Interview | Seit einem Jahr ist Viola Amherd Chefin des VBS. Sie hat einige überrascht. Und viele überzeugt. Anerkennung, Applaus und Akzeptanz sind gross. Trotzdem sagt die Briger Bundesrätin:
«Ich bin mir bewusst, dass der Zuspruch rasch ändern kann»
Viola Amherd, seit einem Jahr sind Sie Chefin des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS. Was macht Ihnen am meisten Freude in diesem Amt?
«Meine Arbeit ist vielseitig und abwechslungsreich, was ich sehr schätze. Genauso wie den täglichen Kontakt mit den Leuten. Ich würde sagen: Das Gesamtpaket passt.»
Und was am wenigsten?
«Arbeitsmässig muss ich keine Abstriche machen. Ich fühle mich in allen Bereichen wohl. Privat muss ich aber doch auf einiges verzichten. Die Agenda ist voll, für Sport und Hobbys bleibt wenig Zeit. Aber das ist ja nicht etwas, was mich überrascht hat. Ich wusste, auf was ich mich einlasse, als ich für das Amt kandidierte.»
Gibt es ein Erlebnis oder eine Begegnung, die Sie in diesem Jahr besonders bewegt hat?
«Eine schwierige Frage. Ich durfte im letzten Jahr einiges erleben und konnte viele Leute kennenlernen. Beeindruckt haben mich sicherlich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie haben mich als eigentliche Quereinsteigerin gut aufgenommen – obwohl sie anfänglich eher vorsichtig waren. Oder gar zurückhaltend.»
Gab es Vorbehalte gegenüber Ihnen? Frau, Quereinsteigerin – und zu Jugendzeiten galten Sie ja auch als armeekritisch.
«Ich würde nicht von Vorbehalten sprechen. Aber es gab sicherlich Situationen, die für einige herausfordernd waren.»
Zum Beispiel?
«Als ich das erste Mal verlauten liess, dass ich ein neues Gutachten zum Kampfjet-Kauf will, waren einige innerhalb des VBS doch schockiert. Sie dachten wohl, ich wolle das Projekt blockieren. Als ich meine Idee und das Vorgehen erklärte, revidierten sie jedoch ihre Meinung und unterstützten mich auf der ganzen Linie. Bis heute.»
Sie sind die erste Schweizer Verteidigungsministerin. Was ändert, wenn eine Frau für die Sicherheit des Landes verantwortlich ist?
«Gewisse Dinge haben sich sicherlich geändert. Ich würde diesen Wandel aber nicht einzig auf den Frau-Mann-Aspekt reduzieren. Jeder Mensch hat eine Persönlichkeit, seine Stärken und seine Schwächen. Meine Art, wie ich das Departement führe, unterscheidet sich sicher auch von derjenigen meiner Vorgänger.»
Und doch haben Sie Themen lanciert, die von einem männlichen Departementschef wohl nicht derart offensiv portiert worden wären. Etwa wenn es um die Förderung der Frauen geht.
«Eine gewisse Sensibilisierung hat diesbezüglich sicher stattgefunden. Als ich das Departement übernommen habe, war die Frauenförderung eine Randnotiz. Mittlerweile wissen meine Mitarbeitenden, dass ich hier vorwärtsmachen will. Und sie machen proaktiv Vorschläge, wie Frauen in der Armee oder im Sport besser gefördert werden könnten. Das freut mich natürlich.»
«In Sachen Frauenförderung hat das Wallis Aufholbedarf»
Sie haben diesbezüglich auch eine Arbeitsgruppe beauftragt, aktiv zu werden. Gibt es bereits konkrete Vorschläge?
«Die Arbeitsgruppe wird Ende 2020 ihre Ideen und Ansätze präsentieren. Die Armee bietet viele Möglichkeiten für junge Frauen, aber auch für Quereinsteigerinnen. Sie können sich Fachwissen und Führungsfähigkeiten aneignen. Ich habe in diesem Jahr viele Facetten der Armee entdeckt, die mich beeindruckt haben. Diese müssen wir aber besser kommunizieren. Wir müssen den Frauen besser aufzeigen, dass der Dienst in der Armee sinnvoll ist und seine Vorzüge hat.»
