Justiz | Flüchtlingshelferin droht Strafe wegen humanitärer Hilfe
Anni Lanz vor Gericht
Brig/Domodossola | Weil sie einem suizidgefährdeten Asylbewerber über die Grenze geholfen hatte, wurde Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz eine bedingte Geldstrafe auferlegt. Am Freitag fand im Bezirksgericht Brig die Rekursverhandlung statt.
Zuvor marschierte die Organisation «Solidarité sans Frontières» vor dem Briger Stockalperschloss auf, um ihre Solidarität gegenüber Lanz zu bekunden. Rund 30 Aktivisten hielten ihre Transparente hoch; unter anderem mit Botschaften wie «Helfen ist kein Verbrechen». Lanz ist in der Szene keine Unbekannte. Schon seit Jahrzehnten kämpft sie unermüdlich für die Rechte von Menschen auf der Flucht. Sie wurde ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs geboren, weiss aber um die Abweisung von Tausenden von Menschen an der Schweizer Grenze: «Wir haben uns damals gesagt, dass wir dieselben Fehler nie wieder machen dürfen. Aber mir scheint, dass wir das heute vergessen haben», sagt die in Val Terbi lebende Baslerin.
Obdachlos in Domo bei minus 10 Grad
Im Februar fuhr sie nach Domodossola, um einem jungen Afghanen zu helfen. Die Schweiz hatte ihn, unter Anwendung der Dublin-Verordnung, nach Italien zurückgeführt. Er hatte mehrere Suizidversuche hinter sich und sein psychischer Zustand verschlechterte sich stark, nachdem er erfahren hatte, dass seine Frau und sein Kind in Afghanistan getötet worden waren. Unter Anwendung der Dublin-Verordnung vollzogen die Asylbehörden seine Rückweisung nach Italien. «Die ärztlichen Berichte empfahlen, den Mann aufgrund seiner psychischen Probleme nicht auszuweisen, sondern ihn in der Nähe seiner Schwester in der Schweiz zu lassen. Doch die Behörden haben ihn trotzdem ausgeschafft», empört sich Lanz.
Als sie erfuhr, dass das Zentrum für registrierte Asylbewerber (CAS) in Mailand den jungen Afghanen nicht aufnehmen konnte und dieser bei fast minus 10 Grad draussen schlief, fuhr sie kurzerhand nach Italien. Und fand den Mann am Bahnhof in Domodossola, unterkühlt und übersät mit Frostbeulen. «Da ich keine andere Lösung sah, beschloss ich, ihn in die Schweiz zurückzubringen», berichtete die 72-Jährige. An der Grenze von Gondo wurde sie jedoch von der Polizei angehalten und wegen «Erleichterung der rechtswidrigen Einreise in die Schweiz» (Art. 116 des Ausländergesetzes) mit einer Geldstrafe von 1500 Franken (30 Tagessätze à 50 Franken) belegt. Deren Vollzug wurde unter Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren aufgeschoben. Zudem wurde Lanz eine Busse in Höhe von 300 Franken ausgesprochen sowie Verfahrenskosten von 400 Franken aufgebürdet.
Lanz hat dagegen rekurriert und Amnesty International fordert, dass der Strafbefehl gegen Lanz aufgehoben wird: «Lanz hat aus reinem Mitgefühl gehandelt. Sie hat nichts falsch gemacht. Das Gericht muss den Strafbefehl fallen lassen.» Solidarität sei kein Verbrechen, so Cyrielle Huguenot, Kampagnenverantwortliche Flucht und Migration bei Amnesty Schweiz.
Mehr zur Verhandlung und zum Thema im WB vom 7. Dezember 2018
Martin Kalbermatten
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