Walliser im Ausland | Kevin Schmid in Toronto
«Keine Zeit für Heimweh!»
Kevin Schmid aus Brigerbad verbringt derzeit ein Austauschsemester in Toronto. Auf 1815.ch berichtet der 24-Jährige über das Leben in einer Multikulti-WG und gesteht, dass er kein Fan von Ahornsirup ist.
Kevin Schmid, du absolvierst derzeit ein Austauschsemester in London bei Toronto. Was hat dich gerade nach Kanada verschlagen?
«Kanada mit seinen atemberaubenden Landschaften und der aussergewöhnlichen Vielfalt an schönen Plätzen und Sehenswürdigkeiten hat mich schon immer fasziniert. Es war immer mein Traum, ins Land des Ahornblattes zu reisen. Als ich die Möglichkeit erhielt, dieses Abenteuer in Form eines Austauschsemesters zu erleben, musste ich nicht zweimal überlegen. Zudem ist es auch für mein Studium der Betriebsökonomie sehr interessant, da Kanada, neben der Schweiz, eines der besten Wirtschaftssysteme hat, welches dem Land zu einem sehr hohen Lebensstandard verholfen hat.»
Seit wann bist du dort und wie lange wirst du bleiben?
«Mein Auslandaufenthalt dauert auf den Tag genau vier Monate. Ich bin Ende August nach Kanada gereist und werde zwischen Weihnachten und Neujahr ins Wallis zurückkehren.»
Wem bist du zuerst begegnet?
«Mein chinesischer Mitbewohner Ian war einer der Ersten, dem ich begegnet bin. Er war schon ein Tag vor mir angereist und war froh, nun nicht mehr alleine zu sein. Nach anfänglichen Verständigungsproblemen lernten wir uns besser kennen und begannen als erste, unser Studentenhaus einzurichten.»
Wie wohnst du?
«Ich wohne in einer Studentensiedlung mit über 60 Häusern. In meinem Haus lebe ich mit einem Chinesen, einem Deutschen, einem Holländer, einem Belgier und einem Kanadier zusammen. Diese multikulturelle Zusammensetzung macht das Leben hier sehr interessant und man lernt sehr viel über andere Länder, Kulturen und Gepflogenheiten. Zudem ist in unserer Studentensiedlung immer was los und es kommt neben dem umfangreichen Freizeitprogramm nicht selten auch zu spontanen typisch nordamerikanischen Homepartys.»
Wie sieht ein typischer Tag bei dir aus?
«Nach dem allmorgendlichen Frühstück besuchen wir sehr oft das Fitnessstudio, welches sich auf unserem Schulgelände befindet. Da wir oft erst nachmittags Unterricht haben, ist dies eine ideale Möglichkeit, den Tag in Schwung zu bringen. Nach dem Mittag ist dann oftmals Schule angesagt, gefolgt von etwas Selbststudium in Form von Online-Lektionen und schriftlichen Arbeiten. Am Abend kochen wir oft alle gemeinsam und lassen den Tag mit einem Filmeabend, einem Spieleabend oder gemütlichem Beisammensein ausklingen.»
Wie hast du es erlebt, Mitglied eines Fussball-College-Teams zu sein?
«Obwohl man es in Kanada nicht wirklich erwartet, wird hier auch Fussball gespielt. Und zudem sehr gut! Bei den College-Sportmannschaften ist alles sehr professionell aufgebaut und so wurde erst kürzlich viel Geld in neue Trainingshallen, Umkleidekabinen und Teambusse investiert. Der Coaching-Staff inklusive Betreuern ist bestens ausgebildet und ermöglichte es uns, unter besten Bedingungen trainieren und Ernstkämpfe bestreiten zu können. Ich hatte eine tolle Zeit mit dem Soccer-Team, habe viele neue Freundschaften geschlossen und auch einiges dazugelernt. Die Provinzialen Finals wurden sogar via Livestream übertragen und so konnten meine Familie und Freunde mich von der Schweiz aus unterstützen. Es war eine rundum tolle Erfahrung.»
