Walliser im Ausland | Fabienne Scotton in London
«Ich habe noch nicht viele Teetrinker getroffen»
Seit Januar lebt Fabienne Scotton aus Brig-Glis in der englischen Hauptstadt London. Auf 1815.ch berichtet die 19-Jährige, weshalb man wegen Schnees frei bekommt, über unpünktliche Südamerikaner und das allgegenwärtige «Sorry».
Fabienne Scotton, von Januar bis Juni absolvierst du dein Austauschjahr in London. Weshalb hat es dich gerade nach England verschlagen?
«Vancouver und London standen in der engeren Auswahl. Der entscheidende Punkt war für mich schlussendlich der Akzent. Ich bevorzuge das britische Englisch und dachte mir, wenn ich schon Englisch lerne, dann mache ich es richtig. Ausserdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich einmal sowieso für eins, zwei Monate in Kanada umherreise höher als dies für England der Fall ist.»
Wem bist du in London zuerst begegnet?
«Als erstes bin ich dem Chauffeur begegnet. Da er aus Indien stammt, hatte ich ziemliche Schwierigkeiten, sein Englisch zu verstehen. Mein erster Gedanke war: Was tue ich mir hier an...»
Wie wohnst du?
«Ich wohne in einem modernen dreistöckigen Haus bei einer Gastfamilie in einem ruhigen Viertel im Londoner Vorort Beckenham – 20 Minuten von London Zentrum entfernt. In diesem Haus wohnt ausserdem ein anderer Student plus meine Gastmutter.»
Was hast du dir von deinem Austauschjahr erhofft?
«Das wichtigste bei meinem Austausch war natürlich, mein Englisch zu verbessern. Ausserdem wollte ich neue Kontakte knüpfen und das Grossstadtfeeling erleben.»
Haben sich diese Erwartungen bis jetzt erfüllt?
«Meine Erwartungen sind übertroffen worden. Ich bin nun seit fast vier Monaten hier und habe schon viele Leute getroffen. Mein Englisch hat sich ziemlich verbessert.»
Wie sieht ein typischer Tag im Leben eines Sprachschülers aus?
«Ich stehe um 07:30 Uhr auf und esse mein Frühstück. Danach laufen mein Mitbewohner und ich 20 Minuten zur Schule. Die Unterrichtszeiten sind 09:00 bis 12:30 Uhr und 13:30 bis 15:00 Uhr. Danach treffen wir uns meistens auf einen Kaffee in einem der zahlreichen Restaurants oder fahren mit dem Zug nach London und besuchen ein Museum, laufen durch die Stadt oder gehen shoppen.»
Was machst du in deiner Freizeit?
«Der grösste Teil meiner Freizeit besteht aus Sightseeing. Wir unternehmen viel miteinander. Ich bin seit Januar in London und habe immer noch nicht alles von der Stadt gesehen. London ist so vielseitig, selbst für die Londoner, die seit Jahren hier leben. Nebenbei spiele ich Fussball mit meinen Mitstudenten, gehe joggen oder sitze in einem Café mit meinen Freunden.»
Welchen Herausforderungen bist du begegnet?
«Eine der Herausforderungen ist sicherlich, immer wieder Abschied nehmen zu müssen. Da es nicht wie ein High-School-Jahr ist, haben wir jeden Freitag eine Abschiedsparty, weil uns Studenten verlassen. Es ist immer schade, besonders wenn man sich mit jemandem gut versteht. Zum Teil sind auch die kulturellen Differenzen eine Herausforderung: Da wartet man schnell mal 20 Minuten vor dem Bahnhof, bis die anderen kommen. Besonders die Südamerikaner haben es nicht so mit Pünktlichkeit.
Das Wetter ist ebenfalls eine Herausforderung, da es sich innert Minuten verändern kann. Der ÖV ist auch ein Fall für sich. Wenn es schneit, auch wenn es nur 5 cm sind, werden alle Züge gecancelt. Im März war unsere Schule einen ganzen Tag wegen Schnees geschlossen. In der E-Mail stand, wegen Sicherheits- und Gesundheitsrisiken bleibe die Schule zu. Es hat nicht einmal 10 cm geschneit, was für mich als Walliserin natürlich lächerlich ist. Es war trotzdem schön, zumindest etwas Schnee zu haben.»
