Coronavirus | Wie ticken Leute, die tagtäglich mit Coronaviren arbeiten? Dies vorneweg: relativ abgeklärt, wie das Gespräch mit Kathrin Summermatter zeigt
«Es werden Sachen behauptet, die weder Hand noch Fuss haben»
Die Coronaviren sind allgegenwärtig. Auch am Institut für Infektionskrankheiten der Universität Bern. Die Forscherinnen und Forscher bleiben gelassen. Mittendrin: Dr. rer. nat. Kathrin Summermatter.
Kathrin Summermatter, am Institut für Infektionskrankheiten werden auch Coronaproben untersucht. Ich nehme an, Sie erleben turbulente Zeiten?
«Die Situation an sich ist nicht aussergewöhnlich. Wir werden regelmässig mit den gefährlichsten Erregern konfrontiert, daher steht bei uns die Sicherheit immer an erster Stelle. Doch die mediale Präsenz der Corona-Epidemie ist enorm, sodass auch unser Fachgebiet vermehrt im Fokus steht.»
Andere Viren beunruhigen Sie weit mehr als das SARS-CoV-2?
«Pockenviren etwa sind weit gefährlicher, mit denen arbeiten wir zwar nicht, da wir nicht über ein Labor der Sicherheitsstufe 4 verfügen. Pocken sind als Krankheit ausgerottet, existieren nur noch in zwei Labors in Russland und den USA, die ich inspiziert habe. Und das Ebolavirus zählt zu den tödlichsten Erregern der Welt. Es gibt immer wieder gefährliche Erreger, mit denen wir konfrontiert werden. Für diese gelten dann auch höhere Sicherheitsstandards als für Coronaviren.»
Das heisst?
«Labore werden in vier Sicherheitsstufen eingeteilt. Die höchste gilt für Erreger wie Pocken und Ebola. Diese haben eine hohe Mortalität beim Menschen, zudem gibt es keine Impfstoffe. Das neue Coronavirus gehört zur Sicherheitsstufe 3. Für die saisonalen Coronaviren, die für Erkältungen sorgen, gilt die Stufe 2.»
In der allgemeinen Hysterie wirken Sie relativ abgeklärt und gelassen.
«Das bin ich. Für uns ist die derzeitige Situation nicht beunruhigend.»
Dabei sind Sie für die Biosicherheit am Institut für Infektionskrankheiten verantwortlich.
«Ja. Für uns steht seit jeher die Sicherheit im Mittelpunkt. Hierzu erstellen wir regelmässig Risikobewertungen und definieren die Massnahmen, die notwendig sind, um sicher arbeiten zu können. Dies ist unsere tägliche Aufgabe. Wir haben derzeit zwar quantitativ mehr zu tun, vom Sicherheitsaspekt her hat sich für uns indes nichts geändert.»
Wie hat das Institut für Infektionskrankheiten auf die Corona-Epidemie reagiert?
«Wir haben einen Test entwickelt. Ziel war es, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Proben untersuchen zu können. Derzeit sind es in unserem Institut täglich rund hundert, schweizweit tausend. Das Vorgehen und die Abläufe sind dabei präzise definiert. Für unsere Angestellten besteht kein Risiko – sofern sie sich an die definierten Vorgaben halten. Unsere Mitarbeitenden im Labor sind weniger gefährdet als Passanten in einem öffentlichen Bus.»
Und wie funktioniert dieser Test?
«Uns werden die Abstriche aus dem Nasen- und Rachenraum von Patienten in speziellen Behältern und Transportboxen zugesandt. Diese Proben werden in einem Diagnostiklabor untersucht: Zuerst inaktivieren wir die Viren, dann weisen wir nach, um welchen Typus es sich handelt. Ist eine Probe positiv, wird sie an das Referenzlabor in Genf geschickt, um unser Ergebnis zu überprüfen. Ein relativ einfaches Vorgehen.»
Interessant wäre die Frage, ob auch die Medien aus den früheren Ereignissen gelernt haben?