Was machst du sonst noch in deiner Freizeit?
«Während der Fussballsaison war neben der Schule, den Trainings und den Spielen nur begrenzt Zeit für anderwärtige Tätigkeiten. Nach Möglichkeit unternehme ich sehr viel gemeinsam mit anderen Studenten, sei es in Form von Roadtrips zu National Parks oder den Besuch von Sportveranstaltungen wie Eishockey-, Baseball- oder Fussballspiele. Es wird einem hier nie langweilig!»
Was hast du dir von diesem Austauschsemester erhofft?
«In erster Linie habe ich mir eine tolle Zeit erhofft, mit vielen schönen Erlebnissen und dass ich wertvolle Erfahrungen fürs Leben sammeln kann. Ich wollte möglichst viel über Land, Leute und die Kultur erfahren und mich mit Menschen aus aller Welt austauschen. In akademischer Hinsicht erhoffte ich mir, meine Englischkenntnisse verbessern zu können und das Semester erfolgreich zu gestalten.»
Haben sich diese Erwartungen bis jetzt erfüllt?
«Ich denke, meine Erwartungen haben sich sogar übertroffen. Die vergangenen Monate waren gespickt mit Höhepunkten und ich habe sehr viele interessante Persönlichkeiten kennengelernt und Freundschaften geschlossen. Das Land an sich gefällt mir ausgezeichnet und ich fühle mich in dieser neuen Umgebung sehr wohl.»
Welches waren die grössten Herausforderungen, denen du dich stellen musstest?
«Das Zusammenleben mit fünf Männern, mit teilweise völlig anderem kulturellen Background, erwies sich als nicht immer ganz einfach. Anfangs war viel Diskussions- und Organisationsaufwand sowie Geduld gefragt. Man muss sich vorstellen: Am Tag der Ankunft war unser Haus leer, mit Ausnahme der fix installierten Sanitärinstallationen, Tischen, Stühlen, einer Couch, Fernseher und einem Bett mit Matratze im Zimmer. Das restliche Material von Kissen und Bettdecke über Pfannen, Teller und Besteck bis hin zu einem Router für das Wifi musste selbst organisiert werden. Bis dann mal alles erforderliche Material vorhanden war, verging schon eine gewisse Zeit. In der Zwischenzeit hat sich jedoch das Leben hier eingependelt und wir managen den Haushalt erfolgreich als Team. Eine andere Herausforderung war die Sprachumstellung. Besonders beim Sprechen dauerte die Gewöhnungsphase etwas länger.»
Wie ist das Wetter momentan?
«Entgegen meiner Erwartungen hatten wir bin anhin einen sehr milden kanadischen Winteranfang. Bis in den späten Oktober hinein hatten wir teilweise T-Shirt-Wetter und konnten sehr viele schöne Sonnentage erleben. Auch im November ging das Thermometer aussergewöhnlich selten unter die Nullgradgrenze und von Schnee war bislang kaum die Rede. Selbst alteingesessene Kanadier rätseln über den diesjährigen Herbst und Winteranfang. Ich bin mal gespannt, ob der Winter im Dezember mit voller Wucht zurückschlagen wird und wir doch noch in den ‚Genuss’ eines kalten kanadischen Winters kommen.»
Kanadier sind hilfsbereit, freundlich und lieben Ahornsirup – dies nur ein paar «Klischées», die einem in Bezug auf dein Gastland einfallen. Wie erlebst du die Kanadier?
