Wirtschaft | Der Chefökonom der Walliser Kantonalbank über Zinsen, Finanzen und das wirtschaftliche Potenzial des Wallis
«Der Tourismus wird weitere Abstriche machen müssen»
Wallis | Der Handels- und Währungskrieg zwischen den USA und China droht zu eskalieren. Der neue britische Premier Boris Johnson steuert auf einen Brexit ohne Deal zu. Der Franken steigt, der Euro fällt. Was nun?
Daniel Rotzer, als Chefökonom der Walliser Kantonalbank erleben Sie spannende Zeiten.
«Ich arbeite seit 2008 in der Finanzbranche und habe die grosse Finanzkrise miterlebt. In den letzten zehn Jahren hat es immer wieder unbeständige, volatile Phasen gegeben. Das beunruhigt mich nicht son-
derlich. Ich analysiere die Wirtschafts- und Finanzbranche nicht emotional, sondern strukturell.»
Trotzdem gibt es komplexe handels- und geopolitische Entwicklungen, die die Wirtschafts- und Finanzwelt verunsichern. Wie behalten Sie den Überblick?
«Komplexe wirtschaftliche und politische Sachverhalte gibt es nicht erst seit heute. In der Finanzbranche gibt es vielfach eine verzerrte Wahrnehmung: Die jüngsten Ereignisse werden immer als die volatilsten eingestuft. Doch die Geschichte ist geprägt von politischen Episoden und entsprechenden Auswirkungen auf die Wirtschaft. Einen Unterschied zu früher gibt es trotzdem: die tiefen
Zinsen.»
Sind Sie beunruhigt?
«Ökonomisch gesehen sollte das langfristige Zinsniveau etwa dem Wirtschaftswachstum und der Inflation entsprechen. Seit 25 Jahren haben wir eine tiefe Inflation und das Wachstumspotenzial hat abgenommen. Daher sind tie-
fere Zinsen als früher gerechtfertigt. Die aktuellen Negativzinsen bereiten mir je-
doch Sorgenfalten. Gewisse Zentralbanken verfälschen mit Aufkaufprogrammen, indem diese Staatsobligationen kaufen, das Zinsniveau. Kriselt es in der Realwirtschaft, kaufen sie in grossen Mengen Obligationen.»
Was hat das für Aus-
wirkungen?
«Ein normales 10-jähriges Zinsniveau in der Schweiz würde derzeit zwischen 1,0 und 2,0 Prozent liegen. Doch wir sind bei –1 Prozent, was einer Differenz von 2,0 bis 3,0 Prozent entspricht. Das Zinsniveau wird also durch den Eingriff der Zentralbanken verfälscht.»
Gibt es einen Ausweg aus dieser Zinsspirale?
«Die Situation ist schwierig. Die Zentralbanken sind zwischenzeitlich Sklaven von den Finanzmärkten und der Politik geworden. Wenn heute ei-
ne grössere Zentralbank sa-
gen würde, dass sie ihre Aufkaufprogramme stoppen oder die Zinsen erhöhen würden, dann würde der Aktienmarkt einbrechen.»
Was für einen Handlungsspielraum hat die Schweizerische Nationalbank SNB?
«Eigentlich keinen. Sie kann nichts machen, solange die Europäische Zentralbank derart expansiv ist. Aufgrund der Rezessionsängste in Europa ist der Druck auf den Schweizer Franken enorm hoch. In den letzten vier Wochen hat die SNB 20 Milliarden Franken gedruckt, um Euro aufzukaufen und den Franken zu schwächen. Der Schweizer Franken bleibt trotzdem stark.»
Theoretisch kann ja die SNB so viel Geld drucken, wie sie will.
«Das stimmt. Aber die Bilanz der SNB beläuft sich mittlerweile auf über 800 Milliarden, was über 115 Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung entspricht, weltweit ein Rekordwert. Das bringt natürlich Risiken mit sich. Man kann nicht abschätzen, was diese Menge an Geld eines Tages für einen Einfluss auf die Inflation haben wird.»
«Lonza floriert, stellt aber ein Klumpenrisiko dar»
Der Franken ist stark und die Schweiz ist im Vergleich zur Wirtschaftsleistung eine der grössten Exportnationen. Sollte man erneut an einem Euro-Franken-Mindestkurs festhalten?
«Nein, ich denke nicht. Trotz der starken Deviseninterventionen der Schweizer Nationalbank hat sich der Franken aufgewertet. Die exportorientierte Schweiz hat sich aber tapfer geschlagen. Der grosse Teil der Exporte fällt auf die Pharma- und Chemiebranche. Seit 2008 haben die Exporte in diesem Bereich massiv zugelegt. Problematisch ist der Wechselkurs jedoch für den Tourismus.»
Und damit für das Wallis.
«Ungefähr elf Prozent der Wirtschaftsleistung im Wallis entfallen auf den Tourismus, zählt man die nachgelagerten Dienstleistungen und Produkte hinzu, sind es circa 14 Prozent. Im Oberwallis sind es 24 Prozent. Ein Viertel der Oberwalliser Wirtschaftsleistung läuft also über den Tourismus, ein Drittel der Beschäftigten arbeitet in diesem Sektor. Klar ist: Ist der Franken so stark wie jetzt, kommt der Tourismus unter Druck. Die kommende Wintersaison wird für die Branche also erneut schwierig werden.»
In der Tourismusbranche wurde in den letzten Jahren hart an der Kostenschraube gedreht. Auf der anderen Seite ist der Investitionsbedarf gross.
«Hotels sowie Bergbahnen benötigen hohe Investitionen sowie Reinvestitionen, um kompetitiv zu bleiben. Der Investitionsbedarf ist heute sehr gross. Vielen Tourismusakteuren reicht der operative Cashflow jedoch gerade mal aus, um die anfallenden Kosten zu decken. Künftig braucht es in der Tourismusbranche daher vermehrt Kooperationen. Und der Ganzjahrestourismus muss wichtiger werden.»
Der Industrieverband Swissmem hat kürzlich mitgeteilt, dass er mit einer Rezession rechnet. Teilen Sie diese Ein-
schätzung?
«Nein. Die Konsumentenstimmung ist weiterhin positiv, die Zentralbanken agieren sehr unterstützend und Staaten wie Deutschland sprechen mittlerweile offen darüber, mittels Konjunkturprogrammen die Wirtschaft anzukurbeln. Weiter hat US-Präsident Donald Trump ein Interesse, eine Totaleskalation im Handelskrieg mit China zu vermeiden, weil er 2020 wiedergewählt werden will. Diese Faktoren sprechen dafür, dass es in den kommenden Quartalen zu keiner Rezession kommen wird.»
Wie handhabt die Walliser Kantonalbank die Negativzinsen. Werden diese weitergegeben?
«Bei institutionellen und grossen Privatkunden kann dies der Fall sein, nicht jedoch bei Sparern. Es ist jedoch schwierig zu antizipieren, wie sich die Banken künftig verhalten werden.»
Können Sie uns sagen, wie sich die Walliser Wirtschaft entwickeln wird?
«Der Tourismus wird in näherer Zukunft weiter Abstriche machen müssen, der Bausektor an Bedeutung verlieren, weil sich aufgrund des hohen Wohnungsleerstands bei Renditeimmobilien eine Sättigung abzeichnet. Lonza floriert, stellt aber ein Klumpenrisiko dar. Die letzten zehn Jahre waren wirtschaftlich gut für das Wallis, in den kommenden Jahren wird die Wachstumskurve abflachen.»
Interview: Armin Bregy
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