Alpinismus | Als die vier Erstbegeher jodelnd vom Täschhorn stürmten
Im Schatten des Teufelsgrats
Täsch. Er zählt zu den anspruchsvollsten Graten der Walliser Alpen: Heuer vor 130 Jahren wurde der Teufelsgrat am Täschhorn erstmals begangen. Ein Blick zurück.
«Zwischen der Wand und uns gähnte der schrecklichste Abgrund, den zu sehen mir das Schicksal je beschert hatte. Eine solche Gratformation hatte überhaupt noch keiner von uns zuvor gesehen. Es schien, als ob es auf einmal zwei Grate gäbe, voneinander getrennt durch eine unpassierbare Scharte. Kein Wunder also, dass uns der schiere Horror packte. An eine Umkehr war nicht zu denken, und vorwärts ging es anscheinend auch nicht mehr», beschreibt die englische Alpinistin Mary Mummery ihre Eindrücke am Teufelsgrat in bewegten Worten.
Der vermeintliche «Andenmatten»
Obschon ihr Bericht «Der wahre Test am Täschhorn» bis heute zu den geistreichsten Beschreibungen einer Erstbegehung zählt, ist er erst für die vor wenigen Jahren erschienene Bergmonografie «Dom & Täschhorn» der Herausgeber Daniel Anker, Caroline Fink und Marco Volken ins Deutsche übersetzt worden. Dass damals eine Frau mit von der Partie war, sei bemerkenswert, schreiben die Autoren in ihrer Einleitung. «Dass sie den Bericht über die Erstbegehung gleich selbst verfasste, ist noch beachtlicher.»
Gemeinsam mit ihrem Mann Albert Frederick Mummery, einem Bergpionier seiner Zeit, hat die Alpinistin die Begehung des langen Grats aufs Täschhorn im Juli 1887 ins Auge gefasst. Geführt wurden die beiden von keinem Geringeren als dem bekannten Saaser Bergführer Alexander Burgener und einem bis vor Kurzem unbekannten «Andenmatten». Erst ein Artikel in der SAC-Zeitschrift «Die Alpen» im Juli 2016 deckte eine falsche Schreibweise seines Namens auf. Ein Führerbuch-Eintrag zeigt, dass es sich um den in Saas-Balen und später in Stalden wohnhaften Aloys Anthamatten gehandelt haben muss.
Angriff des Stiers
Das Vierergespann hatte rund um die stundenlange Begehung des Teufelsgrats zahlreiche heikle Momente zu überstehen. Schon am Vortag war die Gruppe auf der Täschalp von einem wild gewordenen Stier attackiert worden, «wobei es ihm schliesslich gelang, unsere ganze Gruppe inklusive Führer auf das Dach der Alphütte zu jagen». In der Nacht wollte das Tier den Bergsteigern dann nochmals an den Kragen, bis es schliesslich vertrieben werden konnte. Da daraufhin an Schlaf nicht mehr zu denken war, begannen die Alpinisten mit den Vorbereitungen für die Tour. Um 1.30 Uhr des 16. Juli brachen sie schliesslich auf.
Kaum gefrühstückt drohte erstmals der Abbruch des Abenteuers. Burgener quetschte sich beim Griff nach einem vermeintlich fest sitzenden Stein den Daumen. «Ein unterdrücktes Stöhnen, eine Blutspur auf dem Fels, gefolgt von einem langen und beeindruckenden Satz im Dialekt war alles, was er uns gnädigerweise an Information zukommen liess», berichtet Mary Mummery. Der Führer habe den anschliessenden Vorschlag, die Tour abzubrechen, trotz fehlendem Gefühl in der Hand mit scharfen Worten kommentiert und seine Begleiter mit einem «Vorwärts» weiter angetrieben.
Angeschlagene Führer
Nur wenig später hatte Anthamatten bei der Überwindung eines der Türme des Grats grosses Glück auf seiner Seite. Ein letzter kleiner Zahn hinderte ihn am Weiterklettern. «Der Zahn war eigentlich so gut wie bestiegen, als wir zu unserem Entsetzen sahen, wie seine Arme abrutschten, und er mit einem letzten verzweifelten Versuch, einen Griff für seine Finger zu finden, kopfüber in den Abgrund stürzte», schildert Mummery den Schreckensmoment. Geistesgegenwärtig hatte Burgener das Seil gepackt und den Sturz mit eisernem Griff aufgehalten.
