Weltreise | Niels Pianzola reiste drei Jahre lang arbeitend um die Welt
«Ich wollte weiter, nicht stehen bleiben»
Visp | Er kündigte seinen Job, verliess den Alltag und reiste drei Jahre um die Welt: Niels Pianzola half den Indianern, Elche zu zerlegen und kämpfte in Panama gegen Affen um seinen Schlafplatz. Der Erfahrungsschatz hat ihn gestärkt und ihm die Ängste genommen, ungebunden zu sein. Ein probates Mittel gegen den Alltagstrott.
Niels Pianzola, Sie waren als Malergeselle auf Weltreise, und das über drei Jahre. Eine Auszeit? Oder gar eine Flucht vor etwas?
«Mein Leben war mit 27 irgendwie festgefahren. Ich war nicht mehr zufrieden, denn es hat sich ein Trott bemerkbar gemacht, den ich nicht mehr wollte. Ich war zwar in einen Alltag eingebunden, den man auch als sicher und planbar ansehen kann, aber ich war nicht glücklich damit. Der klassische Lebenslauf: Schule, Lehre, Studium, Arbeit. Heiraten, Haus und Kinder wären die mustergültigen nächsten Schritte gewesen. Dieses Standardmuster wollte ich durchbrechen. Es war aber keine Flucht, sondern eine Chance.»
Wo standen Sie beruflich, bevor Sie aufgebrochen sind?
«Ich war als gelernter Maler und Vorarbeiter tätig. Während diesen drei Jahren habe ich überall auf der Welt gearbeitet, aber nirgends waren die Ar-beitstage so lang wie in der Schweiz. Spätestens im Herbst ist man richtig erschöpft. Wie viele Handwerker ging ich nur noch zum Essen und Schlafen heim – nicht besonders lebenswert.»
Warum nicht einfach den Job wechseln?
«Manchmal muss man etwas wagen. Ich kündigte praktisch alles, wollte möglichst frei sein. Damals war es aber schon ungewohnt, plötzlich ohne Einkommen dazustehen. Ich hatte noch nicht diese Weitsicht, die ich heute habe. Aber für einen Handwerker bot es sich auch an, im Ausland zu arbeiten.»
So etwas braucht trotzdem Mut.
«Ich war schon früher eher furchtlos. Als Vorarbeiter auf der Baustelle habe ich gerne herausfordernde Probleme gelöst. Ich war bei der Feuerwehr und Aspirant bei der Wasserrettung. Auch bei der Unia Jugend war ich aktiv. Diese Ader, etwas zu wagen, hat dann letztlich wohl auch dazu geführt, dass ich alles hinter mir gelassen und die ganze Sache wirklich durchgezogen habe. Weil ich Herausforderungen liebe.»
«Schon früher war ich eher furchtlos»
Arbeiten im Ausland, ist das nur etwas für Draufgänger?
«Wenn man offen ist und bereit, die Sprache zu lernen, kann ein Handwerker gut im Ausland arbeiten. Ich habe meine Reise gezielt in Norwegen begonnen: die Bedingungen sind gut und geregelt. Es ist nicht viel anders als bei uns. Wer es sich überlegt: Es müssen ja nicht gerade drei Jahre sein. Wieso nicht ein paar Monate im Ausland arbeiten? Im Raum EU/EFTA kann man drei Monate ohne Visa arbeiten und für ausserhalb gibt es spezielle Praktikumsvisa, die deutlich weniger Papierkram bedeuten als normale. Solche Visa machen auch Sinn bezüglich Wissensaustausch über Landes- und Kulturgrenzen hinweg.»
Der Einstieg ist wohl nicht gerade einfach?
«Das stimmt. Ich brauchte lange, um meinen Kopf darauf einzustellen, ständig unterwegs zu sein. Spätestens nach drei Monaten packte ich meinen Rucksack und verabschiedete mich von allen. Man bot mir mehrmals an, zu bleiben. Aber ich wollte weiter, nicht stehen bleiben. Am neuen Ort beginnt man dann wieder von null: Wohnungssuche, Beschaffung eines Arbeitsvisums. Ich habe viel Lehrgeld bezahlt, doch daraus lernt man fürs Leben. Ein Beispiel: Statt in Hostel-Schlafräumen habe ich irgendwann angefangen, im Zelt zu schlafen oder Couchsurfing zu nutzen.»
Hat Sie das verändert, immer
wieder ohne Job zu sein?
