Zerstörungskraft des Schnees
Lawinen im Fokus
In der Idylle der weissen Winterzeit bieten verschneite Berglandschaften nicht selten atemberaubende und spektakuläre Panoramen für Einheimische und Reisende aus nah und fern. Geraten die verschneiten Hänge jedoch in Bewegung werden sie zur unaufhaltsamen und zerstörerischen Gewalt. Eine Gefahr, mit der sich die Walliser Bergbevölkerung seit jeher auseinandersetzen muss.
Viele werden sich noch an den Lawinenwinter im Jahr 1999 erinnern. Einen Winter mit unzähligen Lawinenereignissen im gesamten Alpenraum. In der Schweiz gingen damals über 1550 Schadenlawinen nieder, allein in der zweiten Februarhälfte waren es über 500. Dabei verstarben bei nichttouristischen Unfällen insgesamt 17 Personen, während im selben Zeitraum nicht weniger als 131 Schneesportler bei 77 Lawinengängen verschüttet wurden und weitere 19 Personen den Tod fanden. Derartige lawinenreiche Winter ereignen sich in den Alpen normalerweise alle paar Jahre oder Jahrzehnte, wie Erfahrungswerte zeigen.
«Lawinenwinter sind aussergewöhnliche Winter, in denen es aufgrund spezieller Witterungs- und Schneedeckenverhältnisse zu zahlreichen Lawinenniedergängen kommt, die dann meist auch bedeutende Sachschäden verursachen und nicht selten Verletzte oder Todesopfer fordern», erklären Stefan Margreth und Dr. Michael Bründl vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) auf Anfrage. Voraussetzungen für einen Lawinenwinter seien intensive Schneefälle kombiniert mit hohen Windgeschwindigkeiten, die über einen längeren Zeitraum andauern, meist mehrere Tage, sowie eine labile Schneedecke. «Dabei können die intensiven Niederschlagsperioden auch mehrfach innerhalb eines Winters auftreten, wie etwa in den Lawinenwintern 1950/51 oder 1998/99.»
Wallis teils sehr lawinenexponiert
Verschiedene Oberwalliser Gebiete, wie beispielsweise das Goms, das Matter- oder das Saastal, sind aufgrund ihrer topografischen Verhältnisse stark lawinenexponiert, erklären die beiden Spezialisten des SLF weiter. «In diesen Gebieten können Lawinen mehr als 2000 Meter abstürzen und in der Folge den ganzen Talboden durchfliessen.» Kritische Lawinensituationen würden dabei vor allem bei intensiven Neuschneefällen sowohl durch Südstaulagen als auch durch Nordwestlagen entstehen. Eine weitere Besonderheit sei zudem die Gefährdung durch Gletschabstürze, etwa beim Weisshorn. «Im Winter können kombinierte Eis-Schneelawinen ein sehr grosses Ausmass annehmen.»
Da der Tourismus im Wallis von grosser Bedeutung ist und der Zugang zu den Skiorten häufig durch lawinenexponierte Gebiete erfolgt, spielen die Einstufung der Lawinengefahr und die Anforderungen an den Lawinenschutz laut SLF eine entscheidende Rolle. «Dass ein Tourismusort mehrere Tage infolge Lawinengefahr nicht erreicht werden kann, wird heute immer weniger akzeptiert», betonen Margreth und Bründl. «Weil insbesondere die Ansprüche an die Verfügbarkeit von Verkehrsachsen zunehmen, steigen die Anforderungen an den Lawinenschutz stetig.»
Neben lawinengefährdeten Zugängen zu den Tourismusorten stehen auch die wichtigen Transitachsen, wie der Simplonpass, im Fokus der Lawinenschutzbestrebungen. In den letzten Jahrzehnten sei deshalb die Sicherheit entlang dieser Achsen weiter verbessert worden, etwa durch Galerien bei der Nationalstrasse auf der Simplonstrecke oder Lawinenverbauungen auf dem Pass selbst. «Für den Schutz der Verkehrsachsen werden insbesondere auch Methoden der künstlichen Lawinenauslösung immer wichtiger.» Hinzu kommt, dass in allen potentiell gefährdeten Gebieten inzwischen professionell ausgebildete Sicherungsdienste für die Sicherheit der Bevölkerung und der Touristen sorgen.
Lawinenforschung in der Schweiz
«Die Lawinenforschung hat in der Schweiz eine lange Tradition», erklären Stefan Margreth und Dr. Michael Bründl vom SLF. «Sie hat heute in der Schweiz einen hohen Stand erreicht und darf in dieser Breite international als führend bezeichnet werden.» Bereits im Jahr 1936 begannen engagierte Forscher sich auf dem Weissfluhjoch mit der Erforschung der Eigenschaften von Schnee und der Bildung von Lawinen auseinanderzusetzen. Nach dem Lawinenwinter 1950/51, in dessen Verlauf 98 Personen durch Lawinen starben und gegen 1'500 Gebäude zerstört worden waren, sind die Forschungen am SLF dann stark ausgeweitet worden.
«Neben der Erarbeitung von Grundlagen für den technischen Lawinenschutz, wie etwa Galerien, beschäftigte sich die Forschung bereits in den 50er-Jahren intensiv mit der Erstellung von Gefahrenkarten.» Dafür können seit 1995 auch in einem entsprechenden SLF-Versuchsgelände Vallée de la Sionne, oberhalb von Sitten, wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Insgesamt wurde in den letzten fünfzig Jahren mit rund 1.5 Milliarden Franken sehr viel Geld in die Lawinensicherheit investiert. «Heute sind die wichtigsten gefährdeten Siedlungsgebiete mit baulichen Massnahmen vor Lawinen geschützt.» Für die entsprechenden Gebiete sind weiter Gefahrenkarten vorhanden, die anzeigen, wo mit hoher, mittlerer und geringer Lawinengefährdung zu rechnen ist.
Während den Wintermonaten wird vom SLF zweimal täglich ein Lawinenbulletin herausgegeben, welches Sicherungsverantwortliche für Siedlungen, Verkehrswege, Infrastrukturbetreiber und Personen, die sich im freien, ungesicherten Gelände bewegen, über die allgemeine Schneesituation, die Stabilität der Schneedecke und die Wahrscheinlichkeit einer Lawinenauslösung informiert. Die Grundlagen für das Ergreifen von organisatorischen Massnahmen, wie Sperrungen oder künstliche Lawinenauslösung, sind insbesondere nach dem Lawinenwinter 1999 stark verbessert worden. Hinzu kam eine zsätzliche Optimierung bei der Ausbildung der Sicherungsdienste selbst. «Seit dem Jahr 2000 haben über 1000 Personen aus verschiedenen Sicherungsdiensten die Ausbildungskurse des SLF besucht.»
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