Porträt | Die bald 18-jährige Jenny leidet an der unheilbaren Krankheit EB, der WB hat sie besucht
Ein Schmetterlingskind wird erwachsen

Starke Frau. Seit der Geburt leidet Jenny an der seltenen Krankheit, lässt sich aber nicht unterkriegen.
Foto: Walliser Bote

Halten zusammen. Beni Imboden und Partnerin Tanja mit der jeweiligen Tochter Svenja und Jenny (von links).
Foto: Walliser Bote
«Jenny kommt gleich, die Pflegerin ist noch bei ihr.» Tanja Reusser deckt draussen den Tisch. Die Sonne ist bereits genügend warm an diesem Frühlingsmorgen. Erste Schmetterlinge tanzen um die blühenden Sträucher im Garten herum. Niemand habe damals nach der Geburt gewusst, was mit Jenny los sei, erinnert sich Tanja. «Auch die Ärzte waren ratlos. Eine schwierige Zeit als Mutter.» Nach einer langen Odyssee bei verschiedenen Hautspezialisten dann die Diagnose: Epidermolysis bullosa oder kurz EB. Ein bis heute unheilbarer Gendefekt.
«Keine Sekunde ohne Schmerzen»
Jenny Pauli
Die Haut der Betroffenen kann sich, ähnlich wie bei Verbrennungen, lösen. Aufgrund dieser Verletzlichkeit werden Jenny und die schätzungsweise 200 Menschen, die schweizweit an einer EB-Form leiden, auch «Schmetterlingskinder» genannt. Eigentlich ein zu poetischer Name für eine Krankheit, die höllische Schmerzen verursacht und den Alltag der Betroffenen in jedem Bereich erschwert. Aufstehen, sich anziehen, längere Strecken laufen, draussen spielen, essen etc. – überall lauern Gefahren auf die Schmetterlingskinder, deren einzelnen Hautschichten nicht richtig zusammenhalten. «Als ob der Leim fehlt, der das alles zusammenhält», bringt es Stiefvater Beni Imboden auf den Punkt. Mit seiner 11-jährigen Tochter Svenja ist er vor vier Jahren bei Tanja und Jenny eingezogen. In der Patchworkfamilie sind mittlerweile alle Profis, wenn es um den Umgang mit EB geht. fast alle Angehörigen kommen zeitlich an ihre Grenzen und müssen ihr Tagesprogramm ständig dem körperlichen Zustand des Schmetterlingskindes anpassen. Der Pflegeaufwand ist enorm, zahlreiche Wunden, welche die sich lösende Haut zur Folge hat, müssen täglich fachgerecht versorgt werden. Dreimal die Woche kommt eine Pflegerin heim zu Jenny, um die Mutter zu entlasten. Fünf Spitex-Fachfrauen stellen die Einsätze bei Jenny sicher. Ihr Wissen über EB haben sie von Tanja, Jenny selber und von der Patientenorganisation DEBRA Schweiz. Man kennt sich. Und als sich die Pflegerin an diesem Morgen von den Eltern verabschiedet, trifft sie beinahe den Ton, wie er sonst nur unter Familienmitgliedern zu hören ist. «Bis zum nächsten Mal.»
