Walliser im Ausland | Im Austauschjahr in den USA
Leon Prata aus Visp: «Ich geniesse jede Sekunde»
Leon Prata aus Visp lebt seit August in der US-amerikanischen Kleinstadt Tillamook. Auf 1815.ch erzählt der 17-Jährige vom Alltag an der High School, von der typischen amerikanischen Höflichkeit und warum es abends ausser Kino und Bowling nicht viel zu tun gibt.
1815.ch: Du absolvierst derzeit ein Austauschjahr in Tillamook (Oregon): Seit wann bist du dort und wie lange wirst du bleiben?
Leon Prata: Ich bin am 12. August 2015 in den USA angekommen, das heisst vor fünf Monaten. Am 28. Juni 2016 fliege ich zurück in die Schweiz. Das Austauschjahr dauert etwas mehr als zehn Monate.
Wie sieht dein Alltag als Schüler in den USA aus?
Die Schule hier ist komplett anders, auch die Einstellung der Schüler gegenüber der Schule. Die High School muss praktisch die Schüler dazu motivieren, zu kommen und gute Noten zu machen. In der Schweiz ist es normal, in die Schule zu gehen und genügend gute Noten zu machen. Die Schulen bieten uns Wissen und eine Zukunft und deshalb gehen wir hin.
Mein Schul-Alltag hier sieht wie folgt aus: Ich stehe um 7:30 Uhr auf und um 8:15 Uhr beginnt der Unterricht, ausser am Montag, dann fängt die Schule erst um 9:15 Uhr an, was seine Vorteile hat. Das Schuljahr hat drei Trimester mit jeweils fünf unterschiedlichen Fächern. An jedem Schultag im Trimester hat man dieselben fünf Fächer. In der kurzen Mittagspause essen wir in der Schulkantine. Der Unterricht endet um 15:20 Uhr. Danach mache ich entweder Sport, was hier ziemlich wichtig ist und wiederum mit der Schule zusammenhängt, oder gehe nach Hause.
Was machst du in deiner Freizeit?
In meiner Freizeit treibe ich Sport, treffe mich mit Freunden, gehe ins Kino oder mache eine Entdeckungsreise. Meistens verbringe ich einfach Zeit mit meiner Gastfamilie, die ziemlich aktiv ist, lerne Neues kennen und lasse mich von jedem Tag überraschen.
Wieso hast du dich für deinen Austausch gerade für die USA entschieden?
Meine Mutter hat ebenfalls einen Austausch in den USA gemacht und hat immer davon geschwärmt. Ich wollte mein Englisch verbessern und einen anderen Kontinenten kennenlernen. Zur Auswahl standen somit Australien, Südafrika, USA oder Kanada. Der Entscheid fiel eigentlich ziemlich schnell, da ich schon immer ein Fan der USA war.
Wem bist du in Tillamook zuerst begegnet?
Als erstes bin ich Don Sheneberger begegnet. Er hat mich für die ersten drei Wochen bei sich aufgenommen, bis meine definitive Gastfamilie offiziell bestätigt wurde. Ich hatte eine tolle Zeit mit ihm. Ich war sein 14. Austauschschüler. Mit seiner grossen Erfahrung konnte er mir in dieser Anpassungszeit gut helfen.
Wie wohnst du jetzt?
Ich wohne in einem relativ grossen Haus. Es befindet sich zirka zehn Fahrtminuten ausserhalb des Stadtzentrums. Ich habe mein eigenes Schlafzimmer, auch wenn ich, abgesehen vom Schlafen, sehr wenig Zeit darin verbringe. Wie die meisten Häuser in Amerika ist unseres aus Holz gebaut; der einzige mit Ziegelstein gebaute Teil ist der Kamin. Bei grossen Stürmen, wie wir einige haben, und bei Bildern von Tornados in den Nachrichten, verspürt man doch eine gewisse Unsicherheit. Leise durch das Haus zu schleichen, ohne einen Ton zu machen, ist absolut unmöglich.
Was erhoffst du dir von deinem Aufenthalt?
Als erstes natürlich mein Englisch zu verbessern, wobei ich schon jetzt ziemliche Fortschritte gemacht habe. Und dann möchte ich einfach so viel wie möglich über diese neue Kultur und Umgebung lernen und das Jahr in vollen Zügen geniessen. Da dieses Schuljahr in der Schweiz nicht zählt, habe ich spezielle Fächer ausgewählt, die mich interessieren und die ich in der Schweiz nicht hätte, wie Fotographie, Film, Robotic, Philosophie usw.
Haben sich diese Erwartungen bis jetzt erfüllt?
Absolut! Mein Englisch ist inzwischen ziemlich gut, abgesehen von einem kleinen Akzent. Das muss aber nicht schlecht sein… Ich habe viele Schulfächer ausgewählt, die ich in der Schweiz nicht nehmen könnte. Schon viel habe ich übers Land gelernt und geniesse jede Sekunde davon. Besichtigt habe ich auch schon ziemlich viel und habe auch noch einiges vor.
Tillamook ist eine amerikanische Kleinstadt an der Westküste. Wie würdest du das Leben dort bezeichnen?
Kleinstadtleben auf dem Land halt! Viele Bauern und Landwirtschaft sowie mehrere Sägereien. Das Leben hier ist ganz einfach. Tillamook ist eigentlich so ein amerikanisches Städtchen, wie es sich die meisten vorstellen.
US-Amerikaner gelten allgemein als sehr freundlich aber oberflächlich. Welche Erfahrungen hast du gemacht?
