Walliser im Ausland | Walburga Baur-Stadler berichtet aus der Ferne
«Krank sein in Kalifornien»
Seit 18 Jahren lebt Walburga Baur-Stadler in Südkalifornien. Sie ist im Wallis aufgewachsen und seitdem hat es sie in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Vor einigen Monaten wurde bei Baur-Stadler Lungenkrebs diagnostiziert. Auf 1815.ch erzählt sie, wie es ihr damit ergeht.
Walburga Baur-Stadler (wbaur@roadrunner.com) hat sich nach zahlreichen Auslandserfahrungen vor 18 Jahren in Südkalifornien niedergelassen, ausserhalb von Los Angeles, am Fuss der San Gabriel Berge. Ihre Zeit widmet sie ihrem Garten, dem Malen und Singen.
Auf 1815.ch berichtet sie in loser Reihenfolge über ihr Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten:
«Liebe Leser/innen, eigentlich versuche ich immer, etwas Lustiges aus der neuen Welt zu berichten. Aber momentan ist es mir leider nicht gerade so lustig zumute. Im vergangenen März ging ich zu meiner Familienärztin, weil ich beim Treppensteigen mehr ausser Atem war, als es normal wäre. Nach Röntgen-Aufnahmen, CT-Scan und Biopsie stellte sich dann heraus, dass ich Lungenkrebs hatte.
Ich erspare Ihnen die Einzelheiten meines Ärzte-Balletts, bis alle Voruntersuchungen vorbei waren. Einziges lustiges Detail: Alle Ärzte und Ärztinnen sowie der Apotheker sind Inder, mit Ausnahme von Dr. Raptis, der ein Grieche ist. Aber seine Frau sei auch Inderin! Ich habe sie alle wissen lassen, dass ich nichts dagegen habe, von einer indischen Ärzte-Mafia behandelt zu werden!
Am 22. Juni frühmorgens wurde ich operiert. Als ich so langsam in der Intensivstation zu mir kam, tastete ich meine Schulter ab, wo der Eingriff hätte stattfinden sollen. Da war aber nichts. Dafür war mein ganzer rechter Oberkörper von unterhalb der Brust bis in den Rücken dick verbunden. Selbst in meinem Dusel merkte ich, dass da etwas nicht so vorgegangen war, wie ich mir das vorgestellt hatte!
Da ich nur als Kind in Visp im Spital war, wegen der Mandeloperation und etwas später noch wegen dem Blinddarm, kann ich mich nicht so genau an Spitalgewohnheiten erinnern. Also hier hat es an der Wand gegenüber dem Fussende des Bettes eine Tafel, auf der zuoberst gross das aktuelle Datum steht. Darunter der Name der diensthabenden Oberkrankenschwester, der Hilfsschwester und zuletzt noch einer Hilfspflegerin. Für alle ist eine Telefonnummer aufgeführt, unter der man sie direkt erreichen kann, zum Beispiel wenn man aufs Klo muss oder denkt, eine weitere schmerzstillende Spritze oder Pille wäre nun fällig. Das Telefon hängt an einem dicken Kabel. Ebenso die Bedienung des Fernsehapparats. Vor allem wenn man noch halb im Dusel ist, kann man die beiden ohne weiteres verwechseln. Und wenn man aufsteht, landen sie meist recht geräuschvoll am Boden.
Nachdem ich von der Intensivstation zu den regulären Post-Operations-Patienten transferiert wurde, kam auch die Dame, die für das Essen zuständig war. Ich fand das Essen obergrusig. Alles war in kleine Würfelchen gehackt, ob Bohnen, Rüebli, Teigwaren oder Fleisch und hatte überhaupt keinen Geschmack. Die Dame gab mir eine Wunschliste zum Lesen, die für jeden Tag ein eigenes Menü hatte. Ausserdem gab es je nach Wochentag noch Spezialitäten. Zu meiner Freude entdeckte ich Joghurt, Quark und frische Früchte. Nach dem geschmacklosen Essen befragt, teilte mir die Dame mit, dass der Arzt für mich eine weiche, salzlose Diät verordnet hatte. Sie bat mich auch, einen Meinungsumfrage-Zettel auszufüllen. Ich sagte: 'Sind Sie sicher?' Und sie bejahte es. So tat ich mein Werk und gab allem ganz schlechte Noten.