Wie ist das Wetter momentan?
«Wetter – das Lieblingsthema der Briten. Die letzten Wochen waren ziemlich grau, recht klischeehaft. Mittlerweile spürt man aber den Frühling. Diese Woche hatte es bis zu 30 Grad. Ich habe gutes Wetter schätzen gelernt und gemerkt, wie sehr man sich über einen sonnigen Tag freuen kann.»
Sie trinken Tee en masse, sind überaus höflich und können nicht kochen: Dies ein paar Klischees, die einem zu den Briten einfallen. Wie erlebst du die Londoner?
«Teetrinker habe ich bis jetzt noch nicht sehr viele getroffen. Kaffee und Bier sind sehr beliebt. Die Höflichkeit kann ich bestätigen. Man hört pro Tag gefühlte 100-mal ‚Sorry’ und in der U-Bahn machen die Herren immer einen Sitzplatz frei für die Damen. Das Essen meiner Gastmutter ist sehr gut. Über die Restaurants kann man sich streiten. Es gibt viele Restaurantketten in London und nicht sehr viele unabhängige Lokale, was ich persönlich schade finde.»
Was unterscheidet sie von den Wallisern?
«Eigentlich nicht so viel, besonders im Nachtleben. Die Engländer mögen, wie die Walliser, das eine oder andere Bier. Ich denke, als Walliser kann man sich hier sehr wohl fühlen.»
Welches Bild der Schweiz hat man in London?
«Das erste Vorurteil ist immer, dass wir alle reich und pünktlich sind. Gefolgt davon, dass wir im Paradies leben und die Londoner selbst gerne in der Schweiz arbeiten und leben würden. Andere haben negativere Vorurteile. Beispielsweise, dass die Schweiz langweilig ist oder wir Schweizer viel zu seriös seien.»
Hast du manchmal Heimweh?
«Ich bin sehr beschäftigt und habe eigentlich immer Leute um mich, da bleibt nicht viel Zeit für Heimweh. Sicherlich vermisse ich meine Familie, meine Freunde.»
Was vermisst du am meisten aus der Schweiz?
«Neben meiner Familie und meinen Freunden, vermisse ich das Essen und die Berge. Die Engländer lieben Kartoffeln in jeder Form. Diese Vorliebe kann ich leider nicht teilen. Ausserdem vermisse ich das Fussballspielen. Ich kann hier zwar zweimal in der Woche mit den Unistudenten mitspielen, aber es ist nicht das gleiche, wie meine eigene Mannschaft um mich herum zu haben.»
Hast du einen Insider-Tipp für London-Reisende?
«Mein Lieblingsstadtteil ist Notting Hill (bekannt aus dem Film mit Julia Roberts und Hugh Grant) mit dem Portobello Market. Dort gibt es verschiedenes Essen und andere Dinge zu kaufen. Shoreditch ist das neue Soho – das Trendviertel schlechthin, mit seinen Graffitiwänden und dem Bricklane Market. Besonders das Nachtleben ist hier am Aufblühen. Diese beiden Orte sind sicherlich einen Besuch wert. Ganz London ist einfach unglaublich.»
Für unsere Rubrik «Walliser im Ausland» sind wir regelmässig auf der Suche nach Wallisern, die fernab der Heimat leben. Gehören Sie auch dazu oder kennen Sie jemanden? Dann freuen wir uns auf Ihre Nachricht an info@1815.ch.
Weiterführende Informationen: Fabienne Scotton hat ihren Sprachaufenthalt über «ESL – Sprachaufenthalte» organisiert. Das Unternehmen bietet an 250 Reisezielen weltweit Sprachaufenthalte in 20 Sprachen an renommierten Schulen an. ESL betreibt in der ganzen Schweiz insgesamt 19 Beratungsbüros, darunter auch eines in Sitten. Hier erfahren Sie mehr.
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