«Ich habe heute weniger Angst vor der Zukunft, vor diesem Ungebundensein. Ich brauche nicht mehr diese Bindungen, Fixpunkte und Sicherheiten, um angstfrei durchs Leben zu gehen. Ich gehe die Dinge lockerer an. Dadurch
ist Vieles einfacher und ich bin viel
ruhiger.»
Wie schafft man es, immer wieder von Neuem zu beginnen?
«Oft stand ich vor Personen – oder ich war elektronisch mit ihnen verbunden – und sie sagten ‹Ja› zu mir. Sie gaben mir einen Job, Informationen, eine Unterkunft oder eine Mitfahrgelegenheit. Wenn man fragt, erhält man vielleicht ein ‹Ja›, erlebt eine tolle Zeit und nimmt Erinnerungen fürs ganze Leben mit.»
Man ist aber auch abhängig.
«Das stimmt. Etwa beim Autostopp. Dank Menschen, die mich mitgenommen haben, bin ich an neue Orte gelangt. Auf der Fahrt tauscht man sich dann aus, erfährt etwas über Land und Kultur und bereichert sich im Gespräch gegenseitig. Am Schluss endet man vielleicht beim gemeinsamen Abendessen. Es braucht die nötige Menschenkenntnis, aber ich bin jetzt viel offener, ‹Ja› zu sagen. Um etwas zurückzugeben, bieten meine Freundin, die mich im letzten Jahr begleitete, und ich heute selbst Schlafgelegenheiten für Reisende an.»
Wie geht man mit einem
«Nein» um?
«Man sollte nie zu engstirnig sein. Wenn man zu klare Vorstellungen hat, kann es sein, dass man enttäuscht wird und das ist frustrierend. Und man sollte immer einen Plan B haben. Ich habe gelernt, Dinge hinzunehmen, aber auch, selber ‹Nein› zu sagen. Das ist wie beim Bergsteigen, wo es auch mal die richtige Entscheidung sein kann, umzudrehen.»
Es ist wichtig, eine Situation
richtig einschätzen zu können.
«Genau. So lernt man, auf sich selbst aufzupassen. Am Anfang sprüht man vor übertriebener Neugier und Enthusiasmus: Man könnte dies und das machen. Aber es ist in bestimmten Gebieten nicht immer ungefährlich. Da lernt man, vernünftig abzuschätzen, denn man muss mit seinen Kräften sparsam umgehen. Also gut auswählen und aufpassen, dass man nicht auf etwas hinarbeitet, was schlussendlich nur eines war: Energieverschwendung. Oder etwas, wobei man sich sogar übermässig in Gefahr brachte.»
Gab es trotzdem potenziell
gefährliche Situationen?
«Ja, und teils habe ich mich gezielt dafür entschieden. In Südamerika sind wir einmal nur mit Smartphones mit GPS drei oder vier Tage durch den Dschungel gewandert, um uns Ruinen anzusehen. Das war in der Region der Schmugglergrenze Guatemala/Mexiko und daher schon nicht unproblematisch. Und auch bezüglich Wassernachschub war dieser Weg nicht gerade ein Zuckerschlecken. Das habe ich mir dreimal überlegt, zumal man uns davon abriet. Doch manchmal muss man sich überwinden.»
Wie bereitet man sich auf eine solche Tour vor?
«Wir sind zusammengesessen und haben die Route geplant. Wichtig sind natürlich Grundnahrungsmittel- und Wasservorräte, gute Schuhe, Verbandsmaterial. Wir haben mit den Einheimischen gesprochen, abgeklärt, welche Routen wirklich existieren.
Ein gewisses Risiko bleibt natürlich, aber wenn man es nicht versucht, wird man nie wissen, was möglich gewesen wäre.»
Wie ist es in der Wildnis?
«Was es heisst, in der Wildnis zu
leben, habe ich bei den Indianern erlebt. Die gingen auf die Jagd, haben Tiere geschlachtet, Felle bearbeitet, Tipis oder traditionelle Holzhäuser gebaut. Auf der Jagd war ich nicht, aber ich habe Holz gesammelt oder beim Hüttenbau und beim Schlachten von Elchen geholfen. Nur schon die Köpfe von denen hatten ein enormes Ausmass. Für einen Elch waren wir zu sechst sicher über drei bis vier Tage von acht bis sechzehn Uhr beschäftigt. Am ersten Tag waren wir noch total begeistert, dieser Enthusiasmus flaute dann aber schon am nächsten merklich ab.»
Hatten Sie auch mal Angst?