Wenn Sie mehr Frauen im Militär wollen, könnten Sie die Wehrpflicht für Frauen einführen.
«Darüber kann man diskutieren, steht aber derzeit für mich nicht im Vordergrund. Wir haben noch andere Möglichkeiten.»
Sprechen wir über den 11. Dezember 2019. Sie wurden mit einem Glanzresultat wiedergewählt. Haben die 218 Stimmen Auswirkungen auf Ihre Arbeit im Bundesrat? Oder gar auf die Hierarchie innerhalb des Gremiums?
«Nein, wir begegnen uns auf Augenhöhe. Unabhängig davon, wer die meisten oder die wenigsten Stimmen erhalten hat. Das Klima im Bundesrat ist grundsätzlich sehr gut, der Umgang kollegial und freundschaftlich – auch wenn wir nicht immer alle gleicher Meinung sind.»
Und was bedeuten die 218 Stimmen für Sie persönlich?
«Natürlich habe ich mich darüber gefreut, bin mir jedoch bewusst, dass der Zuspruch rasch ändern kann.»
Spürten Sie im Vorfeld, dass Sie derart grossen Rückhalt im Parlament geniessen?
«Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich ging aber davon aus, dass ich wiedergewählt werde.»
Ein Wort zur Walliser Delegation in Bundesbern: Das Wallis hat keine Nationalrätin mehr – und das nach Ihrer Wahl in den Bundesrat und nach dem grossen Frauenstreik vom 14. Juni. Sind Sie enttäuscht?
«Natürlich ist das schade. Unser Kanton hat diesbezüglich Aufholbedarf, übrigens nicht nur im Nationalrat, sondern auch im Kantonsparlament und im Staatsrat. Die Parteien müssen die Frauen aktiver fördern, die Frauen müssen sich aber auch besser vernetzen. Nur so gedeiht eine breite Basis, die es ermöglicht, dass Frauen vermehrt in politische Ämter gewählt werden. Positiv ist, dass das Wallis erstmals eine Ständerätin hat. Das hat mich gefreut.»
Nach den Bundesratswahlen wurde viel über Konkordanz, Stabilität und die Zauberformel diskutiert. Braucht es Reformen?
«Das ist Sache des Parlaments und nicht des Bundesrats. Diese Gespräche laufen ja bereits – und das ist gut so. Die Zauberformel hat sich in der Vergangenheit bewährt. Es gibt aber Entwicklungen in der Gesellschaft und in der Politik, da ist es durchaus legitim, über die Zusammensetzung der Regierung zu diskutieren. Die Bundesräte sollten sich an dieser Debatte indes nicht beteiligen.»
Ist es sinnvoll, dass alle relevanten politischen Kräfte in der Regierung vertreten sind?
«Natürlich, das ist das Prinzip der Konkordanz.»
Sie werden derzeit von allen Seiten gelobt: den Parteien, Politikerinnen und Politikern aller Couleur und auch von den Journalisten. Verfolgen Sie, was in den Medien über Sie berichtet wird?
«Ich lese nur die Medienschau, die mein Kommunikationschef Renato Kalbermatten für mich zusammenstellt. Ich glaube, er nimmt jeweils nur die positiven Artikel (lacht)… Nein, ich nehme die Meldungen zur Kenntnis, bin mir aber natürlich bewusst, dass sich in der Politik in kurzer Zeit vieles ändern kann. Ich bin für jeden Tag froh, an dem ich meinen Job zum Wohle der Schweizerinnen und Schweizer ausführen kann.»
Kritisiert wurden Sie bisher eigentlich nur aufgrund Ihrer Personalpolitik. Parteibuch und Herkunft seien entscheidend, heisst es, weniger Kompetenzen und Kenntnisse.
«Meine persönlichen Mitarbeiter habe ich ausgewählt, weil sie gut sind und die entsprechenden Qualifikationen mit sich bringen. Es wäre wenig sinnvoll, einen Oberwalliser Parteikollegen anzustellen, wenn er nicht fähig ist, seinen Job gut zu erledigen.»
Die persönlichen Berater werden also von jedem Bundesrat nominiert – ohne Ausschreibung.
