Umwelt | Das Unwetter von 1868 gilt als eines der schlimmsten der Schweizer Geschichte
Als vor 150 Jahren die Flut kam
Wallis / Schweiz | Die Katastrophe von 1868 hatte riesige Auswirkungen. Es folgte die grösste Spendensammlung der Schweizer Geschichte. Und viele Oberwalliser wanderten bald danach aus. Aus Raron etwa neun Prozent der Bevölkerung.
Mathias Gottet
Es waren heftige Niederschläge, die im Herbst 1868 vom Himmel fielen. Am stärksten wurde dabei der Kanton Tessin getroffen: Von Biasca bis zum Lago Maggiore stand die ganze Ebene unter Wasser. Und allein im Dorf Bodio starben 22 Menschen. Auf dem San Bernardino wurde ein Tagesniederschlag von 254 Millimeter gemessen. Die-
ser Wert ist bis heute der höchste je erreichte auf dem Pass im Kanton Graubünden.
Aber auch der Kanton Wallis blieb nicht verschont. Ein Zeitgenosse schrieb über das Gewitter vom 17. August 1868: «Es war ein in solcher Stärke noch nie erlebtes Gewitter, während welchem es neun Stunden lang ununterbrochen hagelte.» Dieser Hagel schmolz am nächsten Tag so rasch, dass es für das Dorf Visp verheerende Folgen hatte. So schrieb derselbe Zeitgenosse, dass man das Dorf danach kaum wiedererkannte. Im Oktober kam es dann zu erneuten heftigen Niederschlägen. Und als katastrophales Intermezzo ereignete sich zwischen den beiden Unwettern der Dorfbrand von Obergesteln, bei dem 180 Häuser zerstört wurden und zwei Menschen starben.
Bisher grösste Spendenaktion
Schweizweit fielen dem Unwetter 51 Menschen zum Opfer. Und gemäss einer Hochrechnung verursachte es Schäden von knapp einer Milliarde Franken. Somit wäre es wohl die teuerste Katastrophe in der Zeit zwischen 1800 und 1978. Auf den Kanton Wallis fielen rund zwölf Prozent der Schäden, also rund 120 Millionen Franken.
Aufgrund der verheerenden Schäden an Gebäuden, Infrastruktur und Landschaft wurde eine landesweite Spendenaktion ins Leben gerufen. Und es kam so viel Geld zusammen wie später nie wieder: Rund 335 Millionen Franken wurden gesammelt. Und die Betroffenheit war über die Landesgrenzen hinaus gross. Sogar der Papst spendete.
Bei der Aufteilung der Spenden, besonders bei den Naturalien, kam es aber auch zu Problemen: Das Wallis war im Gegensatz zum Tessin bereits gut erschlossen und erhielt deshalb mehr Naturalien und weniger Spendengelder. Die Walliser hatten aber bald genug von den Kartoffeln: «Man kann daran aufzeigen, was heute immer noch falsch läuft bei Spendenaktionen. Die Naturalspenden entsprechen nicht immer den Bedürfnissen der Betroffenen», sagt die Historikerin Stephanie Summermatter. «Vor Ort gab es genügend Nahrung. Heute ist das ähnlich bei Lebensmittelhilfen in Entwicklungsländern. Verschifft der Westen Weizen nach Afrika, macht das vor Ort den Lebensmittelmarkt kaputt. Das ist zwar plakativ erklärt, aber so war es auch 1868.»
Grosse Auswanderungswelle
Viele Walliser waren bereits vor den Unwettern von 1868 von Armut betroffen. Und die Spendengelder deckten nur einen Bruchteil der entstandenen Schäden. Vielen Betroffenen erschien unter diesen Umständen nur die Auswanderung als Option. So wanderten beispielsweise im Jahr nach der Überschwemmung 50 Einwohner von Naters aus, was fünf Prozent der Bevölkerung ausmachte. Aus Raron wanderten drei Jahre später gar neun Prozent der Bevölkerung aus. Für den Kanton zeigten diese Auswanderungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt negative Auswirkungen, da sehr viele Arbeitskräfte wegfielen.
Die Naturkatastrophe hatte zudem zur Folge, dass die erste Rhonekorrektion nun definitiv umgesetzt werden musste. Und die Arbeit daran wurde von der Bevölkerung selber durchgeführt: «Es gab weder genug Geld zur Finanzierung, noch eine Baufirma, die die Arbeiten hätte ausführen können. Sondern die Bewohner jedes einzelnen Dorfes waren gemäss Gemeindereglement in der Pflicht», sagt Summermatter.
Am kommenden Dienstag findet um
19.00 Uhr ein Vortrag zum Thema in
er Briger Mediathek statt.
Mathias Gottet
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