Walliser im Ausland | Carol Williner in Oman
«Ich fühle mich oft sicherer als in der Schweiz»
Carol Williner aus Grächen arbeitet seit einem halben Jahr in der omanischen Hauptstadt Muscat. Auf 1815.ch berichtet die 20-Jährige kurz vor ihrer Rückkehr in die Heimat über die Herausforderungen, als westliche Frau im Orient zu leben, und die Gastfreundschaft der Omani.
Carol Williner, seit Dezember 2016 absolvierst du dein Praktikum in Tourismusmanagement im omanischen Muscat. Was hat dich gerade in den Orient verschlagen?
«Die Stellenausschreibung hat mich direkt angesprochen, vielseitig und abwechslungsreich. Zudem fasziniert mich die arabische Kultur seit längerem und ich wollte ein Land kennenlernen, das sich kulturell und gesellschaftlich von der Schweiz unterscheidet.»
Inwiefern unterscheidet sich der Arbeitsalltag in Oman von demjenigen in der Schweiz?
«Die Arbeitswoche in der arabischen Welt geht von Sonntag bis Donnerstag. Freitag ist Gebetstag. Da ich in einer internationalen Firma tätig bin, gibts sonst keine grossen Unterschiede. Ich arbeite von 09:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Die Arbeiter, die vom Sultan angestellt sind, arbeiten meistens nur von 07:00 Uhr bis 14:00 Uhr. Die Arbeitszeit während des Ramadans unterscheidet sich nochmals, da die Moslems aufgrund des Fastens nicht voll belastbar sind.»
Du arbeitest im Tourismusbereich. Wie vermarktet sich das Land?
«Oman setzt jetzt verstärkt auf Tourismus als zweites Wirtschafts-Standbein. Die Voraussetzungen dafür sind sehr gut. Der Oman ist auf Platz neun was das potenzielle Wachstum in der Tourismusindustrie anbelangt. Ich hoffe jedoch für das Sultanat, dass auch in 20 Jahren immer noch kein Massentourismus entstanden ist, da der sanfte Tourismus das Aushängeschild des Landes ist.»
Wem bist du in Oman zuerst begegnet?
«Ein Fahrer unseres Unternehmens holte mich um halb fünf Uhr morgens vom Flughafen ab. Für mich war es eine Fahrt in eine neue, fremde Welt mit viel Ungewissem, für Ali ein Job früh am Morgen. Deshalb verlief sie stillschweigend und schliesslich setzte Ali mich wortlos vor dem neuen Zuhause ab. Kaum war ich eingeschlafen, wurde ich unsanft vom Muezzin aus der Moschee gegenüber geweckt. Mittlerweile höre ich das Morgengebet gar nicht mehr.»
Wie wohnst du?
«Ich wohne mit meinen Arbeitskolleginnen – eine Omani, eine Ägypterin, eine Philippina, eine Singapurerin und zwei Deutsche – in einer grossen Villa mitten in Muscat in einer von Einheimischen bewohnten Strasse. Wir haben alle riesige Zimmer mit eigenem Bad und teilen uns Küche und Wohnzimmer. Oben auf dem Dach gibts eine grosse Terrasse. Ausser dem Putzmann darf niemals ein Mann dieses Haus betreten! Laufe ich zu Fuss nach Hause, muss ich einen auf der Stadtkarte eingetragenen Fluss überqueren. Zur Vorstellung: Bei uns im Wallis würde man dies ‚as Gluttji’ nennen.»
Wie verbringst du deine Freizeit?
«Als es noch nicht so heiss war, spielten wir oft mit den Einheimischen Beachvolleyball, genossen am Strand Barbecues oder unternahmen Ausflüge an abgelegene Strände. An den Wochenenden reisen wir oft durchs Land. Der Oman hat unglaublich viel zu bieten: Endlose Strände, Wüste, Berge und die einzigartigen Wadis. Manchmal verbringen wir unsere Wochenenden auch in Dubai, da die Vereinigten Arabischen Emirate nur 50 Minuten Flugzeit entfernt sind.»
In welchen Sprachen verständigst du dich im Alltag und bei der Arbeit?