«Genau. Das ist so üblich, weil man sehr eng mit ihnen zusammenarbeitet. Die anderen Stellen werden jedoch ausgeschrieben.»
Die Ernennung von Roger Michlig an die Spitze der Cybersecurity hat trotzdem irritiert und zu Kritik geführt. Weil er Ihren Bundesratsempfang organisiert hat und Präsident der Jungen CVP Oberwallis war.
«Rund 50 Personen haben sich auf diesen Posten beworben. Der Rekrutierungsprozess lief über den Generalsekretär – und nicht über mich. Und es gab ein Assessment. Ein Vorgehen, das den üblichen Standards entspricht.»
Können Sie die Kritik trotzdem verstehen?
«Ist jemand in der gleichen Partei oder stammt aus derselben Region, darf dies kein Vorteil sein für eine Ernennung – aber auch kein Nachteil. Für mich ist klar, dass bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden die Qualität im Mittelpunkt steht.»
Sie setzen sich stark ein für eine grüne, eine klimafreundliche Armee. Was ist Ihr Antrieb?
«Ich habe mich bereits als Stadtpräsidentin von Brig-Glis und später als Nationalrätin für Umweltanliegen eingesetzt. Diese Linie werde ich auch im Bundesrat weiterverfolgen. Klar ist, dass in unserem Departement die Sicherheit der Bevölkerung an erster Stelle steht. Daran will ich nicht rütteln. Wir werden auch nie Panzer haben, die mit elektrischen Antrieben fahren. Aber wir haben Möglichkeiten, den CO2-Ausstoss zu verringern. Und die wollen wir nutzen.»
Welche?
«Zwei Beispiele: Wir sind der grösste Immobilieneigentümer der Schweiz. Ich will, dass unsere Gebäude und Kasernen systematisch mit Solarzellen bestückt werden. Und ich will unsere Fahrzeugflotte modernisieren. Bei den Verwaltungsfahrzeugen im VBS und Zivilfahrzeugen der Armee soll die sparsamste Energieeffizienz-Kategorie Standard werden. Mit diesen und weiteren Massnahmen wollen wir den CO2-Ausstoss über das gesamte Departement um 40 Prozent reduzieren.»
Die Frauenförderung und die Reduktion des CO2-Ausstosses zuoberst auf der Amherd-Agenda. Kommt das in Armeekreisen überall gut an?
«Wie gesagt: Unsere Hauptaufgabe ist es, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Man kann diese Aufgabe aber auch erfüllen, wenn man in anderen Bereichen auf neue, moderne Ansätze setzt. Das schliesst sich nicht aus. Vielleicht stehen nicht alle Angestellten des VBS mit derselben Begeisterung hinter dieser Strategie, aber offene Opposition habe ich nie festgestellt. Alle sind überzeugt, dass wir auch in diesen Bereichen handeln müssen.»
Die Armee hat auch ein Imageproblem: Noch nie gab es so wenige Rekruten wie 2018. Ist die Armee genügend attraktiv für junge Leute?
«Man muss die aktuellen Zahlen mit Vorsicht geniessen. Mit der Weiterentwicklung der Armee kann die Rekrutenschule um bis zu fünf Jahre verschoben werden. Relativ viele Rekruten machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dies verzerrt das Bild. Aber in der Tat haben wir das Problem, dass sich viele junge Frauen und Männer nicht für den Armeedienst interessieren. Das heisst, die Armee muss attraktiver werden. Etwa indem man während der Rekrutenschule Berufsdiplome oder ECTS-Credits für das Studium erwerben kann. Hier gibt es Möglichkeiten, an denen wir arbeiten.»
Der Bundesrat will aber auch die Hürden für den Zivildienst erhöhen. Sie sagten jedoch bereits mehrfach, dass Sie dem Zivildienst nicht Steine in den Weg legen wollen.
«Etwas wird nicht besser, indem man etwas anderes schlechter macht. Das ist meine grundsätzliche Überzeugung. Aber ich unterstütze bei der Revision des Zivildienstgesetzes die Variante des Bundesrats. Und ich sage klar, dass ich die Armee
attraktiver machen will.»
