Soziale Medien | Facebook sammelt Daten – aber was eigentlich?
Hallo, mein digitales Ich
Wallis | Alle Daten, die Facebook über seine Nutzer sammelt, können in einem Ordner gesammelt heruntergeladen werden. Was steht da eigentlich drin? Und wie hat sich mein digitales Ich in den letzten zehn Jahren verändert? Ein Selbstversuch.
Mathias Gottet
91,3 Megabyte – so viele Daten hat das soziale Netzwerk Facebook in den letzten zehn Jahren über mich gesammelt. Insgesamt 1472 Dateien. Ein paar Sekunden dauert der Download und dann liegt mein digitales Bildnis auf meinem Schreibtisch. Die meisten Dateien sind Listen, so lange, dass der Finger beim Scrollen müde wird.
Als ich mich vor zehn Jahren auf der Plattform Facebook angemeldet hatte, wusste ich nicht wirklich, auf was ich mich da einliess und wann es vom nächsten Netzwerk abgelöst wird. Seither hat sich Facebook aber zu einem Giganten entwickelt: 27 000 Mitarbeiter, 16 Milliarden Gewinn bei einem Umsatz von 40 Milliarden im Jahr 2017. Reichlich Geld fliesst in die Kassen des sozialen Netzwerks, vor allem durch Werbung. Und um erfolgreich und personalisierte Werbung zu schalten, sind die Daten der Nutzer das wichtigste Kapital von Facebook. Und das hat auch zu dem einen oder anderen Skandal geführt und den Gründer Marc Zuckerberg in Erklärungsnot gebracht.
Im Jahr 2017 war fast jeder zweite Einwohner der Schweiz Nutzer bei Facebook. Weltweit sind es rund 2,2 Milliarden Menschen, die bei Facebook
registriert sind.
Welche Werbung wirkt?
«facebook-mathiasgottet» heisst der Ordner, in dem alles, was ich jemals auf Facebook geschrieben, gepostet und geliked habe, vermerkt ist. 24 Unterordner sind darin zu finden, der erste heisst «about_you». In einer Datei wird dort vermerkt, in welche Peer-Group Facebook mich und meine Freunde einordnet. Nach dem Öffnen zeigt sich mir ein einziger Satz: «Am Anfang des Erwachsenenlebens.» Und das, obwohl ich Christian Kracht und The Rolling Stones einen Daumen-nach-oben gegeben habe? Was muss ich denn noch tun, um endlich erwachsen zu werden?
In dem Ordner «ads», was für Werbung steht, sind Inte-
ressen basierend auf meinen Aktivitäten aufgeführt. Für diese Themen könnte ich werbetechnisch interessant sein. Einige Zeitungen finden sich darunter. Das passt. Gleichzeitig stellen sich mir einige Fragen. Weshalb könnte ich mich für Werbung der «Football Association of Ireland» interessieren? Oder für einen VW Golf?
Spannend ist auch die Auflistung der Werbetreibenden, mit denen ich interagiert habe. In zehn Jahren habe ich insgesamt 24 Werbungen angeklickt, die Hälfte davon waren journalistische Artikel, die beworben wurden. Hier macht die Liste sichtbar, was sonst so oft verborgen bleibt: Von welcher Werbung lässt man sich verführen?
Freunde, die niemals Freunde wurden
Die Liste der Freunde in chronologischer Reihenfolge hinunterzuscrollen ist wie eine Reise in die Vergangenheit: Journalistenschule, Ausland-semester, Universität, Mili-
tär, Gymnasium und Orientierungsschule. Je weiter man zurückgeht, umso öfter entdecke ich Leute, an die ich schon lange nicht mehr gedacht habe. Dazwischen tauchen einige enge Freunde und Familien-
mitglieder auf.
In einem weiteren Ordner werden Dinge sichtbar, die man auf der Nutzeroberfläche sonst niemals erfahren würde. Hier sind etwa die Personen aufgeführt, mit denen man nicht befreundet ist, weil eine der beiden Parteien nicht wollte, dass man eine digitale Freundschaft beginnt. Ich hab Freundschaften abgelehnt, von denen man auf den ersten Blick sah, dass es erfundene Profile sind. Oder wenn ich wirklich keine Ahnung hatte, wer die andere Person war.
Eine Freundschaftsanfrage, die ich ausgesendet habe, ist seit acht Jahren immer noch hängig: Tiger Woods, wieso willst du nicht mit mir befreundet sein?
Vieles hat sich verändert
Früher teilte man auf Facebook sehr viel. Angefangen hat alles mit den Statusmeldungen. Die meisten waren lustig gemeint, bei vielen muss ich heute lachend den Kopf schütteln. «isch im derbyfieber… Allez Sierre!» war mein erster Post. Heute interessiert mich Eishockey ungefähr so stark wie
der Wetterbericht von letzter Woche.
Später postete ich viel Musik, dann und wann ein paar Schnappschüsse aus den Ferien. Obwohl ich heute wahrscheinlich gleich viel Zeit wie früher auf Facebook verbringe, wurden meine Posts immer seltener. Und unpersönlicher. In den letzten fünf Jahren entstanden nur noch rund zehn Prozent der Posts meiner Facebook-Karriere. Auch meine Freunde werden auf Facebook passiver: Immer weniger Persönliches, immer mehr News finden sich in meiner Timeline.
Alles eine Rolle
Sein digitales Ich einmal genau unter die Lupe zu nehmen, kann sich definitiv lohnen. Einmal zu sehen, wie lang die Datenliste ist, die Facebook über jeden Nutzer sammelt, ist beeindruckend. Man hat die Möglichkeit, seine Internetpräsenz zu hinterfragen und sein Verhalten anzupassen.
Auf den sozialen Medien spielen die Nutzer immer eine Rolle. Wie man diese Rolle spielt, kann man selber entscheiden. Man stellt immer nur einen Teil seines wahren Selbst dar. Durch die Inszenierung findet man vielleicht auch heraus, wer man eigentlich wirklich ist.
So gefällt mir einiges, das ich vor zehn Jahren gut fand, längst nicht mehr. Andere Dinge sind mir peinlich, weshalb ich bald einen Frühlingsputz einberufen werde. Denn die Fotos und Posts sind für einen grossen, unübersichtlichen Freundeskreis auf meinem Profil einsehbar. Es gibt aber viele Dinge, die ich immer noch toll finde. So ist die allererste Seite, die ich vor zehn Jahren geliked habe, immer noch eine meiner Lieblingsbands: Tocotronic, du gefällst mir immer noch.
einfacher trick
Die eigenen Daten herunterzuladen dauert nicht lange und ist einfach zu machen. Unter den «Einstellungen» gibt es die Rubrik «Allgemeine Kontoeinstellungen» und dann «Deine Facebook-Informationen».
Mathias Gottet
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar