Gesundheit | Dr. Frank Bally über die Unterschiede zischen einer normalen Grippe und Covid-19
«Covid-19 ist leider nicht einfach nur eine Grippe»
Wallis | Frank Bally ist stellvertretender Kantonsarzt für übertragbare Krankheiten und arbeitet als Chefarzt in der Abteilung für Infektionskrankheiten am Zentralinstitut der Spitäler in Sitten. Der Experte erklärt, weshalb man Covid-19 nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte.
Frank Bally, manche Menschen denken immer noch, bei Covid-19 handele es sich um eine gewöhnliche Grippe. Was halten sie davon?
«Nur in leicht symptomatischen Fällen sind die beiden vergleichbar: Fieber, Muskelschmerzen, Husten, Krankheitsgefühl und Schwäche. Wie bei der Grippe gibt es auch bei Covid-19 eine breite Streuung von sehr leichten bis zu schweren Fällen. Beide können eine direkt vom Virus verursachte Lungenentzündung zur Folge haben. Damit hört der Vergleich auf. Covid-19 ist leider nicht einfach nur eine Grippe.»
Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen einer Influenza und Covid-19?
«Halsschmerzen scheinen zwar möglich, jedoch sind sie bei Covid-19 nur wenig ausgeprägt. Bei schwererem Verlauf sind die Unterschiede beträchtlich. Covid-19 verursacht als fast einzige Frühkomplikation eine andauernde und eher langsam ansteigende Atemnot, welche nur durch zusätzliche Sauerstoffzufuhr gemildert werden kann. Die schweren Fälle von Covid-19 können zu Problemen manchmal mit Versagen von anderen Organen wie Leber, Niere und Herz führen.»
Wie hoch ist die Mortalität von Covid 19 im Unterschied zu einer Grippe?
«Die jährliche Grippe-Mortalität wird auf 0.5 bis 1% geschätzt, je nach zirkulierendem Grippestamm. Die Mortalität bei Covid-19 ist zwar gering bei jungen Patienten, kann jedoch unter Umständen 10% überschreiten.»
Weshalb kommt es bei Covid-19 zu solch gefährlichen Lungenentzündungen?
«Die Sauerstoffnot kann so schwer werden, dass zusätzlicher Sauerstoff bis hin zur künstlichen Beatmung notwendig wird. Letztere hat ihrerseits Komplikationen zur Folge. Wenn, meist nach etwa einer Woche, die Atemnot das nicht mehr erträgliche Ausmass erreicht, wird der Spitaleintritt unumgänglich.»
Wie muss man sich die Behandlung mit Sauerstoff vorstellen? Einfach einen Schlauch in die Luftröhre zu schieben, wird ja nicht ausreichen.
«Die durch Covid-19 verursachte Entzündung der Lungengewebe machen den Übertritt von Sauerstoff in das Blut schwieriger. Deshalb muss mit einem Trick mehr Sauerstoff in die Lunge gebracht werden, entweder durch Erhöhung der Sauerstoffgehaltes in der Atemluft oder, wenn das nicht ausreicht, durch eine mechanische Beatmung. Es kann auch Blut durch die entzündeten Lungengewebe fliessen, ohne Sauerstoff zu bekommen. Dieses sauerstoffarme Blut verdünnt dann das normale, sauerstoff-angereicherte Blut. Das alles führt dazu, dass weniger Sauerstoff den Organen zur Verfügung steht.»
Welche Komplikationen kann eine Beatmung mit sich bringen?
«Moderne Beatmungsgeräte bringen ein geringeres Risiko von Verletzungen der Lunge durch kurz andauernde Phasen von Überdruck. Die künstliche Beatmung, mit einem in die Luftröhre eingeführten Schlauch aus Kunststoff, erhöht das Risiko einer bakteriellen Lungenentzündung. Beruhigungsmittel sind notwendig, um die Beatmung erträglich zu machen. Die daraus resultierende Immobilisation kann zu einer Muskelschwäche führen. Alle diese Einflüsse können den Aufenthalt auf der Intensivstation und im Spital zusätzlich verlängern.»
Weshalb ist vor allem die Risikogruppe gefährdet?
«Im Unterschied zur Grippe sind junge, gesunde Personen kaum betroffen. Insbesondere bei Kindern ist Covid-19 sozusagen immer banal. Jedoch steigt das Risiko bei zunehmendem Alter ab etwa 50 Jahren, insbesondere bei Vorliegen von chronischen Erkrankungen, überproportional an. Chronisch Kranke oder Senioren sind also besonders gefährdet.»
Aber auch jüngere Leute ohne Vorerkrankungen können betroffen sein. Weshalb?
«Bei gewissen Personen hat Covid-19 einen schwereren Verlauf, ohne dass bekannte Risikofaktoren vorhanden sind. Die Gründe dazu sind zumindest bisher nicht bekannt.»
Wie lange dauert eine Intensivbehandlung einer schwer erkrankten Person im Durchschnitt?
«Die unterstützende Beatmung dauert im Mittel mehr als eine Woche, häufig um zwei Wochen.»
Welche Behandlung ist in diesen Fällen konkret nötig?
«Bis jetzt ist die Behandlung rein symptomatisch, das heisst Sauerstoffgabe, fiebersenkende Mittel und Pflege. Die in den Medien so heiss diskutierten Mittel wie Kaletra, ein Medikament gegen HIV, oder das Malariamittel Hydroxy-Chloroquin haben in unserer Beobachtung keine spektakuläre Wirkung. Eine moderate bis schwache Wirkung kann nicht ausgeschlossen werden, weshalb die Medikamente weiter gebraucht und untersucht werden. Remdesivir, ein neues Medikament, wirkt vielleicht besser, jedoch wurden im Wallis bisher nur wenige damit behandelt. In den letzten Tagen wird vermehrt vom Verabreichen von Seren, die von Personen stammen, die die Krankheit durchgemacht haben, gesprochen. Es ist wichtig, solche Medikamente unter Studienbedingungen zu testen, damit Wirkung und Nebenwirkungen zweifelsfrei festgehalten werden können.»
Sind Folgeschäden an der Gesundheit zu erwarten?
«Nach einem Spitalaufenthalt, insbesondere mit Intensivpflege, ist mit einer längeren Erholungszeit zu rechnen. Ob Covid-19 bleibende Schäden an der Lunge hinterlässt, ist heute nicht bekannt.»
Wie viele Personen mussten im Wallis in den letzten Jahren durchschnittlich wegen Influenza beatmet werden? Und wie viele sind es dieses Jahr mit Covid-19?
«Im Wallis kommen jedes Jahr etwa 10, maximal 15 Personen pro Winter wegen Grippe und damit zusammenhängenden Komplikationen auf die Intensivstation. Wegen Covid-19 sind im Wallis bisher schon 22 Personen beatmet worden, wovon 4 im Oberwallis, wobei die Epidemie noch lange nicht zu Ende ist.»
Viele sprechen nun einer allmählichen Lockerung der Massnahmen. Was sagen Sie dazu?
«Die Epidemie hat im Wallis im Vergleich zum Tessin und Italien leicht verzögert begonnen und uns eine bis zwei Wochen mehr Vorbereitungszeit geschenkt. Die vom Bundesrat und Kanton getroffenen Massnahmen zeigen Wirkung und erlauben, dass die Walliser Spitäler die Covid-19-Kranken aufnehmen konnten, ohne bisher an ihre Kapazitätsgrenzen zu kommen. Zur Zeit sind die Fallzahlen leicht abnehmend. Die Situation wird jedoch noch andauern und die Rückkehr zum Normalzustand muss stufenweise erfolgen, damit ein neues plötzliches Ansteigen der Fälle verhindert werden kann.»
Bis Covid-19 nicht mehr so gefährlich ist, braucht es eine Herdenimmunität. Die liegt dann vor, wenn sich 60-70 Prozent der Bevölkerung angesteckt haben. Wann ist eine solche zu erwarten?
«Je wirksamer die Massnahmen sind, desto länger wird es dauern, bis eine genügend grosse Anzahl von Personen immun ist. Wieviel es dazu braucht und wie lange das dauern wird, kann nicht vorausgesagt werden. Auch in China, wo die Epidemie im Dezember begonnen hat, ist der Normalzustand nach mehr als drei Monaten noch nicht erreicht.»
Ist die einzige Lösung, den Normalzustand wieder zu erlangen, tatsächlich eine weltweite Impfkampagne?
«Eine wirksame Impfung wäre sicher das beste Mittel, diese Infektion langfristig unter Kontrolle zu bringen. Ohne eine solche Impfung ist bis heute nicht klar, ob die Infektion verschwinden wird oder ob sie bleibt, mit periodischem Aufflammen. Ob es je eine solche Impfung geben wird, ist heute nicht bekannt, jedoch besteht Hoffnung.»
Welchen Verlauf wird die Pandemie noch nehmen?
«Wir alle, die in den Spitälern arbeiten, danken der Walliser Bevölkerung aus tiefstem Herzen für das Einhalten der aufgezwungenen und doch sehr einschränkenden Massnahmen. Es wird noch einige Wochen Geduld und Bestimmtheit brauchen, bis wir dieser Krankheit beikommen können und unserem gewohnten Leben wieder nachgehen können.»
Werner Koder
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Kommentare
Gerfriede Bunkenstedt, Kalpetran - ↑3↓3
So, dann ist die Message endlich auch via 1815.ch im Wallis angekommen.
... wollen wir nochmal über die wirtschaftliche Situation jammern, ohne klar und deutlich auszusprechen (PFUI!!), dass dies Menschenleben gegen Geld aufzurechnen ist, oder wurde das jetzt endlich verstanden?
Gut.
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