«Am meisten unterhalte ich mich auf Englisch. Da ich aber viele deutschsprachige Kollegen habe, sprechen wir auch oft Deutsch. Mit den Einheimischen und Taxifahrern wechsle ich gerne ein paar Wörter auf Arabisch und ich kam bis jetzt immer an meinem Ziel an. Die Omanis fühlen sich geehrt, wenn jemand ihre Sprache spricht.»
Wie ist das Wetter momentan?
«Momentan ist das Wetter extrem! Die Temperaturen bewegen sich zwischen 43 und 48 Grad und die Luftfeuchtigkeit ist selten unter 50 Prozent. In der Nacht kühlt es leider nicht ab. Die Temperaturen sinken in dieser Zeit nie unter 36 Grad. Dies hat zur Folge, dass die Strassen wie ausgestorben sind. Das Leben spielt sich in der Mall ab. Vor allem jetzt, während des Ramadans, beginnt der Tag erst um 19:00 Uhr, sobald die Sonne untergeht.»
Wie viel kostet eine Tasse Kaffee?
«Eine Tasse arabischer Kahwa kostet um die 50 Rappen. Dieser schmeckt aber eher nach Wasser als nach Kaffee.»
Was ist ein typisches einheimisches Gericht?
«Ein typisches Gericht ist Omani Shuwa. Lamm- oder Ziegenfleisch wird in Bananenblätter eingewickelt und bis zu zwei Tage in einem unterirdischen Feuer im Sand gegart. Wie alle Gerichte wird es mit Reis serviert. Der Oman ist zudem bekannt für seine Datteln. Die frischen Datteln schmecken anders als bei uns. Deshalb esse ich zu jeder Tageszeit und überall Datteln.»
Was hast du dir vom Aufenthalt in Muscat erhofft?
«Ich habe mir erhofft, viele interessante Begegnungen zu machen, offener auf Menschen zuzugehen und mir ein eigenes Bild vom muslimischen Glauben zu machen. Der Islam ist eine sehr friedliche Religion. Der Hauptgrund war, viele praktische Erfahrungen für mein weiteres Studium zu sammeln und die Englischkenntnisse zu vertiefen.»
Haben sich diese Erwartungen erfüllt?
«Meine Erwartungen sind in vollem Umfang erfüllt worden. Ich möchte diese Zeit und Erfahrungen in Oman nicht missen. Mein Horizont wurde in jeder Hinsicht erweitert, ich habe auch mich selber besser kennengelernt. Das einzig Negative in Oman ist die enorme Anzahl an Gastarbeitern aus Indien, Pakistan und Bangladesch. Diese Leute sind sehr eigen und leider hat die indische Kultur grosse Teile Omans, vor allem Muscats, eingenommen.»
Würdest du das Leben in Oman als gefährlich bezeichnen?
«Nein, überhaupt nicht. Ich fühle mich oft sicherer als in der Schweiz, vor allem wenn ich am Abend spät nach Hause laufe. Der Oman wurde vor kurzem zum viertsichersten Land der Welt gekürt. Auch im Supermarkt lassen wir oft unsere Geldbeutel unbeaufsichtigt im Einkaufswagen, so wie das jeder hier macht. Trotz der Nähe zum Jemen und zu Saudi-Arabien ist von den Geschehnissen nichts zu spüren.»
Gibt es als Frau spezielle Herausforderungen in einem muslimischen Land?
«Da die Frauen alle verschleiert sind (keine Ganzkopfverschleierung) werden wir westlichen Frauen recht gemustert und von den einheimischen Frauen als minderwertig eingestuft. Zudem ist es schwierig, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen. Ich hatte das Glück, dass eine Arbeitskollegin einen Omani als Freund hat, so konnten wir wertvolle Freundschaften mit Einheimischen knüpfen. Eine weitere Herausforderung im Oman ist die Reiserei. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel. Die meisten Omanis kaufen sich am 18. Geburtstag ein Auto und bezahlen dieses ein Leben lang ab. Für alle anderen und für die Touristen fahren Taxis. Wir Praktikantinnen wurden dann meist von den Fahrern der Firma nach Hause chauffiert oder durften uns ein Auto von der Firma leihen.»