Während sich die Gruppe von diesem Vorfall erholte, entdeckte Albert Frederick Mummery, dass auch die beiden Champagnerflaschen in Anthamattens Rucksack den Absturz unbeschadet überstanden hatten. «Sogleich öffneten wir eine der Flaschen», um ein Glas davon an Anthamatten weiterzureichen. Mary Mummery, Mitglied in einem Samariterverein, nahm anschliessend eine Einschätzung der Verletzungen vor, bevor die Tour mit dem angeschlagenen Zweitführer, der seinen Kopf in ein grosses rotes Taschentuch eingewickelt hatte, weitergehen konnte.
Jodelnd vom Gipfel
Es folgten schwierige Kletterpassagen und scheinbar unüberwindbare Hindernisse mit brüchigem Gesteinsmaterial. «Müde stapften wir vorwärts. Finger und Füsse längst gefühllos, hellte uns einzig die Hoffnung auf, dass die Schwierigkeiten mit Sicherheit ein Ende nähmen.» Dabei hatte die Seilschaft die Rechnung aber ohne die erbarmungslose Natur gemacht. «Jetzt machten uns zusätzlich die vorgerückte Zeit, aufziehender Nebel und – das Schlimms-te – Müdigkeit, Kälte und Hunger zu schaffen.» Und immer noch folgten weitere Türme, manche mit losem Schotter bedeckt, der bei der leichtesten Berührung davonrollte, so Mary Mummery in ihrer eindrücklichen Schilderung.
«Auf einmal jedoch schienen die Schwierigkeiten abzunehmen, unser Vorsteiger seilte sich wieder an, und wir eilten nun über die Rippe, die bald zu einem breiten Schneegrat wurde. ‹Der Teufelsgrat ist gemacht!› rief Burgener, und wir begannen, durch den Schnee zu hasten», schreibt Mummery. Um 17.30 Uhr standen die Vier endlich auf dem Täschhorn. Doch an eine längere Rast war nicht zu denken: Ein Gewitter näherte sich. So hasteten sie jodelnd und mit triumphierendem Geschrei durch den Sturm dem Kingletscher entgegen, den sie um 20.00 Uhr erreichten. Nach einer strapaziösen Nacht im Freien kam die Seilschaft schliesslich am folgenden Morgen in Randa an.
Bewundernswerte Leistung
«Was die Erstbegeher mit ihrer damaligen Ausrüstung geschafft haben, ist unglaublich», betont Helmut Lerjen auf Anfrage des «Walliser Boten». Der Täscher Bergführer interessiert sich seit Jahren für die Geschichte des Alpinismus im Mattertal und hat den Teufelsgrat vor wenigen Wochen gemeinsam mit seinem Bergführerfreund Michael Lauber erstmals begangen. «Der Grat wird nicht ohne Grund der Teufelsgrat genannt. In den Walliser Alpen zählt er zu den längsten und schwersten seiner Art.» Man sei allein auf dem fast zwei Kilometer langen Grat zwischen acht bis zehn Stunden durchgehend auf exponiertem Gelände unterwegs und müsse stets bei vollster Konzentration sein, sagt der Bergführer.
«Heute wird die Route nur noch selten begangen, weil sie brüchig, schwer und lang ist», beschreibt Lerjen den anspruchsvollen Weg aufs Täschhorn. Wegen des tauenden Permafrosts sei das Gestein im Vergleich zu damals wohl noch instabiler geworden. War der Grat bis zum Ersten Weltkrieg nur gerade rund 15 Mal begangen worden, zählte er später zu einer der klassischen Touren, geriet dann aber wieder in Vergessenheit. Ein Blick zurück zeigt, dass am Teufelsgrat einige ausserordentliche alpinistische Leistungen vollbracht wurden. So etwa die Wintererstbegehung durch Führer Guido Bumann mit Alois Herger und Gerhard Gnos im Jahr 1973. Mit Abstand die meisten Begehungen gelangen zudem dem Täscher Bergführer Alfons Lerjen. Insgesamt 13 Mal führte er Gäste über den Teufelsgrat.
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