Walliser im Ausland | Walburga Baur-Stadler berichtet aus Südkalifornien
«Ausverkauf!»
Seit 17 Jahren lebt Walburga Baur-Stadler in Südkalifornien. Sie ist im Wallis aufgewachsen und seitdem hat es sie in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Auf 1815.ch berichtet Baur-Stadler heute über den allgegenwärtigen Ausverkauf und wie sie dabei die amerikanische Wirtschaft ankurbelt.
Walburga Baur-Stadler (wbaur@roadrunner.com) hat sich nach zahlreichen Auslandserfahrungen vor 17 Jahren in Südkalifornien niedergelassen, ausserhalb von Los Angeles, am Fuss der San Gabriel Berge. Ihre Zeit widmet sie ihrem Garten, dem Malen und Singen.
Auf 1815.ch berichtet sie in loser Reihenfolge über ihr Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten:
«Ich erinnere mich noch an die Aufregung in unserem Haus, wenn der Ausverkauf heranrückte. Zweimal im Jahr hiess es 'amtlich bewilligt vom … bis …'. Dies war jeweils auch ein gefundenes Fressen für die Witz-Ecken, wo Bilder von mit Handtaschen um sich schlagenden Hausfrauen hinter Kleiderbergen die Runde machten.
Und dann kam ich nach Amerika, wo ich einmal mehr feststellen musste: Alles ist ganz anders hier! Jede Ausrede scheint gut genug zu sein, die Kunden in die Läden zu locken: Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winteranfang, Schulbeginn, Vater- und Muttertag, Tag der Sekretärin, der Veteranen, Valentinstag, Lincolns Geburtstag, Martin Luther King Tag, Ostern, Nationalfeiertag, Sommerende, Erntedankfest und natürlich Weihnachten. Die Schlagzeilen in den Zeitungen künden die Ausverkäufe gross an: Riesenausverkauf, 40 - 60 % Reduktion - Extra-Reduktion heute von 7 bis 12 Uhr - 48-Stunden-Ausverkauf - grosser 2-Tages-Ausverkauf - nur dieses Wochenende Ausverkauf - nur diesen Mittwoch usw. usw.
Am Anfang stürzte ich mich immer gleich in die Läden, in der Angst, etwas zu verpassen. Dann merkte ich, dass im Durchschnitt wohl jedes zweite Wochenende irgendwo Ausverkauf herrscht und dass man mit grösseren Käufen wohl besser bis dann wartet.
Aber auch hier gibt es Daten, denen selbst die blasiertesten Ausverkaufs-Profis kaum widerstehen können. Am letzten Donnerstag im November ist Thanksgiving. Und am Tag danach beginnt traditionsgemäss die Weihnachts-Einkaufsaison. Alle Geschäfte machen Sonderpreise und Sonderaktionen. Vor lauter Inseraten und Spezialbeilagen ist die Tageszeitung so schwer, dass man sie fast nicht tragen kann.
Da hat mein Mann ein GPS-Apparätchen gesehen (Satelliten-Positions-System) und so einem Spielzeug konnte er nicht widerstehen, wenn es anstatt 170 nur noch 90 Dollar kostete. Ausserdem hatte es so eine ganz grosse Taschenlampe, schon fast ein Scheinwerfer, normalerweise eine für 10 Dollar und jetzt eine für 5 Dollar und eine zweite dazu gratis! Und ich sah Sportsocken, 6 Paar für 5 Dollar.
Der Laden ging um 6 Uhr früh auf. Der Ausverkauf dauerte nur bis 12 Uhr mittags. So nahmen wir uns vor, gleich nach dem Aufwachen, ohne Frühstück, drauflos zu fahren. Punkt sieben sassen wir also im Auto (was wirklich in aller Herrgottsfrühe ist für uns). Als wir in den Laden kamen, waren an den vier Kassen bereits Schlangen von mindestens je 50 Personen.
Die Taschenlampen fanden wir sofort, obwohl das Gestell schon fast ausgeräumt war. Das GPS-System hatte es auch noch, aber meine Socken waren ausverkauft. So stellte sich Köbi hinten an die Schlange, während ich im Laden nach weiteren Funden Ausschau hielt. Ich muss sagen, dass es ein Sportartikel-Laden war und die eine Schlange den Ski- und Golfausrüstungen entlang schlich, während die andere bei den Velos begann, an diversen Turngeräten vorbei glitt und bei den Trainingsanzügen zur Kasse fand. Ich sah noch ein Paar Sporthosen für Köbi, diejenigen mit vielen Taschen und wo man knapp oberhalb des Knies einen Reissverschluss auftun kann und dann sind es Shorts. Er kann sie dann gut brauchen, wenn es wieder heisser wird. Dann führte uns die Schlange noch an Pullovern vorbei, wo ich für mich einen ganz tollen Baumwoll-Langarm-Pullover sah, der auch noch in den Einkaufskorb wanderte, womit das Geschäft sein Ziel auch erreicht hatte.
Um halb 9 waren wir wieder zuhause und setzten uns, praktisch zur gleichen Zeit wie fast alle Tage, ans wohlverdiente Frühstück, mit der Genugtuung, unseren Beitrag zur Ankurbelung der amerikanischen Wirtschaft voll geleistet zu haben.»
Als Vierjährige zog Walburga Baur-Stadler mit ihrer Familie ins Wallis, wo sie aufgewachsen ist und die Real- und Handelsschule im Institut St. Ursula in Brig besuchte. Nachdem sie zwei Jahre lang Sekretärin bei den Walliser Kraftwerken in Visp war, zog es sie nach Oxford, um Englisch zu lernen.
Danach trat Walburga Baur-Stadler eine Stelle beim Politischen Departement in Bern (heute: Departement für auswärtige Angelegenheiten) an und wurde in Belgien, Marokko, Thailand und Madagaskar als Sekretärin eingesetzt. Nach ihrem Wechsel in die konsularische Laufbahn kam es erneut zu Versetzungen: Mailand, Kongo, Peru, Costa Rica und Kalifornien, wo sie ihren Mann, einen Zürcher, kennenlernte und heiratete. Gemeinsam waren die beiden noch in Spanien und Argentinien, wo sich Baur-Stadler Ende 1998 im Grad einer Generalkonsulin frühzeitig pensionieren liess.
(Dieser Artikel ist zwischen 2003 und 2005 in der «Neuen Zürichsee-Zeitung» erschienen. Für 1815.ch wurde er von Walburga Baur-Stadler aktualisiert.)
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