«In den sozialen Medien kursieren die vielfältigsten Verschwörungstheorien zum Coronavirus. Es heisst, es sei aus einem Labor entwichen oder wurde gar absichtlich freigesetzt.»
Was halten Sie davon?
«Nichts. Bei jedem neuen Virus ist die erste Hypothese, dass dieses aus einem Labor stammen könnte. Diese Spekulationen sind jedoch vernachlässigbar, es handelt sich um typische Verschwörungstheorien. Auch gibt es vermeintliche Experten, die sich etablieren und auf den Corona-Zug aufspringen wollen, indem sie Theorien verbreiten, die nicht geprüft worden sind. Es werden schlicht Sachen behauptet, die weder Hand noch Fuss haben. Das erschwert eine sachliche und zielführende Diskussion. Wissenschaftliche Daten zeigen, dass der Anfangspunkt der Corona-Epidemie ein Tiermarkt in Wuhan ist. Die Suche nach dem Ursprungswirt läuft, einiges deutet auf eine Fledermaus hin.»
Und wie konnte sich das Virus derart rasch verbreiten?
«Tiere sind Träger von Viren, zeigen aber vielfach keine Symptome und werden nicht krank. Haben Menschen Kontakt mit diesen Tieren oder den Ausscheidungen, ist eine Übertragung möglich und die Menschen können daran erkranken. Nun kommt die grosse Mobilität und Reisetätigkeit der heutigen Gesellschaft ins Spiel: So werden die Viren in relativ kurzer Zeit weltweit verbreitet, wie die Corona-Epidemie eindrücklich zeigt.»
Ist der Hype gefährlicher als das Virus?
«Das Virus ist sehr ansteckend und kann für Risikogruppen tödlich sein. Ich persönlich bin indes nicht der Meinung, dass es gefährlicher ist als eine normale saisonale Grippe. Das sagen auch verschiedene Experten. Der Unterschied ist, dass wir mit der saisonalen Grippe vertraut sind, da sie jedes Jahr kommt. Zudem stehen Impfstoffe zur Verfügung, was die Bevölkerung beruhigt. Das Coronavirus hingegen ist neu, es gibt weder eine Impfung noch eine Behandlung. Daher ist die Bevölkerung verunsichert. Haben wir in einem oder zwei Jahren einen Impfstoff, würde die Diskussion anders verlaufen.»
Sind die vom Bundesrat erlassenen Massnahmen angebracht?
«Ja, das sind sie. So kann die Ausbreitung wenn auch nicht verhindert so doch zumindest verlangsamt werden.»
Können Sie abschätzen, wie sich die Epidemie weiter entwickelt?
«Nein, das ist derzeit noch nicht möglich und hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa von den weiteren Massnahmen und wie diese umgesetzt werden. Es gibt verschiedene Szenarien. In China nehmen die Ansteckungsraten jedoch aufgrund der ergriffenen Massnahmen ab. Ich hoffe, dass dies in den anderen Regionen auch der Fall sein wird. Der Frühling mit den wärmeren Temperaturen wird weiter für Entspannung sorgen.»
In den vergangenen Jahren traten immer wieder Seuchen auf, etwa SARS, die Vogel- oder Schweinegrippe. Was hat man aus diesen Epidemien gelernt?
«Einiges. Massnahmen werden früher ergriffen und konsequenter angewendet. Auch die Information der Behörden ist äusserst professionell. Ich habe grossen Respekt für die Arbeit des Bundesamtes für Gesundheit. Es handelt entschlossen und konsequent. Interessant wäre die Frage, ob auch die Medien aus den früheren Ereignissen gelernt haben.»
Müssen wir künftig vermehrt mit derartigen Epidemien rechnen?
«Die Weltbevölkerung nimmt zu und es gibt immer mehr Menschen, die mobil sind. Ich kann heute in 24 Stunden um die Welt fliegen. Dies fördert die Verbreitung von Krankheitserregern. Es ist wahrscheinlich, dass die Zahl der Epidemien künftig zunehmen wird.»
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