Walliser im Ausland | Walburga Baur-Stadler berichtet aus Südkalifornien
«107-jährig – vor 86 Jahren ausgewandert»
Seit 17 Jahren lebt Walburga Baur-Stadler in Südkalifornien. Sie ist im Wallis aufgewachsen und seitdem hat es sie in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Auf 1815.ch teilt Baur-Stadler heute Erinnerungen an ihren Bekannten Ted Muller, der 107-jährig, kurz vor seinem Tod, zum ältesten Auslandschweizer ernannt wurde.
Walburga Baur-Stadler (wbaur@roadrunner.com) hat sich nach zahlreichen Auslandserfahrungen vor 17 Jahren in Südkalifornien niedergelassen, ausserhalb von Los Angeles, am Fuss der San Gabriel Berge. Ihre Zeit widmet sie ihrem Garten, dem Malen und Singen.
Auf 1815.ch berichtet sie in loser Reihenfolge über ihr Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten:
«Zum ersten Mal sah ich Ted Müller so 1980. Ich hätte gewettet, dass er ein Appenzeller ist. Klein, drahtig, ganz braun im Gesicht und natürlich ein Ohrenringlein. Es stellte sich dann heraus, dass Ted vom Berner Oberland stammte und Ohrenringlein-weise der Zeit halt gewaltig voraus war!
Er wurde am 11. August 1904 in Gsteig bei Saanen als ältestes von neun Kindern geboren. Theodor besuchte die Landwirtschaftsschule und entschloss sich, mit 23 Jahren, nach Kalifornien auszuwandern. Damals war das schneller gesagt als getan. Mit dem Zug gings quer durch Deutschland bis hinauf nach Bremen. Dort bestieg er ein Schiff und fuhr via Southampton und Cherbourg nach New York. Die Einwanderungsbehörden testeten ob er lesen und schreiben konnte und dann wurde er in den Zug verfrachtet. Er erinnert sich, dass er an New Orleans vorbeikam. Ganze 20 Tage dauerte die Reise von der Schweiz bis nach Kalifornien.
Theodor hatte verschiedene Stellen bis er als Gärtner von den Walt Disney Studios in Burbank (damals am Stadtrand von Los Angeles) angestellt wurde. War es die neue Stelle, die ihn endlich, mit 48 Jahren, noch zum Heiraten bewegte? Er hatte Anni, ebenfalls eine Berner Oberländerin, getroffen und sich gleich in sie verliebt. Anni erzählte mir, dass sie anfangs gar nicht wagte, ihrer Familie in der Schweiz zu schreiben, dass ihr Mann 13 Jahre älter sei als sie. Irgendwann wurden dann die Namen Theodor und Anni auf Ted und Anny geändert. Sie hatten zwei Söhne, neun Grosskinder und mehrere Urgrosskinder. Während 24 Jahren, bis er 69 Jahre alt war, arbeitete Ted bei den Walt Disney Studios.
Nach der Pensionierung ging das Gärtnern bei Freunden, Verwandten und Bekannten weiter. In letzter Zeit, sagte Ted, spüre er aber das Alter doch etwas mehr, er habe nur noch seinem Sohn und einem Nachbarn die Rosen geschnitten.
Mit 96 Jahren hörte Ted schweren Herzens auf, aktiv im Harmonie Chor mitzusingen. Er wollte nicht mehr gerne nachts auf der Autobahn zu den Gesangsproben fahren. Kurz zuvor hatte aber das Departement für Motorfahrzeuge seinen Fahrausweis noch für fünf Jahre, bis zu seinem 100. Geburtstag, verlängert! Als Ted dann anfing, Probleme mit dem Herz zu haben, wurde ihm ein Schrittmacher verpasst. Der Arzt sagte, er sei nun so gut wie neu und der Schrittmacher sollte problemlos 10 bis 15 Jahre hinhalten. Ted fühlte sich so wohl, dass er ein letztes Mal in die Schweiz flog.
Anny, die damit gerechnet hatte, Ted in seinen alten Tagen zu pflegen, verfiel immer mehr in Alterssenilität, so dass Ted schlussendlich keine andere Wahl hatte, als sie in einem Heim unterzubringen. Nun war er allein in seinem Haus und hatte nur noch den Hund Spatz und die Katze Lucky als Gesellschaft. Der Veterinär musste ihn dann mahnen, er solle es jetzt etwas gemütlicher nehmen und nicht mehr alle Tags bis auf den Hügel hinaufmarschieren, der Hund sei zu alt und könne das nicht mehr! 'Früher hat Spatz mich gezogen und heute muss ich ihn ziehen', meinte Ted. Spatz ist dann gestorben und die Katze Lucky blieb Teds grosse Freude. Jeden Morgen weckte ihn die Katze gegen 6 Uhr, weil sie hinaus wollte. Pünktlich zum Frühstück war sie dann wieder da und nahm den Stammplatz auf Teds Knie ein, wo sie ihm dann ausgiebig flatierte. 'Und nachher schläft sie den ganzen Tag', erzählte er.
Vier- bis fünfmal pro Woche besuchte Ted seine Frau im Heim. Ihn erkannte sie noch und freute sich an seinen Besuchen. Inzwischen ist sie gestorben. Dass Ted ein fanatischer Kreuzworträtsel-Löser war, wissen alle. Gleich drei Heftli aus der Schweiz hatte er abonniert. Er vermisste die spannenden Scrabble-Spiele mit Anny. Dafür ging er immer noch zweimal pro Woche mit seinen Freunden zum Kegeln und wurde zum ältesten Kegler Amerikas ernannt! Ted kochte seine eigenen Mahlzeiten, hauptsächlich Suppen, Gemüse und Salate. Seine Langlebigkeit schrieb er dem gesunden Lebenswandel zu. Auch habe er nie geraucht und das Wichtigste: Er sei immer aktiv geblieben.
Im September 2005 gab’s im Schweizer Park von Los Angeles ein grosses Geburtstagsfest, wo Freunde und Familie dann nach typischer amerikanischer Tradition 'Happy Birthday Ted!' sangen und hofften, dass er uns noch lange erhalten bleibe. Von da an wurde das Geburtstagsfest jedes Jahr wiederholt. Kurz vor seinem Tod im Jahr 2011 war er dann auch noch der älteste Auslandschweizer und erhielt Gratulationsschreiben vom Generalkonsul, vom Botschafter und sogar vom Bundesrat. Aber die Urkunde vom Bürgermeister von Los Angeles war die schönste!»
Als Vierjährige zog Walburga Baur-Stadler mit ihrer Familie ins Wallis, wo sie aufgewachsen ist und die Real- und Handelsschule im Institut St. Ursula in Brig besuchte. Nachdem sie zwei Jahre lang Sekretärin bei den Walliser Kraftwerken in Visp war, zog es sie nach Oxford, um Englisch zu lernen.
Danach trat Walburga Baur-Stadler eine Stelle beim Politischen Departement in Bern (heute: Departement für auswärtige Angelegenheiten) an und wurde in Belgien, Marokko, Thailand und Madagaskar als Sekretärin eingesetzt. Nach ihrem Wechsel in die konsularische Laufbahn kam es erneut zu Versetzungen: Mailand, Kongo, Peru, Costa Rica und Kalifornien, wo sie ihren Mann, einen Zürcher, kennenlernte und heiratete. Gemeinsam waren die beiden noch in Spanien und Argentinien, wo sich Baur-Stadler Ende 1998 im Grad einer Generalkonsulin frühzeitig pensionieren liess.
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