Das grosse Thema im kommenden Jahr ist die Beschaffung der neuen Kampfflugzeuge. Bundesrat und Parlament wollen für diese sechs Milliarden Franken ausgeben. Viel Geld, und einige fragen sich, ob man dieses nicht sinnvoller investieren könnte, etwa in den Bereich Cyberabwehr. Ihr stärkstes Argument für die Kampfjets?
«Die Sicherheit der Bevölkerung. Dafür investieren wir aber nicht nur in die neuen Kampfflugzeuge, sondern auch in die Bodentruppen. Und natürlich auch in die Cyberabwehr. Die Armee als Gesamtsystem muss die Fähigkeit haben, alle Bedrohungen zu bekämpfen und die Bevölkerung zu schützen. Dazu gehört auch die Sicherheit des Luftraumes – und dafür brauchen wir die Kampfjets.»
Trotzdem: Eine Bedrohung aus der Luft scheint derzeit eher unwahrscheinlich.
«Überhaupt nicht. Es geht ja nicht nur um Luftangriffe anderer Staaten, sondern auch um terroristische Angriffe. Und dass solche vorkommen können, hat die Vergangenheit gezeigt. Bis jetzt wurde die Schweiz verschont, was aber nicht heisst, dass dies so bleiben muss. Hinzu kommen die luftpolizeilichen Aufgaben, die die Schweiz erfüllen muss. Pro Jahr sind das immerhin 60 Einsätze. Haben wir nicht die Mittel, um diese Aufgaben zu erfüllen, sind wir gegen Angriffe aus der Luft nicht mehr geschützt.»
Könnte die Schweiz nicht mit anderen Staaten zusammenarbeiten? Das wäre günstiger. Und wohl nicht weniger sicher für die Schweiz.
«Das wäre schwierig mit unserer Neutralität zu vereinbaren. Und es wäre ein Armutszeugnis, wenn die Schweiz als wirtschaftsstarke Nation diese Aufgabe nicht selbstständig wahrnehmen kann und an andere Staaten abtreten würde. Wir sind mitten in Europa und Teil eines Gesamtsystems. Ich möchte nicht, dass die Schweiz Trittbrettfahrer dieses Systems ist. Die anderen Länder zählen darauf, dass wir unseren Luftraum selber schützen. Und vergessen sollten wir nicht: Die Finanzierung der Kampfflugzeuge erfolgt über das ordentliche Armeebudget. Es ist nicht so, dass man die sechs Milliarden Franken sparen würde oder in anderen Bereichen einsetzen könnte.»
Als Verteidigungsministerin stehen Sie oft im Rampenlicht. Weniger als Sportministerin. Welche Reformen stehen hier an?
«Wir haben beispielsweise beschlossen, die Plätze in der Spitzensport-Rekrutenschule zu verdoppeln. 70 Prozent unserer Spitzensportlerinnen und Spitzensportler müssen nebenbei einer Arbeit nachgehen. Die Spitzensport-RS ist eine Massnahme, um hier gegenzusteuern.»
Und wie steht es um den Breitensport?
«Um den Breitensport zu fördern, haben wir die Beiträge für die Jugend- und Sportlager erhöht, in diesem Jahr für die Winter-, im kommenden Jahr auch für die Sommerlager. Denn wollen wir Spitzenathleten, müssen wir die Breite fördern. Auch sollen Kinder mit einer Beeinträchtigung besser integriert werden.»
In wenigen Tagen feiern wir Weihnachten. Welche Rolle spielt der christliche Glaube für Sie?
«Ich bin römisch-katholisch aufgewachsen – und ich bin es nach wie vor.»
Wie wichtig ist Ihnen das C in Ihrer Partei – der CVP?
«Die christlichen Werte sind mir wichtig – und sie sind wichtig für meine Partei. Es sind ja Grundsätze, die sich in allen Religionen wiederfinden. Schlussendlich geht es in der Politik darum, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und für das Wohl der Leute zu arbeiten, dazu gehört auch die Umwelt. Diese Werte sollten alle Parteien verfolgen – ob sie das ‹C› im Namen tragen oder nicht.»
Wie verbringen Sie die Weihnachtsferien – in Bundesbern oder auf der Piste?
«Auf der Piste, so hoffe ich doch. Wie viele Tage möglich sind, kann ich allerdings noch nicht
sagen.»
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