematik wieder brandaktuell: Privatfirmen kümmern sich darum, Reisen auf den Mars zu organisieren.
Eine befremdliche Thematik...?
Die Wissenschaft dahinter interessiert mich zwar – aber klar kann ich nicht abstreiten, dass die Simulation einen absurden Aspekt mit sich bringt, der Fragen aufwirft. Gleich verhält es sich, wenn ich im Ausland von meinem letzten Dok-Film «Kampf der Königinnen» erzähle: Kämpfende Kühe und deren Besitzer zu porträtieren, wirkt auf ausländische Aussenstehende erstmal genau so seltsam, wie eben die terrestrischen Marsbewohner, die in einer Wüste von poetischer Verlorenheit das Leben auf dem Roten Planeten simulieren ...
«Kampf der Königinnen» wird zurzeit auf Spiegel-TV online und I-Tunes gezeigt. Sind Streaming-Dienste in dem Fall ein grosses Thema?
Ich bin ein guter alter Kino-Fan. Doch den allgemeinen Tendenzen kann ich mich natürlich nicht verschliessen. Ich nutze Streaming-Dienste auch, bspw für Serien; Mit illegalen Downloads schade ich aber meinem Berufsfeld. Wobei ich zugeben muss, dass es toll war, eine Piratenversion von «Kampf der Königinnen» auf Russisch sowie eine mit vegetarischen Kampfsprüchen online gefunden zu haben. Das belebt den Dialog! ... Meine Filme sind für die grosse Kinoleinwand gedacht. So arbeite ich zumindest daran.
Aus finanziellen Gründen, nehme ich an...?
Das kann man vergessen! Das klappt vielleicht mit viel Glück in den USA – doch im europäischen Raum ist das vergleichsweise schwierig. In der Schweiz etwa funktioniert es fast nur über die Staatsförderung. Und wenn man bereits auf Fördergelder angewiesen ist, kann man auch nicht unbedingt davon ausgehen, reich zu werden damit...
«Kampf der Königinnen» war aber ein Erfolg, oder?
Erfolgreich war er in der Tat, doch trotz seiner insgesamt über 5500 zahlenden Kinogänger, dem DVD-Absatz etc. sowie dem Umstand, dass der Film bereits seit vier Jahren existiert, ist bis heute von dieser Schweizer Auswertung kein roter Cent bei mir angekommen.
Woran liegt das?
Womöglich braucht es dazu noch viel grössere Zuschauerzahlen. Ausser dem Urheberrecht besitze ich keine Rechte zum Film. Mein Verhandlungsgeschick ist sicher ausbaufähig und paradoxerweise steht aber der Regisseur oder Macher des Films oft am Ende der Schlange.
Filme machen ist ein Gesamtkonstrukt und da werden erstmal Kosten gedeckt , die bereits ausgegeben wurden. Im Arthouse Bereich ist das alles eine sehr trockene Angelegenheit. Ich profitiere aber von Fördergeldern, die durch den Erfolg ein neues Projekt ermöglichen.
Ich messe den Erfolg aber nicht an dem finanziellen Ertrag, sondern es ist toll zu sehen, dass der Film weltweit gezeigt wurde, Festivals, Botschaften, mögen ihn sehr, auf TV-Sendern lief er. Es gab Argentinier, die sich fürs Eringerfleisch interessierten und Russen, die eine Piratenversion davon hochladen. Es bereitet Freude, mit der Tradition und dem Film Spuren hinterlassen zu können.
Und von was lebt dann ein Regisseur in der Schweiz, der mit seinen Filmen kaum Geld verdienen kann?
Man muss sich durchschlagen – man ist Überlebenskünstler. Aber es ist möglich. Ich bin seit einem halben Jahr kein Student mehr. Ich habe zehn Jahre lang in sieben verschiedenen Wohngemeinschaften in sechs unterschiedlichen Städten gelebt. Leidenschaft schafft halt einfach auch Leiden...Gerade das Filmgeschäft ist ein hartes Ellbogen-Business.
Trotzdem, so lange ich kann, werde ich den Spirit beibehalten. Es ist ein Privileg, Filme machen zu dürfen und seine Geschichten so zu erzählen. Ich bin optimistisch, bin mir aber über die Gefahren der Branche bewusst.
Und trotzdem ist das Leben momentan eine Überholspur?
Als mein Kurzfilm «Ich bins, Helmut» herausgekommen ist, war das, was danach folgte kaum vorstellbar für mich: Ich jettete von einem Festival zum nächsten, wurde überall eingeladen. Das hat mir einen tollen Motivationsschub gegeben, gleichzeitig wusste ich, dass es in der Form eine einmalige Erfahrung war.
Trotzdem: Auch mit «Above and Below» werde ich demnächst ziemlich viel auf Reisen sein: So fliege ich bald nach Buenos Aires für die lateinamerikanische Premiere. Insgesamt liegen bereits gute und wichtige Zusagen für internationale Festivals vor. Nach Argentinien geht es direkt weiter ins kanadische Toronto, danach Warschau, ins südafrikanische Durban, Edinburgh, Vancouver. Meine Pläne gehen mit einem Leben aus dem Koffer einher...
Wird «Above and Below» ein ähnlicher Kassenschlager wie «Winna – Weg der Seelen», der im Oberwallis für mehrere ausverkaufte Vorstellungen gesorgt hat?
Ich glaube nicht – die Filme und deren Auswertung sind nicht vergleichbar. «Winna» ist sehr lokal vernetzt und trifft einen Oberwalliser Nerv. (Das ist das Tolle. Wie der Film ausserhalb des Wallis oder im Ausland funktioniert, weiss ich nicht.) Es freut mich einfach ausserordentlich, dass es im Oberwallis immer mehr Filmschaffende gibt.
Ein grosses Lob gilt sicher den Kinobetreibern in Brig und Visp, die das Geschehen mit grossem Interesse verfolgen und überhaupt die Plattform dazu bieten. Jene Zuschauer, die meine Arbeit im Allgemeinen schätzen oder mögen, werden sich «Above and Below» anschauen, auch wenn er diesmal nicht im eigenen Garten spielt. Bisher hat der Film polarisiert und ich verspreche glaube ich nicht zu viel, dass es ein zweistündiges Erlebnis wird.
rul
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar