Walliser im Ausland | Walburga Baur-Stadler berichtet aus Südkalifornien
«Fussball ist für Frauen!»
Seit 17 Jahren lebt Walburga Baur-Stadler in Südkalifornien. Die 72-Jährige ist im Wallis aufgewachsen und seitdem hat es sie in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Auf 1815.ch berichtet sie über amerikanischen Fussball und stellt gleich zu Beginn klar: «Soccer» ist nicht mit «Football» zu verwechseln.
Walburga Baur-Stadler (wbaur@roadrunner.com) hat sich nach zahlreichen Auslandserfahrungen vor 17 Jahren gemeinsam mit ihrem Mann in Südkalifornien niedergelassen, ausserhalb von Los Angeles, am Fuss der San Gabriel Berge. Ihre Zeit widmet die 72-Jährige ihrem Garten, dem Malen und Singen.
Auf 1815.ch berichtet sie in loser Reihenfolge über ihr Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten:
«Zuerst muss ich mich jetzt noch bei den 1815.ch-Lesern und den Flughafen-Behörden von Zürich-Kloten entschuldigen. Als ich den letzten Artikel vor gut zehn Jahren zum ersten Mal schrieb, traf es tatsächlich noch zu, dass der ganze Flughafen nach Zigarettenrauch stank. Ich hätte das natürlich korrigieren sollen. Dem ist jetzt nicht mehr so, es herrscht allgemeines Rauchverbot. Wenn also nicht gerade ein Flugzeug am Starten ist, kann man bei der Ankunft praktisch alpenreine Luft einatmen!
Ich schreibe hier natürlich von dem was wir unter Fussball verstehen, also was in Amerika 'Soccer' (ausgesprochen 'Sogger') genannt wird. Football ist hier etwas, bei dem die Spieler den ovalen Ball, ganz entgegengesetzt zum Namen, liebevoll im Arm herumtragen und damit herumrennen und andere Spieler, breit wie Wandschränke, sie daran hindern wollen.
Wenn dann ein Spieler, der ganz gut auch mal die Nummer 80 auf dem Leibchen tragen kann (weil das ganze Team 64 Spieler hat), mit dem Ball über die Ziellinie rennt, taumelt, springt oder fällt gibt das ein Goal und zählt 6 Punkte. Daraufhin kommt ein Spezialist aufs Feld, der den Ball dann tatsächlich tschuttet und wenn er ihn zwischen die beiden hohen Stangen bringt, gibt das nochmals einen Punkt.
Alles ist Strategie im Football und nach jedem Spielzug, der manchmal nur Sekunden dauert, kommen die Kommentatoren dran, die dann nochmals alles erklären und das Fernsehen kann ein paar Werbespots einschalten. Ein Match hat vier Viertel, jedes zu 15 Spielminuten, aber die ganze Angelegenheit dauert mindestens drei Stunden.
Für Leute wie mich ist es vor allem lustig, bei ganz wichtigen Spielen die diversen Werbespots und die Halbzeit-Schau anzuschauen. Da bin ich dann fasziniert, wie innert kürzester Zeit auf dem Spielfeld eine Tribüne entsteht, auf der musiziert, gesungen und getanzt wird. Wenn’s vorbei ist, hat die Fernsehstation gerade Zeit genug, einige Werbespots mehr zu zeigen und dann ist alles abgeräumt und das Spiel kann weitergehen.
Aber ich komme ja völlig vom Thema ab. Gross war meine Überraschung, als ich feststellte, dass praktisch jede Schule hier ihre eigene Fussball-Mannschaft hat. Und jetzt rede ich also von Soccer. Vor einigen Jahren gab es ein Gesetz, wonach Mädchen die gleichen Sport-Möglichkeiten angeboten werden müssen wie Knaben. Heute spielen in den Vereinigten Staaten etwa 120 000 Mädchen und junge Frauen Fussball. Das ist mehr als der Rest der übrigen Welt vereint!
Und seit die Amerikanerinnen kürzlich in Kanada die FIFA-Weltmeisterschaft zum dritten Mal gewannen, ist der Frauenfussball wirklich ein Gesprächsthema. Aber ganz anders als bei uns, wird vor und nach jedem Spiel mit Statistiken um sich geschlagen. Wer hat wie viele Corner, wie viele Schüsse aufs Goal, wie viele Fouls, wie viele Minuten im Ballbesitz. Und hoffentlich gibt’s mindestens ein Goal. Die Amerikaner können es absolut nicht verstehen, dass man sich für ein Spiel begeistern kann, dass unter Umständen mit 0:0 endet.
Unser Sepp Blatter soll einmal gesagt haben, der Frauenfussball hätte noch mehr Zuschauer, wenn sie etwas kürzere Shorts anziehen würden! Und ein Komiker hier hat gemeint: «Fussball ist das, wo man seine Tochter nach dem Training abholt.»
Die Spielerinnen der Nationalmannschaft sind Vorbilder für viele junge Mädchen, die ihre Poster über dem Bett hängen haben und die mitsamt Brüdern und Eltern zu Tausenden nach Kanada flogen oder fuhren, um die Nationalmannschaft mit lautem Geschrei und Gekreische zu unterstützen. Die Spielerinnen sagten, es habe so viel Lärm in den Stadien gehabt, dass sie sich gegenseitig nur mit Mühe verständigen konnten. Die Liebe zum Vaterland wurde natürlich auch mit rot-weiss-blauen Perücken, Hüten, Kleidern, bemalten Wangen usw. ausgedrückt.
Ich bin selber kein Fussball-Fanatiker. Aber sobald es um Weltmeisterschaften geht, wird mein Interesse geweckt. Zu unserer Überraschung wurden alle Mätche am hiesigen Fernsehen gezeigt. So konnten mein Mann und ich zuhause manchmal auch ganz lauthals zuerst die Schweizer Nationalmannschaft und danach die Amerikaner unterstützen und ich kann jetzt fachfraulich mitreden, wenn es darum geht, ob eine Mannschaft in der 3 - 3 - 4 oder in der 4 - 4 - 2 Formation spielt!»
Als Vierjährige zog Walburga Baur-Stadler mit ihrer Familie ins Wallis, wo sie aufgewachsen ist und die Real- und Handelsschule im Institut St. Ursula in Brig besuchte. Nachdem sie zwei Jahre lang Sekretärin bei den Walliser Kraftwerken in Visp war, zog es sie nach Oxford, um Englisch zu lernen.
Danach trat Walburga Baur-Stadler eine Stelle beim Politischen Departement in Bern (heute: Departement für auswärtige Angelegenheiten) an und wurde in Belgien, Marokko, Thailand und Madagaskar als Sekretärin eingesetzt. Nach ihrem Wechsel in die konsularische Laufbahn kam es erneut zu Versetzungen: Mailand, Kongo, Peru, Costa Rica und Kalifornien, wo sie ihren Mann, einen Zürcher, kennenlernte und heiratete. Gemeinsam waren die beiden noch in Spanien und Argentinien, wo sich Baur-Stadler Ende 1998 im Grad einer Generalkonsulin frühzeitig pensionieren liess.
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Kommentare
silvia e. - ↑0↓1
Ausgezeichnet wie immer.
I'm looking forward to more "Aufsaetze".
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