Gibt es besondere Regeln, die im gesellschaftlichen Leben eingehalten werden sollten?
«In Oman gilt es als Frau, stets die Knie und Schultern bedeckt zu haben. Ausserdem essen die Omanis meistens nur mit den Händen. Zum Essen benutzen sie nur die rechte Hand, da die linke Hand als unrein gilt. Für mich als Linkshänderin war es eine Umstellung und ich wurde oft daran erinnert.»
Was unterscheidet die Einwohner des Omans von den Wallisern?
«Auf der einen Seite sind sie uns sehr ähnlich: Die Omanis sind unglaublich gastfreundlich, hilfsbereit und offen. Leider sind sie sehr unzuverlässig, vor allem was Pünktlichkeit anbelangt. Wenn ich mich mit meinen Omani-Kollegen um 19:00 Uhr verabrede, sind sie frühestens um 20:30 Uhr da, im Glauben, immer noch ein bisschen zu früh da zu sein.»
Welches Bild der Schweiz hat man in Oman?
«Alle kennen die Schweiz. Viele Familien reisen im Sommer nach Interlaken, um ihre Ferien dort zu verbringen. Ausserdem sind sie von Schweizer Produkten begeistert. Oft steht auf komischen Produkten im hinterletzten Bergdorf in Grossbuchstaben SWISS QUALITY. Wenn ihnen die Schweizer Qualität schon so gefällt, könnten sie es auch mal mit der Schweizer Pünktlichkeit versuchen...»
Deine Zeit dort ist schon bald zu Ende. Was würdest du im Nachhinein anders machen?
«Ich würde meine Zeit unbeschwerter geniessen und nicht allzu viele Gedanken verschwenden. Und ich würde nach Salalah, die Karibik des Orients, gehen. Leider hat es zeitlich nicht mehr gepasst, da der Monsun bereits begonnen hat.»
Hattest du manchmal Heimweh?
«Am Anfang, als ich sehr viel erlebt habe, hielt sich das Heimweh in Grenzen. Ausserdem bekam ich drei Mal Besuch aus der Schweiz. Ein halbes Jahr ist in meinen Augen eine sehr kurze und absehbare Zeit, die unglaublich schnell vorbei geht.»
Was aus der Schweiz hast du am meisten vermisst?
«Natürlich meine Familie und Freunde, ansonsten gutes Brot, die Spaghetti Bolognese meiner Mutter und ein kühles Bier am Wochenende. Alkohol gibt es nur in lizensierten Hotels und dort kostet ein Bier (33 cl) umgerechnet 12 Franken. Ausserdem hat mir oft die ‚Normalität’ gefehlt. Als Frau wurde man schon dumm angeguckt, wenn man um 10 Uhr nachts noch in einem Coffeeshop sass. Auch das saftige Grün der Landschaft fehlte mir, da der Oman sehr karg ist. Vor allem aber die Sorgfalt zur Natur. Die Omanis werfen oft ihren Müll raus in die Natur und auch bei der Mülltrennung hinken sie der westlichen Welt hinterher.»
Hast du Insider-Tipps für Oman-Reisende?
«Mein absolutes Highlight des Landes ist das Wadi Shab. Palmen, wilde Feigenbäume, geheimnisvolle Höhlen und Wasserpools entdeckt man während einer zirka einstündigen Wanderung bei 40 Grad. Die ganzen Strapazen werden am Ende mit einem kühlen Bad im saphirblauem Wasser belohnt, bei dem man im letzten Wasserpool zwischen riesigen Felswänden durch eine Spalte durchschwimmt, bei der gerade mal ein Kopf durch passt, und schlussendlich in eine Grotte gelangt und einen wunderschönen Wasserfall entdeckt. Märchenhaft!»
Unsere Rubrik «Walliser im Ausland» erscheint in loser Folge. Wir sind regelmässig auf der Suche nach Wallisern, die fernab der Heimat leben. Gehören Sie auch dazu oder kennen Sie jemanden? Dann freuen wir uns auf Ihre Nachricht an: info@1815.ch.
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