Nach einigen Tagen kam dann Ursula, die Freundin, die bei mir zuhause wohnen und nach mir schauen würde. Wie es sich so tat, kam sie gerade, als das Essen hereingebracht wurde. 'Jetzt kannst du einmal selbst versuchen, wie schlecht das Zeug ist', sagte ich und behielt nur den Schokolade-Pudding und die Banane für mich. Ursula fing an zu essen, sagte, es schmecke alles vorzüglich, das seien nur meine Geschmacksnerven, die wegen den vielen Medikamenten nicht mehr richtig funktionierten. So machten wir ab, dass sie jeden Tag gegen die Zeit auftauchte, als das Essen verteilt wurde. Ich lud sie grosszügig zum Mittagessen ein und sie holte mir nachher ein Glacé in der Cafeteria.
Nach zehn Tagen, als endlich alle Klammern und Schläuchlein entfernt worden waren, durfte ich heim. Ursula stürzte sich mit Wonne ins Schwimmbad und in die Küche. Leider war ich keine gute Kundin, da ich immer noch keinen Appetit und – zu meiner grossen Freude – sechseinhalb Kilos abgenommen hatte. Fast jeden Tag unter der Woche kam auch eine Krankenschwester oder eine Physiotherapeutin, um nach mir zu schauen. Und nach drei Wochen war ich soweit, dass Ursula wieder zu ihr nach Hause fahren konnte – das heisst nördlich von San Francisco, neun Stunden im Auto. Jetzt bin ich wieder Herr und Meister und niemand hat etwas dagegen, wenn ich erst um 9 Uhr morgens aufstehe. Sogar meine beiden Katzen haben begriffen, dass es neuerdings kein Frühstück sondern Brunch gibt.
Inzwischen habe ich auch die Bestrahlungstherapie begonnen. Ich wurde an verschiedenen Stellen des Oberkörpers tätowiert und muss jetzt sechs Wochen lang täglich, ausser Samstag und Sonntag, hingehen. Die Bestrahlung schmerzt überhaupt nicht. Einziger Nachteil: Ich darf nicht mehr ins Schwimmbad, da die bestrahlte Haut sehr rasch eine Infektion einfangen könnte.
Wenn die Bestrahlung zu Ende ist, kommt dann wahrscheinlich noch die Chemotherapie. Ich weiss, dass es einem da meist schlecht wird, man erbrechen muss und überhaupt keinen Appetit hat und dass man alle Körperhaare verliert. Ich habe mir da aber bereits zwei Pluspunkte ausgerechnet: 1. Wenn man die Haare verliert, wachsen sie dann kruselig nach und ich hätte schon immer gerne krause Haare gehabt. 2. Von wegen Gewichtsverlust: Je mehr, je besser! Ich habe ziemlich viel Vorrat, auf den ich verzichten kann!!
So kann es dann möglich sein, dass ich, einmal genesen, eine schlanke, ranke, kraushaarige ältere Dame sein werde. Falls es zutrifft, kommt dann ein Foto!»
Als Vierjährige zog Walburga Baur-Stadler mit ihrer Familie ins Wallis, wo sie aufgewachsen ist und die Real- und Handelsschule im Institut St. Ursula in Brig besuchte. Nachdem sie zwei Jahre lang Sekretärin bei den Walliser Kraftwerken in Visp war, zog es sie nach Oxford, um Englisch zu lernen.
Danach trat Walburga Baur-Stadler eine Stelle beim Politischen Departement in Bern (heute: Departement für auswärtige Angelegenheiten) an und wurde in Belgien, Marokko, Thailand und Madagaskar als Sekretärin eingesetzt. Nach ihrem Wechsel in die konsularische Laufbahn kam es erneut zu Versetzungen: Mailand, Kongo, Peru, Costa Rica und Kalifornien, wo sie ihren Mann, einen Zürcher, kennenlernte und heiratete. Gemeinsam waren die beiden noch in Spanien und Argentinien, wo sich Baur-Stadler Ende 1998 im Grad einer Generalkonsulin frühzeitig pensionieren liess.
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Kommentare
Charles-Louis Joris - ↑0↓0
Ich glaube geren, Walburga, dass du dich geren des Spitals Visp und der darin durch Doktor Meyer erfolgte Mandeloperation erinnerst.
Vie Tage lang konntest du danach Glacé à discrétion futtern, weil der Arzt nur selbuiges als Nahrung zuliess. Mir wurden die Mandeln nicht geschnitten und ich bin heute noch neidisch auf Barbara Ludi, die vor uns neidischen Besuchern so etwa alle 15 Minuten sich einen neuen Becher bringen liess und nicht einen einzigen Tropfen davon für uns Lechzer fallen liess,
Gruss
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