Walliser im Ausland | Anja Mathier auf La Réunion
«Die Liebe! Was sonst?»
Seit mehr als drei Jahren lebt Anja Mathier aus Salgesch auf La Réunion. Auf 1815.ch berichtet die 38-Jährige über den Kampf mit der französischen Administration, über das Leben dort, wo andere Urlaub machen, und furchteinflössende Zyklone.
Anja Mathier, was hat Sie an den Indischen Ozean verschlagen?
«Wie könnte es anders sein – die Liebe. 2014 verbrachte ich Wanderferien auf La Réunion und lernte Patrice kennen. Er war der Bergführer unserer Gruppe. Nach einem Jahr Fernbeziehung fand ich, dass eine Entscheidung fällig sei: Entweder alles sein lassen oder ausprobieren, ob diese Beziehung im täglichen Zusammenleben funktionieren kann. Ich liess es auf einen Versuch ankommen.»
Was machen Sie beruflich?
«Ich arbeite als freiberufliche Pflegefachfrau. Konkret heisst das, dass ich die Leute zu Hause pflege. Die meisten Patienten, die ich betreue, sind Diabetes-Patienten. Diabetes ist auf La Réunion ein grosses Gesundheitsproblem und betrifft fast zehn Prozent der Bevölkerung.»
Auf welche Herausforderungen sind Sie in der neuen Heimat gestossen?
«Wenn ich zurückdenke, war die erste Zeit nicht ganz einfach. Die erste grosse Herausforderung war die Arbeitssuche. Ich weiss nicht mehr, wie viele Bewerbungen ich verschickt habe, ohne je auch nur eine Antwort zu erhalten. Ich begann schon langsam daran zu zweifeln, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, alles in der Schweiz hinter mir zu lassen. Nach drei Monaten intensiver Arbeitssuche hatte ich dann aber Glück und fand eine Stelle in einer freiberuflichen Pflegepraxis.
Damit begann jedoch eine neue Herausforderung, nämlich die Sprache. Die meisten Patienten sprechen nur Kreolisch und das war für mich am Anfang eine Wissenschaft für sich. Auch heute noch gibt es Situationen, in denen ich nicht alles verstehe.
Die grösste Herausforderung ist und bleibt jedoch die weltberühmte französische Administration. Es hat Zeit und Nerven gekostet bis alle Papiere – für die Arbeit, Auto-Permis und so weiter – in Ordnung waren. Und noch heute ist es jedes Mal ein Kampf, wenn etwas Administratives zu erledigen ist.»
In welcher Ortschaft leben Sie?
«Bis im Juli dieses Jahres lebten wir in Saint-Pierre, der zweitgrössten Stadt auf La Réunion, in der Nähe des Meeres. Da wir beide jedoch eher Bergmenschen sind, zog es uns nun in die Höhe. Wir leben jetzt in Le Tévelave, einem 1500-Seelen-Dorf auf 900 Metern über Meer.»
Wie wohnen Sie?
«Wir haben uns ein kleines Häuschen mit Garten am Rande des Dorfes gekauft. In unserem Garten haben wir Pflanzen, Blumen und Obstbäume – Mandarinen, Zitronen, Äpfel, Kiwi. Nächstens wollen wir noch einen Gemüsegarten anlegen. Ausserdem haben wir nun den Wald quasi vor der Haustür.»
Was haben Sie sich vom Leben auf La Réunion erhofft?
«Eigentlich wollte ich nur sehen, ob eine Beziehung mit Patrice Chancen hat.»
Haben sich diese Erwartungen erfüllt?
«Und wie! Seit September sind wir stolze Eltern unserer Inès.»
Wie lebt es sich mit einem Neugeborenen auf La Réunion?
«Ich glaube, es gibt da keinen grossen Unterschied zur Schweiz. Ausser vielleicht, dass Inès nächstens schon vom Strand und dem Meer profitieren kann. Ich bin schon gespannt, wie sie darauf reagieren wird.»
Arbeitslosigkeit ist auf La Réunion ein grosses Thema. Was bekommen Sie von diesem sozialen Brennpunkt mit?
«Ja, mit einer Arbeitslosenquote von 26 Prozent ist es leider tatsächlich ein grosses Thema. Das Leben hier ist teuer, da fast alles importiert werden muss. Die meisten Konsumgüter kosten 30 bis 60 Prozent mehr als in Frankreich. Arbeitslosigkeit und hohe Lebenskosten sind keine gute Mischung. Manch eine Familie muss ihr Budget für das Monatsende gut planen.»