Die Leute sind hier wirklich sehr freundlich und hilfsbereit und wenn du aus einem anderen Land kommst, finden sie’s noch interessanter. Sie fangen einfach ganz selbstverständlich Diskussionen mit total unbekannten Leuten an. Das sieht man in Europa eher selten. Ich konnte mir nie richtig vorstellen, wie dieses «oberflächlich» gemeint war, als man mir das erzählt hat. Nun denke ich, dass damit gemeint ist, dass sich die Leute hier meistens freundlich geben und fragen, wie’s einem geht, aber nur aus Höflichkeit. Sie interessieren sich nicht wirklich dafür. In Europa erkundigt man sich nur, wenn man sich zumindest ein wenig interessiert, ansonsten fragt man gar nicht erst. Vielen Amerikanern geht es weniger um die inneren Werte einer Person, sondern nur um die äusseren und wie man sich benimmt oder gibt.
Wie ist das Wetter momentan?
Im Sommer und Anfang Herbst war es recht trocken und sonnig, nun über den Winter schneit es leider nicht, sondern es regnet und zwar ziemlich viel. Wir hatten schon ein paar Hochwasser-Situationen mit Erdrutschen und die Schule wurde geschlossen. Das schöne Walliser Wetter mit maximal zwei Tagen schlechtem Wetter kann man sich hier nur erträumen.
Was unterscheidet die US-Amerikaner von den Wallisern?
Wir Walliser sind nicht für unsere Freundlichkeit und spontane Gastfreundschaft bekannt, im Gegensatz zu den Amerikanern. Zudem sind wir ziemlich weltverschlossen, «ts Wallis und susch nix!». In den USA ist das ein wenig anders, denn alle sind ursprünglich Einwanderer. Feindseligkeiten gegenüber anderen Ortschaften/Regionen gibt es auch, aber in geringerem Masse. Überraschenderweise habe ich festgestellt, dass unser Walliser Patriotismus ein wenig grösser ist als jener der Amerikaner. Beide haben auch etliche Gemeinsamkeiten wie die prächtige Natur, hart arbeitende Leute, die Jagd und Industrie.
Welches Bild der Schweiz hat man in Tillamook?
Lustig ist, dass vor ein paar Generationen sehr viele Schweizer nach Tillamook ausgewandert sind. Somit gibt es hier eine ziemlich grosse Schweizer Gemeinschaft. Tillamook ist bekannt für seinen Käse und seine Eiscreme. Diese Industrie wurde von den Schweizer Einwanderern aufgebaut. Ich erzähle immer wieder Familien mit Schweizer Nachnamen, was diese bedeuten, wie beispielsweise «Zurcher», vom Namen «Zürcher» abgeleitet. Auch meine Austauschfamilie hat Schweizer Wurzeln und nämlich diejenigen der, meiner Meinung nach, besten Chips der Welt: Zweifel. Jeder hier kennt die Schweiz und deren typischen Merkmale.
Hast du manchmal Heimweh?
Am Anfang ging es eigentlich ziemlich gut. Ich hatte bisher noch nie richtig Heimweh und da so Vieles neu war, hatte ich nicht viel Zeit, um Heimweh zu haben. Nun, Weihnachten war schon ziemlich komisch und Neujahr und die Fasnachtszeit. Allen Austausch-Studenten geht es um diese Zeit am schlechtesten. Mein Grund fürs Heimweh ist vor allem, dass mir meine Unabhängigkeit ziemlich fehlt. Den ÖV kennen Sie hier nicht wirklich und ohne Auto kommt man nirgends hin. Am meisten vermisse ich die Familie und Freunde und speziell jetzt in der Fasnachtszeit den «Üsgang» und die Feste.
Was vermisst du am meisten aus der Schweiz?
Absolut meine Unabhängigkeit. Auch wenn das Autofahren in der Schweiz erst ab 18 Jahren erlaubt ist, kommt man trotzdem mit guten ÖV-Verbindungen überall hin. Zudem ist in der Schweiz alles ziemlich nahe. In den USA darf ich während dem Austauschprogramm nicht fahren und bin dadurch auf Freunde und Familie angewiesen, die mich herumfahren. Auch abends gibt es für Jugendliche unter 21 Jahren nichts zu tun ausser Kino und Bowling.
Hast du dich verändert, seit du in den USA lebst?
Im Grossen und Ganzen bin ich noch mich selbst. Mein Wissen hat sich verändert und einige Ansichten. Ich hatte Zeit, über Vieles nachzudenken und die Erfahrung dieses Austauschjahres hat mir definitiv viel gebracht. Ich habe gelernt, Sachen, die wir als normal erachten, schätzen zu lernen. Man sagt, man könne etwas erst richtig schätzen, wenn man es nicht mehr hat. Ich habe erkannt, welches Glück ich habe, die Schweiz und das Wallis als mein Heimatland bezeichnen zu dürfen.
Hast du einen Insider-Tipp für Oregon-Reisende?
Wie viele sagen, ist Oregon einer der schönsten, wenn nicht der schönste Staat der USA. Eine wunderschöne Meeresküste mit vielen Buchten und Stränden und riesigen Wäldern. Alles ist riesig hier! Die wunderschöne Stadt Portland ist nur zu empfehlen, sowie der mit Schnee bedeckte Vulkan Mount Hood, wo man Skifahren kann. Am besten fährt man die Küste entlang, denn da sieht man am meisten. Und Tillamook ist absolut einen Halt und ein Kreuz auf der Landkarte wert!
Für unsere Rubrik «Walliser im Ausland» sind wir regelmässig auf der Suche nach Wallisern, die fernab der Heimat leben. Gehören Sie auch dazu oder kennen Sie jemanden? Dann freuen wir uns auf Ihre Nachricht an info@1815.ch.
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Kommentare
Marie-Therese Stern - ↑2↓1
Hello dear Léon,
Super wie du dein USA Aufenthalt kommentierst. Weiterhin viel Spass und viel herzliche Grüsse.
Marie-Thérèse
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