Open Air Gampel | Was ist aus dem Genre geworden?
Punk ist tot! Es lebe der Punk!
Mit dem Auftritt der Toten Hosen steht Gampel heute ganz im Zeichen des Punkrocks. Doch was ist aus dem Genre heute geworden? Zwei Meinungen aus der WB-Redaktion.
Dezidiert linke Positionen und ein bisschen Charity – die reinste Folklore
Von David Biner
Ein bisschen Nachtruhestörung
Punk ist tot. Schon lange. Viel ist nicht übrig geblieben von den wilden 1970ern, als die Jugendkultur nach Europa schwappte. Punk brauchte nicht viel. Ein paar Akkorde und eine leer stehende Garage. Provozierende Looks und einen unbändigen Willen, gegen alles und jeden zu sein, was sich nur ansatzweise hierarchisch organisiert: die Politik, der Staat, die Kirche, die Eltern. Gelegentlich hatte Punk auch etwas Leichtes. Dann, wenn er sich selbst in seiner verschrienen Welt nicht allzu ernst nahm und den eigenen Anspruch, aufzubegehren, ad absurdum führte. Ansonsten war er einfach nur schlecht gespielt, dumpf und linksradikal. Das Todesurteil für die laute Rebellion. Während sich andere Subkulturen, wie etwa der Hip-Hop mit seinen Tellerwäscher-Geschichten – jedes Ghetto-Kid kann es zum Millionär schaffen –, zum Mainstream weiterentwickelten, ohne sich dabei jedes Mal selbst verleugnen zu müssen, waren die Hürden der Punk-Attitüde schlichtweg zu hoch.
Dass nun «Die Toten Hosen» in Gampel als unsere aller Punks gefeiert werden, ist kein Zufall. Gegründet in der Hochblüte des Genres, haben es Campino und Co. wie kaum eine andere Punk-Band im deutschsprachigen Musik-Markt verstanden, so gross zu werden. Und dies, obwohl man ja immer die da unten bleiben wollte. Das Geheimnis? Als einzige Band im diesjährigen Programm schaffen sie es, verschiedene Generationen vor der Bühne zu versammeln. Hits wie «Alles aus Liebe» oder «Tage wie diese» sind keine Punk-Songs. Sondern lupenreine Schlager. Nein, nicht wie die Helene Fischer. Sondern Udo-Jürgens-Format: die Liebe, das Leben, der Tod und die Ewigkeit. «Griechischer Wein» zum Mitgrölen. Dass die Band für dezidiert linke Positionen eintritt und ein bisschen Charity macht, ist reine Folklore. Guten Gewissens kann sie sich eine fette Gage im hohen sechsstelligen Bereich einstreichen. Es spielt der freie Markt. Die Hosen haben es schon lange vor Spotify verstanden, dass man den zahlenden Gästen an Live-Konzerten auch etwas bietet. Das ist nicht Punk. Sondern professionell. Auch um diesen geordneten Abläufen der Musik-Industrie zu entkommen, haben die Düsseldorfer vor ein paar Jahren angefangen, kleine Privatkonzerte in den Wohnzimmern ihrer Fans zu veranstalten. Ein in Mitleidenschaft gezogenes Sofa, eine leer stehende Garage und ein paar Akkorde: Die Nachtruhestörung als Reminiszenz an alte Zeiten, bevor der Punk salonfähig wurde – und starb. Das ist lange her. Zum Glück.
Der Punk in Campino ist zwar gestorben, lebt aber in seinen Klassikern weiter
Von Mathias Gottet
Tausendfache Wiedergeburt
Punk lebt – immer und überall! Egal ob Stadt oder Land, Bahnhof Zoo oder Bahnhof Gampel. Dann und wann sieht man sie immer noch, die farbigen Irokesenträger. Metallnieten, karierte Hosen, leinenlose Hunde, an den Füssen Dr. Martens und im Ohr eine Sicherheitsnadel. Doch über die Jahrzehnte hinweg musste der klischeeumrahmte Bierdosenpunk an Fläche einbüssen. Denn das bestialische Verlangen des Monsters namens Popkultur verschlang die Provokationen der aufmüpfigen Punks. Die Tage sind gezählt, bis Justin Bieber in einem Ramones- oder The-Clash-Band-shirt die Bühnen dieser Welt bepoppen und jedem Irokesenträger das Verlangen nach Bandshirts entziehen wird. Die Löcher in den Jeans der modebewussten Jugend entstehen heute nicht mehr durch Strassenproteste und zeugen nicht mehr von einer postmaterialistischen Überzeugung, sondern werden in den Fabriken im globalen Süden planmässig so eingenäht und blicken später von den Hochglanz-Modezeitschriften.
Punk war in den 1980er-Jahren eine Jugendkultur: Musik und Mode, Mut zum Dilettantismus und Denkmuster ohne Respekt gegenüber den geltenden Normen. Dafür selbstbestimmt und autonom – ein Punk lebt, wie es ihm gefällt. Die Anti-Bewegung hat es nicht nur in besetzte Häuser geschafft, sondern relativ bald auch in den Mainstream. Und sich durch die Kommerzialisierung den Wind aus den Segeln genommen. Der Punk in Campino ist zwar gestorben, lebt aber in seinen Lied-Klassikern weiter. Die Punk-Bewegung musste tausend Tode sterben, ihr Geist ist aber mindestens ebenso oft in einer jungen Punkband, die gegen die Rassisten dieser Welt und das Establishment aufbegehrt, wiedergeboren. Zwar ist der Geist des Punks heute schwieriger sichtbar geworden und nicht mehr an einer giftgrünen Irokese erkennbar, aber seine Antihaltung lebt in linksautonomen Bewegungen weiter. Bis heute verteidigen Autonome die besetzten Kulturzentren in den Grossstädten. Antifaschistische und anarchistische Sprüche springen den im Alltagsstrudel versunkenen Stadtbewohnern ins Auge. Und auch wenn es bei vielen Betrachtern nur für ein Kopfschütteln reicht, zumindest zeigt es eine Alternative auf. Punk versinkt nicht im Untergrund, sondern bleibt sichtbar. An den Bahnhöfen jeder Stadt werden sie weiter ihre Bierdosen zerdrücken. Und auf ihre eigene Art und Weise protestieren. Für eine Welt, in der man sich die Regeln selber auferlegt. Für eine Welt, in der man so lebt, wie man will.
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