Walliser im Ausland | Walburga Baur-Stadler berichtet aus Südkalifornien
«Charles Shaw, der billige Kalifornier»
Seit 17 Jahren lebt Walburga Baur-Stadler in Südkalifornien. Sie ist im Wallis aufgewachsen und seitdem hat es sie in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Auf 1815.ch berichtet Baur-Stadler über den günstigen Charles-Shaw-Rebensaft und die Traubenernte nach amerikanischer Art.
Walburga Baur-Stadler (wbaur@roadrunner.com) hat sich nach zahlreichen Auslandserfahrungen vor 17 Jahren in Südkalifornien niedergelassen, ausserhalb von Los Angeles, am Fuss der San Gabriel Berge. Ihre Zeit widmet sie ihrem Garten, dem Malen und Singen.
Auf 1815.ch berichtet sie in loser Reihenfolge über ihr Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten:
«Wenn man einen Kalifornia-Schweizer fragt, was sein Lieblings-Supermarkt sei, kommt unweigerlich 'Trader Joe' aufs Tapet. Am Eingang hat’s Schnittblumen und Orchideen in Töpfen, gleich rechts kommt dann der Stand mit dem frisch gebackenen Brot – von Baguettes bis Vollkornbrot knuspert es auf den Gestellen. Dann Früchte und Gemüse. Manchmal findet man Rhabarber-Stengel oder Nüsslisalat. In der Käseabteilung hat es nicht nur Emmentaler und Gruyère, sondern auch Appenzeller, Raclette, Gorgonzola, Brie, Fondue-Mischung usw. usw.
Und ganz hinten ist der Wein. Kein Einkauf bei 'Trader Joe' ohne einen Stop in dieser Abteilung. Das Neuste ist die Charles-Shaw-Marke. Cabernet Sauvignon, Merlot, Chardonnay, Gamay-Beaujolais zu $ 2.99!!! Das sind heutzutage gerade noch 2.90 Franken für eine 7.5 dl Flasche. Wie kann 'Trader Joe' Wein zu diesem Preis verkaufen? Es handelt sich auch nicht um ein kurzfristiges Lockvögeli-Angebot. Seit mehreren Jahren schleppen die Kunden Karton um Karton aus dem Laden.
Da ich im Wallis aufgewachsen bin, weiss ich ganz genau, wie Rebberge auszusehen haben: steiniger Boden, am Südhang gelegen. Die Reben werden mühsam zu Fuss und von Hand gepflegt. Das typische Bild der Erntezeit: Männer und Frauen mit Tschiffrä, die den Hang hinauf- und hinunterklettern und die Trauben auf ein Fuhrwerk oder Wägeli leeren. So arbeitsintensiv kann das hier ja sicher nicht zugehen.
Ein kürzlicher Artikel in der 'Los Angeles Times' brachte Licht in die Angelegenheit. Es handelte sich um ein Interview mit Fred Franzia, dessen Familie seit 110 Jahren in Kalifornien Reben anbaut und dessen Bronco Kellnerei für die Charles-Shaw-Marke zuständig ist. Sie kontrolliert über 12 000 Hektaren Rebberge. Die Rebenreihen sind so weit auseinander gepflanzt, dass Traktoren zwischendurch fahren können, oft 5 km gerade aus, bevor sie wieder umdrehen müssen.
Herr Franzia meint, da spare er allein schon an den Pneus, wenn nicht so viele Kehrtwendungen gemacht werden müssen. Das Schönste sei die Erntezeit, wenn 20 bis 30 Erntemaschinen durch den Rebberg fahren und in einer Nacht (ja, es wird nur nachts gearbeitet) bis zu 120 Lastwagen mit über 2700 Tonnen Trauben füllen. Alles sei wie ein Orchester perfekt aufeinander abgestimmt.
Die meisten dieser Rebberge liegen in Nordkalifornien. Bis vor wenigen Jahren war dort auch die Apfelproduktion eine wichtige Industrie. Im Gravensteiner-Land herrschte jedoch eine Krise. Die Preise fielen so dramatisch, dass es sich für viele Bauern nicht einmal mehr lohnte, die Äpfel zu pflücken. Viele sattelten deshalb auf den immer lohnender werdenden Rebbau um. Was nun dazu geführt hat, dass wir in Kalifornien eine Weinschwemme haben.
Böse Zungen behaupten, dass Fred Franzia diesen Überfluss rechts und links günstig zusammenkaufe und zusammen mit der Eigenproduktion zu den Charles-Shaw-Weinen verarbeite. Das wäre ja noch gut und recht. Aber was ihm die Weinproduzenten der vornehmsten (und teuersten) Weingegend, dem Nappa-Tal, nicht verzeihen, ist, dass er seine Weinkellerei ebenfalls in diesem Tal gebaut hat. Beim billigen Charles Shaw steht auf der Etikette 'gekeltert und abgefüllt in Nappa, Kalifornien'.
Ist uns ja egal – wir lassen uns den günstigen Tischwein schmecken!»
Als Vierjährige zog Walburga Baur-Stadler mit ihrer Familie ins Wallis, wo sie aufgewachsen ist und die Real- und Handelsschule im Institut St. Ursula in Brig besuchte. Nachdem sie zwei Jahre lang Sekretärin bei den Walliser Kraftwerken in Visp war, zog es sie nach Oxford, um Englisch zu lernen.
Danach trat Walburga Baur-Stadler eine Stelle beim Politischen Departement in Bern (heute: Departement für auswärtige Angelegenheiten) an und wurde in Belgien, Marokko, Thailand und Madagaskar als Sekretärin eingesetzt. Nach ihrem Wechsel in die konsularische Laufbahn kam es erneut zu Versetzungen: Mailand, Kongo, Peru, Costa Rica und Kalifornien, wo sie ihren Mann, einen Zürcher, kennenlernte und heiratete. Gemeinsam waren die beiden noch in Spanien und Argentinien, wo sich Baur-Stadler Ende 1998 im Grad einer Generalkonsulin frühzeitig pensionieren liess.
(Dieser Artikel ist zwischen 2003 und 2005 in der «Neuen Zürichsee-Zeitung» erschienen. Für 1815.ch wurde er von Walburga Baur-Stadler aktualisiert.)
Artikel
Kommentare
Noch kein Kommentar