Rückblick | Vor zwei Jahren musste Campino kurzfristig absagen – Rekonstruktion eines Super-GAUs
Als es in Gampel plötzlich ganz still wurde
Alles war angerichtet: Jubiläumsausgabe zum 30. Geburtstag und mit den Toten Hosen die Gampel-Lieblinge als Headliner. Dann die Absage. Erinnerungen an die wohl aufwühlendsten Stunden des Festivals.
Es war der 20. August 2015. Ein Donnerstagmorgen. Als die ersten Sonnenstrahlen über das Gampjerfeld streiften, waren die Produktionsleute der Toten Hosen bereits dabei, die Hauptbühne für die Show am Abend vorzubereiten. Meterweise Kabel wird verlegt. Ein üblicher Ablauf für eine Band mit diesem Ruf, auf einer Bühne mit diesen Dimensionen.
Gegen neun Uhr machten sich die Männer aber plötzlich wieder daran, das ganze Material abzubauen. Erste Gerüchte machten die Runde. Auf eine frühe Nachfrage dieser Zeitung reagierte Programmchef Roman Pfammatter barsch, drohte mit rechtlichen Schritten, falls ohne offizielle Bestätigung etwas publiziert werde. Die Nerven lagen blank. Rund um die Bühne merkte man, dass etwas nicht stimmte. Richtig daran glauben wollte niemand.
Von Rohr winkte ab
Um 9.15 Uhr trommelte Pfammatter das Festival-OK zusammen. Campino habe eine Kehlkopfentzündung. Der Gig abgesagt. Die grosse Stille. Vor dem Auftritt in Gampel verausgabte sich der Sänger in einem Club-Konzert in Zürich. Ein paar Tage später sollte die Band in Dresden auftreten. «Sie mussten Gampel opfern», sagt Olivier Imboden rückblickend.
Der Medienchef ist bald 20 Jahre dabei. Aber an eine annähernd vergleichbare Situation könne er sich nicht erinnern. Die ganze Festivalausgabe zum 30-jährigen Bestehen habe man an den «Hosen» als Headliner «aufgezogen». Und dann kommen sie nicht. «Es war der absolute Super-GAU. Das Schlimmste, was passieren konnte.» Rund 15 Minuten dauerte die Schockstarre. Ungläubige Blicke kreuzten sich. Das Festival-OK haderte. Doch allzu viel Zeit für Selbstmitleid blieb ihnen nicht. Pfammatter und seine Agenten scrollten durch ihre Kontakte. Chris von Rohr hatte man am Hörer. Das Schweizer Rockurgestein und Mitbegründer von Krokus, sonst nie um einen Spruch oder eine ausgeflippte Aktion verlegen, winkte aber ab. Als Ersatzband für Die Toten Hosen? Headliner am Open Air Gampel? Diese Bürde war selbst von Rohr zu gross.
Imbodens Kopf dampfte. Jetzt war Krisen-Kommunikation gefragt. Seine grösste Angst: «Das glaubt uns doch niemand!» Wie soll man einer anreisenden Party-Meute erklären, was man selbst noch nicht realisiert? «Wir haben uns darauf geeinigt, erst dann zu kommunizieren, wenn wir eine Ersatz-Band bestätigt haben.» Zwischendurch musste er Journalisten, die das Ganze für einen weiteren Marketing-Gag des Festivals hielten, hinauf auf die Hauptbühne zerren. «Das hier ist kein Spass. Schaut euch das Material selbst an!» Der Name der Punkband stand da auf den Kisten, die eine nach der anderen von der Bühne gerollt wurden. Irgendwann gegen Mittag folgte die offizielle Bestätigung seitens des Festivals. Die Toten Hosen kommen nicht. Kraftklub sprang ein.
Mit dem Zug ins Wallis
Die Band war auf Tournee, hatte aber einen freien Tag. Bei der Zusage verlangte sie bei der Gage noch etwas mehr als üblich. Die Not im Wallis stärkte die eigene Verhandlungsposition. Der Ruf aus Gampel war aber auch für die Truppe aus Chemnitz alles andere als gewohnt. Auf das angestammte Outfit mussten sie genauso verzichten wie auf ihr Bühnenbild. Das Festival-OK schickte extra jemanden nach Zürich, um die gewünschten Bomberjacken zu kaufen – rot mussten sie sein. Genau wie die bestellten Hosenträger. Diese wurden in Gampel genäht.
Aber nicht nur die Jungs von Kraftklub waren unterwegs. Auch die Bandmitglieder der «Hosen» – mit Ausnahme von Campino – machten sich auf den Weg nach Gampel. Nicht in Edelkarossen. Sondern mit den Schweizerischen Bundesbahnen. In Gampel angekommen, entschuldigten sie sich in aller Form – und versprachen, dass sie wiederkommen. «Dass sie später auf der Bühne zusammen mit Kraftklub noch ein paar «Hosen»-Songs gespielt haben, hat uns enorm geholfen», blickt Imboden zurück. «So hat das Publikum gesehen, dass es der Band aufrichtig leidtat – auch, wenn sie ja nichts dafür konnte.» Trotzdem sei er etwas erstaunt gewesen, wie ruhig und vor allem wie wohlwollend die Leute reagierten. «Dieser Tag hat uns als Festival stärker gemacht.»
Als Die Toten Hosen dann später ankündigten, in diesem Festivalsommer auch zweimal in der Schweiz zu spielen, war klar, wo eine der beiden Zwischenhalte sein musste. Moralisch fühlten sich Campino und Co. verpflichtet, in Gampel das Versäumte nachzuholen. Vertraglich jedoch nicht. Die Veranstalter müssen in diesem Jahr für die Kult-Punks tief in die Taschen greifen, zumal die Band noch mit einem neuen Album auf Tour ist. Auf die ganz grossen Stadion-Bands verzichtet man in Gampel seit einiger Zeit, weil zu teuer. Für «Die Hosen» gelten aber andere Regeln. «Stell dir vor», meint Imboden, «die hätten in diesem Jahr am Greenfield gespielt, aber nicht bei uns.» Auch das hätte er den Leuten wohl irgendwie erklären können. Ein zweites Mal sind Die Toten Hosen aber nicht zu ersetzen.
David Biner
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