Musik | Sich auf Neue Musik einlassen – das Forum Wallis bot ausreichend Gelegenheit dazu
Klänge verführen zum Kopf-Kino
LEUK-STADT | Ein Ton, dann Stille. Ein paar Sekunden später ein Schlag. Dann nichts. Plötzlich vereinen sich Klänge, werden laut, verstummen wieder. Um kurz darauf wieder den Raum zu erfüllen. Was fehlt, ist die Melodie. Musik ist es trotzdem. Neue Musik nämlich.
LOTHAR BERCHTOLD
Sich als Laie auf diese Art von Musik einzulassen – dazu braucht es eine gesunde Portion Neugier. Wer’s zum ersten Mal tut, dem wird auch ein gewisses Mass an «akustischem Stehvermögen» abverlangt.
Weil Musik ohne Melodie daherkommt wie eine Hängebrücke ohne Geländer: Man gerät ins Schwanken, findet dabei aber nirgendwo Halt, wird von Unsicherheit beseelt. Spannend kann es trotzdem werden. Nicht immer, aber immer wieder mal.
Ganz andächtig
lauscht das Publikum…
Eintauchen in Neue Musik – das Forum Wallis bietet in Leuk-Stadt seit Jahren stets über die Pfingsttage Gelegenheit dazu. Ein Stelldichein der «Creme de la creme» dieser Stilrichtung ist es, das da im Schloss Leuk jeweils über die Bühne geht. Heuer war dies zum 13. Mal der Fall. Und weil mir Neugier nicht ganz fremd ist, fand ich mich am Eröffnungsabend mit dem deutschen Ensemble «Aventure» im rund 35-köpfigen Publikum wieder.
Eine kurze Begrüssung von Javier Hagen, dem «Forum-Wallis-Vater», dann betreten die Musikerinnen und Musiker den Saal. Die ersten Klänge erobern den Raum, bringen Saiten zum Schwingen und das Ensemble in Bewegung. Andächtig lauscht das Publikum, ich versuche es auch.
Dass ich mir als Zuhörer irgendwie als Fremdling vorkomme – was solls? Aber mindestens 80 Prozent des Publikums hier dürfte schon aus Komponisten und Interpreten der Neuen Musik bestehen, denke ich mir. Also aus Leuten, die in den Tagen nach dem Eröffnungskonzert selbst vors Publikum treten. Ein Insidertreffen, dieses Forum Wallis? Hauptsächlich schon, denke ich mir. «Ein Labor und Bio-
top» sei das Ganze, hatte mir Javier Hagen vor Konzertbeginn erklärt,
Mal ist es Alltagshetze,
mal ist es Alpenwind
Während ich meine Gedanken wandern lasse, entlockt das Ensemble aus Freiburg im Breisgau seinen Instrumenten Klang und Klang. Und irgendwann setzt diese Neue Musik mein Kopf-Kino in Gang, mein geistiges Auge verwandelt Klänge und Schläge in Figuren: Mal sind es die frechen Trickfilm-Mäuse Tom und Jerry, die da durch die Gegend jagen; mal fühl ich mich in eine Grossstadt-Hetze versetzt, dann katapultieren mich die Töne auf irgendeine Alp; mal glaube ich, Wind zu spüren, mal sind es eher Abgase. Und irgendwann ist das erste Stück vorbei – und ich mit den andern am Applaudieren. Sie würden heute Abend ihre Lieblingsstücke spielen, erklärt einer der Musiker. Was heisst, dass alles von lateinamerikanischen Komponistinnen und Komponisten stammt, was es zu hören gibt. Das Stück, welches das Konzert eröffnete, hiess «macchina». Es habe die Verfallszeit von Maschinen thematisiert, bekommt das Publikum zu hören. Und dann gehts weiter mit der Neuen Musik.
Plötzlich machen sich auf vielen Gesichtern im Publikum Schmunzeln und stummes Lächeln breit.
Alte und neue Musik treffen sich unfreiwillig
Traditionelle Musik zaubert dies hervor. Sie kommt nicht von der Bühne, sondern durchs Fenster. Denn draussen vor dem Schloss übt die einheimische Musikgesellschaft fürs Kantonale. Alte Musik trifft auf neue. Unfreiwillig.
Die Musikerinnen und Musiker von «Aventure» lassen sich davon nicht beirren, beglücken ihre Gäste weiter mit lateinamerikanischen Kompositionen. Und beim dritten Stück des Abends ertönt, was mir ein wenige Halt bietet: Melodie. Also das Geländer auf der Hängebrücke namens Neue Musik. Ich geniesse es.
Neue Musik ist wie abstrakte Malkunst – dies eine Feststellung, die ich auf dem Heimweg machte: Auch dort ist Neugier gefragt, auch dort ist ein gewisses Mass an Stehvermögen vonnöten, auch dort wird letztendlich auf sich selbst zurückgeworfen, wer sich darauf einlässt. Und spannend werden kanns in der Welt der ungewohnten Klänge genauso wie in jener der ungegenständlichen Malerei.
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