Pilze | Walter Anthamatten ist ein findiger Morchelliebhaber
Ein Pilzkenner auf Morchelsuche
Seit nunmehr 50 Jahren wird Walter Anthamatten im Frühjahr vom Morchelfieber gepackt. Sobald die würzigen Köstlichkeiten nach der Schneeschmelze in erfreulicher Zahl aus dem Boden spriessen, macht sich der findige Morchelsammler jeweils in den frühen Morgenstunden und meist ohne Begleitung auf die Suche nach den beliebten Speisepilzen.
Obschon sich der Himmel am vergangenen Freitagmorgen wolkenverhangen zeigte, kühle Temperaturen vorherrschten und ab und an einige Regentropfen fielen, liess es sich der erfahrene Pilzfreund aus Agarn nicht nehmen, sich in einem von Eschen, wilden Berberritzen und blühenden, jungen Kirschbäumchen durchsetzten Mischwald auf Morcheljagd zu begeben.
Fernab einer asphaltierten Bergstrasse und breitgetretenen Wanderwegen macht sich der mit einem Wanderstock, gutem Schuhwerk und einem Stoffbeutel ausgerüstete Pensionär ins dichte Unterholz – nur um wenige Augenblicke später die erste Speise-Morchel unter welkem Blattwerk zu sichten. «Ein schönes Exemplar», zeigt sich der rüstige 78-Jährige mit dem ersten Fund an diesem Freitagmorgen zufrieden. Anthamatten zückt sein Sackmesser und schneidet den schwammartigen Fruchtkörper am weisslich-gelben Stiel vorsichtig ab, um ihn flugs in seiner Tasche, die er sich um den Hals gelegt hat, verschwinden zu lassen.
Dem Kenner entgeht keine Morchel
Schnell wird deutlich, dass sich der erfahrene Pilzsucher mit den Jahren ein geschultes Auge im Aufstöbern der typischen Frühjahrspilze, die zwischen überwuchertem Fallholz und auf dem erdig-braunen Waldboden kaum auszumachen sind, angeeignet hat. Je tiefer Anthmatten trittsicher im Dickicht verschwindet, den Blick konzentriert auf den Erdboden gesenkt, desto schwerer wird nämlich seine Tasche. Um mit möglichst reicher Ernte heimzukehren, müsse man sich halt schon in unwegsames Gelände vorwagen, weiss der versierte Sammler, der die Suche nach dem Meister der Tarnung mit gemächlicher Gelassenheit angeht. «Selten wachsen Morcheln direkt am Strassenrand», hat der erfolgsverwöhnte Sammler gut lachen.
Fundorte bleiben meist geheim
Dieses für Morchelsammler ergiebige Waldgebiet an einem nicht wenig abschüssigen Südhang im oberen Rhonetal, das zuweilen von munter dahinplätschernden Bergbächlein und kleinen Rinnsalen durchzogen ist, habe ihm einst eine inzwischen verstorbene Pilzkennerin aus der Region anvertraut, erzählt Anthamatten, der sich dabei nicht von seiner Suche abbringen lässt. «Alljährlich im Frühling kehre ich hierher zurück und bin bisher meist fündig geworden.» Mit seinem Spazierstock deutet der Rentner in eine Richtung: ebendort habe er vor einigen Jahren sein bisher grösstes Exemplar gefunden. «Die Morchel wog stolze 120 Gramm», berichtet er von seinem Zufallsfund. Einige Schritte weiter hält der Berggänger erneut inne. An dieser Stelle sei einst ein ganzes ’Morchelfeld’ gewachsen – ein edler Pilz neben dem anderen habe sich dem Himmel entgegengestreckt. «Fast so als hätte man sie in einem Garten gesät.» Heuer hat Anthamatten weniger Glück. Nach einem prüfenden Blick stapft er, ohne sein Sackmesser aufklappen zu dürfen, langsam weiter.
In der Regel verraten Morchelsammler die Geheimnisse ihrer Standorte nicht. Die Fundplätze werden nicht selten wie ein Schatz gehütet. Auch Anthamatten kennt im Oberwallis mehrere erträgliche Orte, die er im Frühling regelmässig aufsucht, um nach den aromatischen Delikatessen Ausschau zu halten. Er weiss: «Zu finden sind Morcheln vor allem auf Waldlichtungen, in deren Umgebung Eschen wachsen oder auf sandigen und durchlässigen Böden an Bachläufen.» Der eiförmige Pilz mit seinem wabenartig strukturierten Hütchen sei aber auch unter Gebüschen, auf übermoosten Holzabfällen und auf Brandflächen, ja sogar in Gärten zu finden. Der Experte ergänzt: «Auch Schlüsselblumen sind meist ein gutes Zeichen für das Vorhandensein von Morcheln. Und in höheren Lagen können die Frühlingspilze bis in den Spätfrühling hinein erscheinen.»
Morchelsucher schwärmen aus
Nach einer Weile des aufmerksamen Suchens, trifft Anthamatten an jenem Freitagmorgen auf einen weiteren Sammler. Ob man fündig geworden sei, will er von dem jungen Pilzfreund wissen. Der Sammler gibt sich mit seiner Ausbeute zufrieden. Nach einem kurzen Schwatz richten die «Morcheljäger» ihr Augenmerk jedoch erneut gen Waldboden und suchen eifrig weiter.
Der Agarner steigt weiter talwärts ab. Hier ist das Land bereits etwas aufgewühlt und ab und an ragt ein fein säuberlich abgetrennter Stielansatz aus dem Erdboden. Ein Zeichen dafür, dass die möglichen Morchelstellen bereits durchkämmt wurden. Morcheln scheinen begehrt zu sein. Doch Anthamtten soll den nicht wenig beschwerlichen Weg nicht umsonst auf sich genommen haben. In belohnt das Glück des Tüchtigen: einige wenige, von den anderen Sammlern offenbar übersehne Graumorcheln, lassen sich noch abernten und behutsam in die Tasche legen.
Ein guter Erntetag
Nach rund drei Stunden des konzentrierten Durchstreunens des Morchelgebiets und mit einem beachtlichen Sammelerfolg, ist der leidenschaftliche «Morchler» durstig und tritt den Heimweg an. Bei Anthamttens zu Hause werden die Morcheln schliesslich durch schonendes Trocknen haltbar gemacht. Mittels dieser Methode entwickeln die Pilze denn auch ihr volles aromatisches Potential: fleischig, waldig, leicht scharf und etwas feucht. Bei einer passenden Gelegenheit – etwa in einer Fleisch- oder Rahmsauce zubereitet – landen die angenehm würzigen und kalorienarmen Eiweisslieferanten schliesslich auf dem Gourmet-Teller.
Bald schon will sich der geübte Sammler Anthamatten im Morgengrauen und wenn es die Witterungsbedingungen zulassen erneut zu seinen angestammten Morchelplätzen aufmachen. Die Speisepilze sind nämlich nur kurze Zeit zu haben. «Da sollte man jede Gelegenheit nutzen.» Erst später im Kalenderjahr ist der Pilzliebhaber auf der Suche nach Eierschwämmen und Steinpilzen erneut im Wald anzutreffen. Die wundersame Welt der Pilze scheint ihn nicht mehr loszulassen.
pan
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar