Coronavirus | Mit Kurzarbeit sollen so viele Jobs wie möglich gesichert werden. Die Gesuche sind explodiert, aber:
«Bereits deutlich mehr Arbeitslose»
In der Abteilung zur Bearbeitung der Kurzarbeitsgesuche herrscht der Ausnahmezustand: Waren es in den ersten drei Monaten 2019 noch 27 Gesuche, gingen 2020 in derselben Zeit 5000 ein.
Bei der Dienststelle für Industrie, Handel und Arbeit (DIHA) ist derzeit sprichwörtlich die Hölle los. Ständig klingelt das Telefon. Auf mehreren Tischen stapeln sich die Kurzarbeitsgesuche zu regelrechten Papiertürmen auf. Bis am 31. März gingen hier 5000 Gesuche ein, davon praktisch alle im März. Ein Vergleich mit den vergangenen Jahren zeigt, wie gewaltig der Anstieg wegen des Coronavirus ausfällt. Im gesamten Jahr 2019 behandelte der Kanton gerade einmal 57 Gesuche, im Jahr davor 81, noch ein Jahr früher waren es 105. Für die Bearbeitung dieser Gesuche reicht in der Dienststelle normalerweise ein 70-Prozent-Pensum aus. Bei der Flut an Gesuchen stehen jetzt 30 Personen oder 20 Vollzeitäquivalente im Einsatz. Weil das immer noch nicht ausreicht, wird zurzeit auch an Samstagen und bis spätabends gearbeitet, wie Dienstchef Peter Kalbermatten ausführt.
Im Schnellverfahren
Die Dienststelle musste rasch reagieren, hat intern Personal umverteilt und die Bearbeitungsprozesse angepasst. «So konnten bis am 31. März bereits 2199 Gesuche bearbeitet werden», sagt Kalbermatten. Während es im Normalbetrieb rund sieben Wochen dauert, bis gutgeheissene Gelder geflossen sind, sollte dies mit den vom Bund deutlich vereinfachten Abläufen nun erheblich schneller vonstatten gehen. «Für die Bearbeitung einer Voranmeldung benötigen wir aktuell etwa sieben bis zehn Tage», sagt der Dienstchef, «Unser Ziel ist es, dass die März-Dossiers zwischen dem 10. und 20. April behandelt und die Gelder bezahlt sind, sofern das Unternehmen nach Erhalt unseres positiven Entscheids umgehend den Antrag für die Ausfallstunden des März bei der von ihm gewählten Arbeitslosenkasse einreicht.»
Der Bund hat auch an den Anforderungen für eine Bewilligung geschraubt. Von den behandelten Gesuchen hiess die kantonale Dienststelle mit 99 Prozent praktisch alle gut. 2018 waren es nur 48, 2019 86 Prozent. Kalbermatten erklärt: «Im Normalfall hat Kurzarbeit konjunkturelle Gründe. Ein Unternehmen kann beispielsweise den Wegfall eines grösseren Auftrags anführen. Das Ende der Kurzarbeit muss aber absehbar sein. Mit dem Coronavirus als Grund reicht derzeit, dass man den Arbeitseinbruch glaubhaft darlegen kann.» Das bedeute aber keinesfalls, dass nun jedes Kurzarbeitsgesuch gutgeheissen werde. Auch wenn die Gesuche, dem Zeitdruck und den Umständen geschuldet, nicht wie sonst bis ins allerletzte Detail überprüft werden könnten. Die notwendige rechtliche Prüfung erfolge nach wie vor, so Kalbermatten: «Die Gesuche gehen am Ende bei den zuständigen Sachbearbeitern und Juristen über den Tisch.» Schliesslich handle es sich dabei um öffentliche Gelder. Und: Würde der Kanton Gesuche fälschlicherweise bewilligen, könnte er bei einer späteren Kontrolle durch den Bund plötzlich selbst in der Verantwortung stehen. Die Dienststelle nutze den Ermessensspielraum aber womöglich zugunsten der Gesuchsteller aus. Sobald die erste Flut an Gesuchen bewältigt ist, könnte sich die Situation in der DIHA wieder etwas beruhigen. Einmal bewilligt, hat das Gesuch eine Laufzeit von sechs Monaten: Der Betrieb kann innerhalb dieser Frist jeden Monat seine Ausfallstunden des Vormonats direkt bei der Arbeitslosenkasse geltend machen.
Nicht für alle befriedigend
Aufgrund der Ausnahmesituation quillt auch der E-Mail-Eingang der Dienststelle über: «Rund 8000 Anfragen sind bisher eingegangen», sagt Kalbermatten. Viele Leute wissen nicht, wie das mit der Kurzarbeit genau funktioniert. Oder wer alles einen Anspruch darauf hat. So kann sie nur für Leute in einem Anstellungsverhältnis beantragt werden. Arbeitgeber und ihre Ehepartner, die in der eigenen AG oder GmbH arbeiten, sind davon ausgeschlossen. Damit wird dem unternehmerischen Risiko Rechnung getragen. «So schliesst man aus, dass nicht jene mitfinanziert werden, die den Betrieb allenfalls in eine falsche Richtung gelenkt haben», so Kalbermatten. Zumindest im Normfall: Da in der Corona-Krise einem Unternehmer kein Eigenverschulden angekreidet werden kann, können Selbstständigerwerbende, die ihren Betrieb auf Geheiss des Bundesrats schliessen mussten, inzwischen Taggelder beantragen. Und Unternehmer, die in ihrer eigenen GmbH oder AG arbeiten, haben Anspruch auf einen Erwerbsersatz von maximal 3320 Franken. «Der Bundesrat hat damit bereits wichtige Anpassungen vorgenommen. Zwei Lücken müssen aber unbedingt noch geschlossen werden», sagt Wirtschaftsminister Christophe Darbellay. Einerseits müssten auch Selbstständige, die ihren Betrieb nicht zwangsschliessen mussten, aber die wegen des Virus aktuell praktisch null Umsatz generieren, darunter beispielsweise Garagisten, Physiotherapeuten oder Zahnärzte, ebenfalls Taggelder erhalten. Darüber hinaus soll der Erwerbsersatz für Unternehmer den Betrag von 3320 Franken übersteigen können. «Es ist inakzeptabel, dass
in der Schweiz die Patrons schlechtergestellt sind, als ihre Angestellten», betont Darbellay. Die Kantonsregierung macht stark Druck in diese Richtung. Schliesslich sei das Wallis mit der hohen Zahl an Einzelunternehmen von diesen Lücken besonders betroffen. «Bis nächste Woche muss eine Lösung her», so der Staatsrat, «sollte diese nicht kommen, wird der Kanton selbst unterstützende Massnahmen in Kraft setzen.»
Trotz der bisherigen Massnahmen macht sich die Corona-Krise bereits in der kantonalen Arbeitslosenstatistik bemerkbar. «Wir stellen eine starke Zunahme fest», sagt Kalbermatten. So stieg die Quote von 3,2 Prozent im Februar auf 3,6 Prozent im März. Das höre sich zwar nicht nach allzu viel an. «Normalerweise nimmt sie zu Jahreszeit aber nach dem Höhepunkt im Winter kontinuierlich ab», gibt Kalbermatten zu bedenken. Stattdessen zählt der Kanton aktuell über 6400 Arbeitslose – gegenüber 5141 im März 2019. Damit dürfte der Höchststand in der Corona-Krise aber noch lange nicht erreicht sein, ist Kalbermatten überzeugt: «Die Arbeitslosigkeit wird in nächster Zeit noch weiter ansteigen.»
Martin Schmidt
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