Leben, wo andere Urlaub machen: Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
«Am liebsten verbringen wir unsere Freizeit in der Natur, mit Wandern und Campieren. Ab und zu ein Tag am Strand ist natürlich auch angenehm. Ich denke, dass wir in Zukunft mit Inès vermehrt ans Meer gehen werden. Für die Kinder auf La Réunion ist der Strand ein riesiger Spielplatz.»
Wie ist das Wetter momentan?
«Hier beginnt langsam der tropische Sommer. Das bedeutet, es wird nun sehr heiss, aber es regnet auch häufiger. Zum Glück leben wir nun auf 900 Metern über Meer, wo es doch angenehmer ist in Bezug auf die Hitze. Der tropische Sommer bringt auch das Zyklonrisiko mit sich. Hoffentlich werden wir diese Saison verschont. Letzte Saison hatten wir mehrere Zyklone, die nahe an die Insel herangekommen sind. Das war keine angenehme Erfahrung. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es sein muss, wenn so ein Wirbelsturm über die Insel fegt.»
Was unterscheidet die Einwohner von La Réunion von den Wallisern?
«In La Réunion besteht ein unglaublicher Kulturmix. Die Einwohner haben europäische, afrikanische, indische, chinesische und arabische Wurzeln und alles hat sich über die letzten Jahrhunderte vermischt. Ein riesiges Misch-Masch, was mir persönlich sehr gefällt. Die Walliser bleiben in dieser Hinsicht doch mehr unter sich.»
Welches Bild der Schweiz hat man auf La Réunion?
«Die meisten sehen die Schweiz als Land mit hohem Wohlstand. Natürlich kennt man auch die Schweizer Schokolade.»
Reisen Sie oft zurück ins Wallis?
«Ich versuche ein Mal im Jahr zurückzukommen. Vor allem jetzt mit Inès werden wir sicher regelmässig ins Wallis kommen, damit sie auch von der Walliser Familie profitieren kann.»
Haben Sie manchmal Heimweh?
«Ja, natürlich habe ich manchmal Heimweh. Auch wenn es mir auf La Réunion gefällt, ist und bleibt ein Stückchen Herz im Wallis.»
Was vermissen Sie am meisten aus der Schweiz?
«Am meisten vermisse ich meine Eltern, Schwestern, Neffen und Freunde. Dann fehlt mir auch der Schnee und das Skifahren. Und wie immer, wenn man im Ausland ist, fehlen einem gewisse Lebensmittel, welche man von klein auf konsumiert hat. Während der Schwangerschaft zum Beispiel hätte ich alles gegeben für ein Mocca-Joghurt.»
Blick in die Zukunft: Könnten Sie sich vorstellen, mit Ihrer Familie eines Tages in die Schweiz zurückzukehren?
«Klar, wieso nicht, in ein paar Jahren. Im Moment ist es jedoch kein Thema. Ideal wäre natürlich sechs Monate hier auf La Réunion und sechs Monate im Wallis zu leben. Dies wird jedoch schwierig zu realisieren sein, da das Französische und das Schweizer Schulsystem doch sehr unterschiedlich sind. Mal sehen, was die Zukunft bringt.»
Haben Sie einen Insider-Tipp für La-Réunion-Reisende?
«La Réunion ist eine Vulkaninsel, die vor über drei Millionen Jahren im Indischen Ozean entstanden ist. Die Natur ist atemberaubend und jeder sollte unbedingt Mafate sehen. Dieses Gebiet ist nur schwer zugänglich und wurde als erstes von den Sklaven, welche vor ihren Heeren flüchteten, besiedelt. Es war der ideale Ort, um sich zu verstecken. Heute noch ist dieser Teil der Insel nur zu Fuss (oder mit Helikopter) zugänglich.
Ausserdem empfehle ich die Besichtigung des aktiven Vulkans ‚Piton de la Fournaise‘. Dieser kann auch bestiegen werden, wenn er nicht gerade in Eruption ist. In den letzten drei Jahren war er relativ aktiv und die meisten Eruptionen waren von einem Aussichtspunkt aus zu sehen. Ein unglaubliches Spektakel!
Für den Samstagvormittag empfehle ich den Wochenmarkt von Saint-Pierre. Und warum nicht ein Glässchen Rum bei typischer Maloya-Musik am Abend. Es gibt noch viel mehr zu sehen, wie zum Beispiel der wilde Süden, der ‚Piton des Neiges‘ – der höchste Berg auf La Réunion mit 3071 Metern über Meer, oder das Dorf Hellbourg, welches als eines der schönsten Dörfer Frankreichs klassiert wurde.»
Für unsere Rubrik «Walliser im Ausland» sind wir regelmässig auf der Suche nach Wallisern, die fernab der Heimat leben. Gehören Sie auch dazu oder kennen Sie jemanden? Dann freuen wir uns auf Ihre Nachricht an info@1815.ch.
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