Luca Hänni als Botschafter
Nun tritt Jenny hinaus in den Garten und nimmt Platz. Wie soll man ihr die Hand reichen? Tut man ihr weh? Die junge Frau spürt die Verunsicherung, sie begegnet ihr jeden Tag. Manchmal kommt es vor, dass sich die Wunden auch übers Gesicht ziehen. Auf der Strasse oder im Bus werde sie dann oft angestarrt. «Manchmal blicke ich einfach böse zurück», grinst sie und zeigt Verständnis: Gegenüber Unwissenden hege sie keinen Groll. Umso mehr bemüht sie sich selbst um Aufklärung. In Luca Hänni, dem einstigen Gewinner der Castingshow «Deutschland sucht den Superstar», hat sie einen berühmten Fürsprecher gefunden. Der 21-jährige Popstar habe sofort zugesagt, die Botschafterrolle für die Schmetterlingskinder zu übernehmen, erinnern sich Tanja und Beni. Und auch an diesem Nachmittag steht ein Konzert des Berners auf dem Programm. Ein Pflichttermin für die bald 18-Jährige, die wohl jede Liedzeile von Hännis Songs rückwärts und im Schlaf vorsingen könnte. Entsprechend gross ist die Vorfreude. Kichernd streicht sie sich die Haare hinters Ohr, wenn sie mit Schwester Svenja über die besten Alben des Idols fachsimpelt. Wunde Stellen am Hals und auf den Wangen hat sie überschminkt. Heute sei ein guter Tag, zurzeit gehe es ihr eigentlich nicht schlecht, freut sie sich. In Erwartung weiterer Fragen schweift ihr Blick schnell über den gedeckten Tisch. Auch das Essen fällt ihr schwer. Aufgrund der stark vernarbten Speiseröhre hat sie Schmerzen beim Schlucken, zeitweise kann sie gar nichts zu sich nehmen und muss künstlich ernährt werden. Etwas, was ihm fast am meisten leidtue, gesteht Beni. Beim ganzen Verzichten sei es wohl am schwersten zuzuschauen, wenn alle anderen am Tisch dieses und jenes verspeisen. Was soll man diese junge Frau fragen? Wie es ist, mit dieser Krankheit zu leben? Kann man als nicht betroffener Mensch überhaupt begreifen, was es bedeutet, mit dieser Krankheit den Alltag zu meistern? «Es gibt keine Sekunde ohne Schmerzen», antwortet sie bestimmt und sachlich, «eigentlich weiss ich ja gar nicht, wie es wäre, ohne diese Krankheit zu leben.» Das sei vielleicht auch gut so, denn als EB-Kind lerne man schnell, vorsichtig zu sein. Jedes Gedränge, jedes Geraufe, jeder Sturz kann zu neuen Wunden führen. Teils auch mit starken Blutungen. Deshalb sei es auch für die Eltern sehr wichtig, zu wissen, wie man in einem solchen Fall reagieren muss, ergänzt Mutter Tanja.
Ausbildung für Pflegepersonal verbessern
Es handle sich nicht jedesmal um einen akuten Notfall. Mit dem nötigen Wissen behalte man in vielen Situationen die Übersicht. Dazu komme, dass auch in vielen Spitälern das erforderliche Fachwissen fehle, zumal EB derart selten ist. Genau deshalb und aus eigener Erfahrung engagiert sich Tanja bei der Patientenorganisation DEBRA Schweiz, die sie präsidiert. Der Verein berät Betroffene und deren Eltern in sämtlichen Fragen des täglichen Lebens, sorgt für Ferien und Erholung für die Schmetterlingskinder sowie deren Familienmitglieder, vermittelt Beratung in Rechtsfragen sowie betreffend Versicherungen und Krankenkassen. Darüber hinaus unterstützt man das EB-Kompetenzzentrum am Insel-Spital Bern ebenso wie die EB-Forschung weltweit. Da die Haut, als überlebenswichtiges Organ, permanent verletzt ist, geht man bei Schmetterlingskindern von einer tieferen Lebenserwartung aus. Ein weiterer wichtiger Punkt ist deshalb die Förderung der EB-Forschung in der Hoffnung, die Krankheit irgendwann heilen zu können. Tanja liegt es vor allem am Herzen, die Ausbildung sowie die Verfügbarkeit des Pflegepersonals zu verbessern. Mit einer fachspezifischen Betreuung zu Hause sei sowohl den Betroffenen, aber eben auch den Eltern wohl am direktesten gedient. Ebenfalls wichtig sei die Möglichkeit, sich unter Schmetterlingskindern und Eltern austauschen zu können. «Manche trauen sich nicht, in der Öffentlichkeit darüber zu sprechen. Je mehr aber darüber gesprochen wird, desto einfacher wird es, damit auch umgehen zu können.» Diesen Schritt haben Jenny und ihre Familie hinter sich. «Klar ist es nicht immer einfach», meint Beni, «für alle Beteiligten nicht.» Er staune aber bis heute immer wieder, wie stark Jenny sei, und wie sie mit dem Ganzen umgehe. «Da wirken andere Alltagsprobleme, etwa bei der Arbeit, auf einmal ziemlich klein.» Apropos Arbeit: Nach Abschluss der Integrativen Mittelschule Rudolf-Steiner im Sommer 2017 strebt Jenny ein Studium in Sozialarbeit an. Auch hier werden die Herausforderungen für die junge Frau gross sein. So wird die Suche nach der nötigen Praktikumsstelle vermutlich nicht einfach. Kein Grund jedoch für das Schmetterlingskind, nicht weiterzufliegen.
David Biner
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Kommentare
Fabienne - ↑7↓3
Hei Jenni, min chline Schmetterling ♡
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