Verkauf | Arbeitsalltag von Verkäuferinnen eine Blackbox
Für mehr Aufmerksamkeit im Detailhandel
Die Historikerin Elisabeth Joris wuchs in Visp auf und lebt seit 1966 in Zürich. Die gebürtige Walliserin hat in der Vergangenheit zahlreiche Beiträge und mehrere Bücher zum Forschungsschwerpunkt Geschlechtergerschichten im 19. Und 20. Jahrhundert veröffentlicht. Nun erscheint ihr nächstes Werk mit dem Titel «Damit der Laden läuft», welches sie zusammen mit Juristin Rita Schmid herausgegeben hat.
Darin wird die Detailhandelbranche kritisch betrachtet. So omnipräsent die – überwiegend weiblichen – Detailhandelangestellten im Alltag seien, so wenig wisse man über ihren Arbeitsalltag.
Elisabeth Joris, sie sprechen über die Bedingungen und den Alltag von Verkäuferinnen im Detailhandel – ist diese Branche frauenfeindlich?
«Ich würde das nicht generalisieren. In dieser Branche aber spiegeln sich die Ungleichheiten der Geschlechter. Es ist eine Tieflohnbranche und überall, wo es mehr Frauen als Männer hat, sind die Löhne immer tiefer. Das ist eine alte Tradition.»
Der Detailhandel ist für die Schweizer Wirtschaft enorm. Mehrere Hunderttausend Personen arbeiten in der Schweiz in diesem Sektor. Sie bemängeln, dass die Angestellten praktisch keine Lobby haben. Warum ist das so?
«Es ist ein Beruf, der eine sehr schwache Berufsidentität hat. Das hängt auch mit der Tradition zusammen. Bei der Frau herrscht ständig eine doppelte Identität zwischen Familie und Beruf. Beim Mann gibt es das nicht. Frauen haben sich vielfach in Mutter- oder Frauenvereinen engagiert. Männer hingegen waren nie in Männervereinen tätig, sondern im Gewerbeverband oder in Gewerkschaften. Von dem her ist die Lobby dort schwach.»
Laut Ihnen sollten sich Frauen mehr in Gewerkschaften engagieren. Im Pflegebereich ist dies der Fall. Aber in diesem verdienen Frauen auch nicht viel mehr. Haben sie unrecht?
«Also im Care-Bereich hat sich schon etwas getan. Vor allem nach dem Frauenstreik 1991, bei welchen auch an vorderster Front weibliches Pflegepersonal mitgemacht hat. Aktuell stagniert es wieder, das ist so. Ich würde eher Altenbetreuung und Detailhandel vergleichbar machen. In beiden Bereichen arbeiten Frauen Teilzeit. Hier im Oberwallis weiss ich, dass im Verkauf, Frauen bewusst klein prozentig beschäftig werden, damit der Koordinationsabzug gilt. So dass keine Pensionskasse eingezahlt werden muss. Darum sind Arbeitnehmer mit einem stärkeren Berufsprofil gar nicht erst gefragt. Dies ist jedoch nicht bei allen Unternehmungen der Fall.»
Wenn Frauen sich nicht wehren, ändert sich nichts. Trägt die Verkäuferin nicht auch eine Mitschuld an der Lage?
«Ich würde das so nicht sagen, denn dann würde man die Problematik individualisieren.»
Dann ist die Gesellschaft schuld?
«Es ist sicher wichtig, dass die Gesellschaft sich überlegt, wer arbeitet, wie, wo, was und unter welchen Bedingungen. Schuldzuweisung sind an dieser Stelle falsch.»
Wer trägt dann die Verantwortung?
«Politik, Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Frauen müssen selber auch etwas unternehmen. Ebenso gefordert sind Konsumenten. Wir als Konsumenten überlegen vielfach nicht, wer vor uns steht. Als Konsument denkt man häufig nicht daran, wie viel die Person verdient und unter welchen Bedingungen sie arbeitet. Das ist bei Frauen wie auch Männern das Gleiche. Das muss sich ändern.»
Interview: Rebecca Schüpfer
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