«Diese Klischées kann ich so bestätigen. Besonders von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft war ich zu Beginn positiv überrascht. Am Flughafen herumirrend, verzweifelt auf der Suche nach dem Bus Richtung London, dauerte es keine zwei Minuten, bis mir eine nette Dame ihre Hilfe anbot, ihre Arbeit unterbrach und den Weg zeigte. Die Freundlichkeit geht sogar so weit, dass sich manche Kanadier entschuldigen, nachdem man ihnen aus Versehen auf den Fuss getreten ist. Der Ahornsirup ist den Kanadiern heilig. Es gibt hier praktisch kein Gericht, welches nicht irgendwo mit Ahornsirup als Zutat gegessen wird. Ich persönlich bin kein grosser Fan davon. Ich wage dies jedoch nicht unbedingt preiszugeben, denn sonst könnte Schluss sein mit der Freundlichkeit!»
Was unterscheidet sie von den Wallisern?
«Ich finde, die Kanadier sind offener als wir Walliser. Sie scheuen keinerlei Nähe zu Fremden und suchen den Kontakt. Es ist besonders lustig, wenn ich die Mütze des NHL-Klubs der Toronto Maple Leafs trage. Dann kam es schon vor, dass ich auf der Strasse angesprochen wurde, was ich zur Leistung des letzten Spiels meinte. Und schon war man in Kontakt mit einer wildfremden Person. Die Besessenheit vom Sport ist hier im Allgemeinen einzigartig. Sei es Eishockey, Baseball, Basketball oder Fussball, überall auf den Strassen sieht man Leute in den Teamfarben gekleidet und in den Bars und Restaurants werden laufend Spiele übertragen. Es ist als wäre hier vier bis fünf Mal die Woche Cupfinal. Diese Heimatverbundenheit der Kanadier, der Stolz und die Verbundenheit zum Sport ist aussergewöhnlich und ein Erlebnis für jeden Sportfan.»
Welches Bild der Schweiz hat man in Kanada?
«Wenn sie uns nicht gerade mit den Schweden verwechseln, haben Kanadier ein sehr gutes Bild von den Schweizern. Sie verbinden die Schweiz hauptsächlich mit viel Geld, Banken und hohem Wohlstand. Zudem schwärmen sie von unserem Käse, der köstlichen Schokolade und den Uhren. Einige haben mir bereits gesagt, dass sie gerne einmal in die Schweiz in die Ferien fahren möchten. Ich habe ihnen dann natürlich gesagt, dass sie mich am schönsten Fleck, dem Wallis, auf jeden Fall besuchen müssen.»
Hast du manchmal Heimweh?
«Heimweh habe ich eigentlich kaum. Es sind mehr so einzelne Dinge und insbesondere Personen, die ich vermisse. Ich glaube, dass ich schlicht nicht die Zeit habe, Heimweh zu haben. Es ist hier so viel los und um mich herum passieren viele tolle Sachen. Und zudem sind es nur vier Monate und die Zeit vergeht rasend schnell.»
Was vermisst du am meisten aus der Schweiz?
«Am meisten vermisse ich natürlich meine Familie, meine Freunde und meine Freundin sowie das Vereinsleben, welchem ich in der Schweiz üblicherweise beiwohne. Zudem fehlt mir manchmal der Schweizer Käse und frisches Brot vom Beck.»
Hast du einen Insider-Tipp für Kanada-Reisende?
«Wer das Gebiet um Toronto bereist, sollte auf jedem Fall die Niagara Fälle besuchen und die Skyline von Toronto aus der Ferne betrachten. Zudem lohnt es sich im CN Tower mit Blick über ganz Toronto ein feines Mittag- oder Abendessen einzunehmen. Des Weiteren sollte man sich bei Tim Horton’s einen feinen Frühstücksbagel gönnen sowie einen Burger bei Five Guys geniessen. Ein Muss für jeden Fastfood-Fan.»
Für unsere Rubrik «Walliser im Ausland» sind wir regelmässig auf der Suche nach Wallisern, die fernab der Heimat leben. Gehören Sie auch dazu oder kennen Sie jemanden? Dann freuen wir uns auf Ihre Nachricht an info@1815.ch.
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