Open Air Gampel | Hosen-Frontmann Campino im Gespräch mit dem «Walliser Boten»
«Als wir losgezogen sind, wollten wir die Gesellschaft spalten»
Trotz der Absage vor zwei Jahren sind die Toten Hosen immer noch Gampels Lieblingsband. Im Interview spricht Campino über Wertesysteme, Zauberwürfel und den schmalen Grad zwischen clever und dumm sein.
Spreche ich jetzt mit Helmut oder Campino?
Helmut ist in der Garderobe, willst du lieber ihn sprechen?
Nein, nein, das kommt nicht so drauf an. Helmut hat mich aber schon überzeugt. War das schauspielerisches Talent oder steckt mehr dahinter?
Da steckt weniger dahinter, das ist das Problem. Ich sehe dem ja gar nicht so unähnlich, in anderen Worten: Muss ich mir Gedanken darüber machen, dass ich mit ein, zwei Handgriffen sofort der Pennerwelt zugerechnet werde?
Wäre das nicht eher die Punk-Welt?
Das fängt beides mit einem «P» an, das ist das Entscheidende (lacht).
35 Jahre Hosen und immer noch hören euch junge Leute. Wie schafft ihr es, Generationen zu verbinden?
Ich habe mir nie die Mühe gemacht, das zu ergründen. Ich hätte Angst vor der Erkenntnis, denn wenn es tatsächlich ein Rezept dazu geben sollte, würde man Gefahr laufen, den Erfolg krampfhaft ständig wiederholen zu wollen. An dieser Verbissenheit würde man scheitern. Wir sind ja schon in unserem Talent limitiert. Wenn wir uns dann auch noch im Stil beschneiden würden, käme das nicht gut.
Also habt ihr die Musik nie bewusst für den Erfolg angepasst?
Wir haben nie Hits nach Baukasten gemacht. Es gibt solche Erfolgssysteme, aber für uns wäre das kein Weg. Dazu sind wir auch nicht professionell genug. Bei uns war das wie bei einem Zauberwürfel, man dreht an ihm herum und hat es plötzlich geschafft, aber man hat keine Ahnung wie man eigentlich da hinkam.
Du hast Angela Merkel in einem Interview für den Spiegel einmal gefragt, ob sie überhaupt irgendwann mal jung war. Da muss ich dich fragen, werden die Toten Hosen überhaupt irgendwann mal erwachsen?
Wir entwickeln uns immer weiter, es wäre schlimm stehen zu bleiben. Ich hoffe wir nehmen unser Alter gut mit und versuchen, es nicht zu verleugnen. Es geht schliesslich nicht mehr darum, das Sprachrohr der 20-Jährigen zu sein.
Was hat sich verändert?
Als wir losgezogen sind, wollten wir die Gesellschaft spalten. Das hat sich komplett gedreht. Als Spalter funktionieren wir nicht mehr. Dazu sind wir nicht mehr jung und naiv genug. Heute geht es mehr darum, generationsübergreifend eine Plattform zu bieten, wo ältere und jüngere Leute aus allen Gesellschaftsschichten zusammen ein Konzert geniessen können.
Was war die Ideologie hinter dem Spalten?
Man versuchte die alten Platzhirsche zu verdrängen und glaubte, dass es vor den Sex Pistols keine gute Musik gab. Mit ihnen ging die Revolution los, davor war alles Mist. Damit wollten wir uns gegenüber den erfahrenen Bands eine falsche Selbstsicherheit aufbauen. Stell dir vor, die Vorband von Status Quo zu sein, die alten, abgehangenen Rock’n’Roller hätten uns an die Wand geblasen mit dem, was sie konnten. Deshalb kam dann die «Alles-ist-scheissegal-Einstellung» und so wie junge Bands heute über die Hosen sagen. «Das sind alles lahme Säcke», sagten wir das damals genauso über die anderen.
Wenn du dein 20-jähriges Ich im Song «Wort zum Sonntag» hören sagst: «Ich bin noch keine Sechzig und ich bin auch nicht nah dran», dann klingt das ja schon so, als müsstest du dich auch selbst als lahmen Sack bezeichnen.
Alles passt zu seiner Zeit und jedes Lied ist im Kontext dieser Zeit geschrieben. Das war damals unser Lebensgefühl und es wäre lächerlich gewesen, die Zukunft in dieses Lebensgefühl mit einzubauen, genauso wie wir heute Lieder nicht mehr im Geiste der 80er schreiben. Hin und wieder sehe ich die 60 aber schon, besonders am Morgen nach dem Aufwachen. Wenn der Tag kommt, dann werde ich auf dieses Zitat sicherlich festgenagelt.
Der Geist der 80er, ist das mehr Nostalgie oder war die Musikindustrie damals tatsächlich viel authentischer?
Da schwingt eine gehörige Portion Nostalgie mit. Einiges war unschuldiger, aber bestimmt nicht, weil wir bessere Menschen gewesen wären. In den 80ern sind die Plattenbosse komplett durchgedreht und grössenwahnsinnig geworden. Die Geisteshaltung wächst weiter in eine Richtung, die wir nicht vorhersehen können. Sie ändert sich aber nicht unbedingt zum Guten oder Schlechten.
Du sagst zu deinem neuen Album, eure Lieder und Texte seien eine Momentaufnahme, wie Tagebuch führen. Kann man das wirklich, im Moment leben?
Das muss ich, gerade als Texter. Ich muss mir im Klaren darüber sein, an welchem Punkt ich stehe, welches Alter und welchen Hintergrund ich habe. Aber man findet natürlich auch immer Themen, die nicht altersgebunden sind, wie etwa der FC-Bayern oder Politik. Zwei Menschen können über genau dasselbe Thema zwei völlig unterschiedliche Songs schreiben, weil sie nicht am selben Punkt stehen. Aber keiner ist deshalb besser oder schlechter oder wahrer als der andere.
Ist neben dem Liederschreiben auch das Liederhören- und bewerten abhängig davon, wo man gerade steht?
Das persönliche Wertesystem ist nicht nur eine Laune, man hat es verinnerlicht. Es ist eine Prägung, die vom Elternhaus, den Freunden und dem Umfeld kommt. Aber die Grenze zwischen clever und dumm ist dünn. Wer kommt ins Gefängnis, wer kommt immer um ein Haar drum herum, wer schafft das Abi, wer ist ganz knapp gescheitert? Und eigentlich können es alles Kids aus derselben Strasse sein.
Also könnte jeder Punker ein Helmut sein.
Das ist jedenfalls eine ganz knappe Angelegenheit.
jom
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