«Die Elche, die wir geschlachtet haben, wiegen sicher mehr als eine Tonne. Da fallen natürlich auch viele Abfallprodukte an: Blut oder Organe. Zu meinen Aufgaben gehörte deren Entsorgung und dies teils auch abends. Es war gerade Herbst. Das ist die Zeit, in der sich die Grizzlys ringsherum auf den Winter vorbereiten, indem sie sich möglichst viele Fettreserven anfressen. Ich sollte also die unbrauchbaren Elchteile zum Fluss bringen und über eine Brücke ins Wasser werfen. Auf dem Weg dorthin sah ich im nah gelegenen Geäst die Augen der Raubtiere in der Dunkelheit funkeln. Ein Stück weit wurde ich zwar von Hunden begleitet, aber die hatten selber Angst und sind plötzlich einfach abgehauen. Und ich stand alleine da mit all den Organen und zudem voll Blut. Da wird es einem schon etwas mulmig zumute, wenn man weiss, dass die Wildnis da draussen voll von Grizzlys und Bären ist (lacht). Als ich die Augen sah, habe ich mich dann beeilt, den Abfall zu entsorgen und bin schleunigst zurückgerannt.»
Waren Sie auch mal
desillusioniert?
«Es kam auch vor, dass ich mein Zelt wieder aufstellen musste, weil kein Auto vorbeigekommen war. Das ist dann schon hart, vor allem, wenn einem eine eisige Nacht bevorsteht. Da schätzt man es dann unglaublich, wenn man wieder in ein Haus kommt. Und der Gastgeber versteht gar nicht, weshalb ich mich so ungemein auf einen Kuchen und ein warmes Bett freue. Oder als ich von Südamerika nach Bern kam: Man kann sich gar nicht vorstellen, welches Highlight es da für mich war, in einem richtigen Bett zu schlafen, nachdem ich in Panama, wo ich auf dem Kanal arbeitete, zwei Wochen lang jeden Abend mit Affen um meinen Schlafplatz kämpfen musste.»
Haben Sie auch für sich als
Handwerker etwas gelernt?
«Natürlich. Etwa was die Herstellung von Farben angeht. Statt Fertigmischungen zu benutzen, habe ich Farben selber hergestellt. In Mexiko etwa haben wir Baumrinden gesotten und damit Farbpigmente hergestellt. In Thailand hatte ich das Glück, auf einen Ableger einer grossen Firma zu stossen, die in ganz Asien Lehmhäuser baut. Das verwendete Material hat eine gipsähnliche Qualität, die es
mit hiesigen Ansprüchen aufnehmen kann. Das sind Materialien ganz ohne Plastik oder chemische Substanzen. Solche Erkenntnisse können helfen, Verbesserungen in Sachen Nachhaltigkeit in die Schweiz zu importieren.»
Können Sie sich vorstellen, an einem der Orte, die Sie bereist
haben, dauerhaft zu bleiben?
«Am ehesten vielleicht in Kanada oder Norwegen. Aber ich war nie jemand, der wegläuft. Das wollte ich nie sein. Es war von Anfang an klar, dass ich zurückkomme. Ich bin gerne hier.»
Und der Alltagstrott?
«Ich kann der Arbeitssituation nicht direkt entfliehen, will beruflich aber auch mal etwas Neues versuchen. Jetzt muss ich mich aber zuerst wieder organisieren. Mit meiner Freundin miete ich eine Wohnung in Bern. Mal wieder ein Zuhause haben, etwas Geld erarbeiten, das steht momentan im Vordergrund. Gleichzeitig versuche ich, den Alltagstrott zu vermeiden. Sollte der sich wieder anbahnen, werde ich nun schneller bereit sein, etwas zu verändern.»
Interview: Marcel Theler
Reiseroute
2015
Sommer/Herbst: Norwegen
Winter: Neuseeland
2016
Frühling: Neuseeland
Sommer/Herbst: Kanada
Winter: Mexiko, Belize
2017
Frühling: Guatemala, Costa Rica,
Panama
Sommer: Schweiz, Frankreich, England,
Belgien, Holland, Deutschland,
Dänemark
Winter: Thailand, Kambodscha
2018
Frühling: Vietnam, Taiwan
Sommer: Russland, Ukraine, Polen,
Tschechien, Österreich,
Deutschland
Über die Reise
Niels Pianzola schildert seine Erlebnisse auch auf seinem Blog waymarks.ch. Dort stellt er ausserdem Tipps für das Arbeiten im Ausland zur Verfügung. Und heute Freitag hält er um 19.00 Uhr im Jazz Chälli in Visp einen Vortrag über seine dreijährige Weltreise.
Marcel Theler
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