Schiesssport | Trainingslager der CH-Nati «Sehbehinderte» in Visp
Treffsicheres Gehör
In den kommenden Tagen trainiert die Schweizer Nationalmannschaft der «Sehbehinderten» im Oberwallis und bereitet sich auf die WM in Polen vor. Mit dabei ist auch die gebürtige Oberwalliserin Claudia Kunz-Inderkummen.
Wer überzeugt ist, dass nur ein guter Schütze sein kann, wer auch Adleraugen hat, könnte sich gewaltig irren. Die Elektronik hat längst auch Menschen mit Sehbehinderungen, ja sogar totaler Blindheit, zum Einstieg in den Präzisions- und Konzentrationssport «Schiessen» verholfen. Die Schweizerin mit Walliser Wurzeln, Claudia Kunz-Inderkummen, ist das beste Beispiel dafür. Sie ist amtierende Schweizer Meisterin, hat zahlreiche nationale Rekorde aufgestellt und mit Erfolg an internationalen Wettkämpfen mit Erfolg teilgenommen.
Und wer das alles immer noch nicht glaubt, kann sich am nächsten Samstag, 29. Oktober 2016, im SSZ Riedertal Visp von 11.00 bis 16.00 Uhr eines Besseren belehren lassen. Die CH-Nati der Sehbehinderten absolviert nämlich im Oberwallis ein 4-tägiges Trainingslager mit zwei Schützen unter Leitung von Nationaltrainer Heinz Reichle. Es folgt die WM der Sehbehinderten in Polen.
Der Anlass richtet sich nicht nur an die neugierige Bevölkerung, sondern auch an Sehbehinderte jeden Grades, die vielleicht auf der Suche nach einer für sie geeigneten Sportart sind, welche ganzjährig ausgeübt werden kann. Das SSZ Riedertal verfügt mit einer 10-Meter Anlage mit 10 elektronischen Scheiben über ideale Voraussetzungen dafür und ist sehr zentral gelegen. Es stehen etwa ein grosser Parkplatz, ein Behindertenlift und -WCs zur Verfügung. Zudem kann sich jeder Besucher mit den Athleten messen und ihnen auch Fragen stellen.
«Schiessen mit Gehör - Und wie soll das gehen?» Diese Frage stellt sich nicht nur ein Laie, sondern auch ein sehender Sportschütze. Hier die Antwort:
Ein Sehbehinderter schiesst einzig mit dem Gehör: Wo beim Luftgewehr eine normale High-tech Visierung mit verstellbarem Diopter, Farbfiltern und Ringkorn angebracht ist, übernimmt diese Funktion ein sogenannter Umwandler, eine einem Zielfernrohr ähnliche Vorrichtung mit LED-Sensor, welche optische Signale in akustische umwandelt. Sobald der Signalton eine gewisse Frequenz erreicht, weiss der sehbehinderte Schütze beziehungsweise die Schützin, dass die Zehn im Zentrum des Zielvorgangs steht. Claudia Kunz: «Ändert sich der Ton des Signals nur um eine Nuance, dann ist klar: Eine Zehn wird das nicht….!» Diese Technik wird ja auch bei sehbehinderten Biathlon-Sportlern angewendet und hat sich bewährt.
Wie ist Kunz-Inderkummen zum Schiesssport gekommen?
Claudia Kunz-Inderkummen, Mutter eines 17-jährigen Sohnes, mochte eigentlich am liebsten Fussball. Aber wegen ihrer abnehmenden Sehkraft infolge einer akuten Makula-Degeneration (Erkrankung der Netzhaut) musste sie ihre Tätigkeit als Juniorentrainerin des FC Uster/ Hinwil aufgeben. Als sie per Zufall an einem Anlass für Sehbehinderte teilnahm, fand sie im Schiesssport eine neue Passion. Ihre Schwester schenkte ihr ein Luftgewehr, dann gings voll zur Sache beziehungsweise zur Scheibe. Ihr Ziel? So nahe wie möglich an das Resultat eines sehenden Spitzenschützen herankommen. Das liegt zur Zeit bei 629.7 P. nach 60 Schuss mit Zehntelswertung. Claudia kam schon mal auf 614,4.
Auf die Zähne beissen…
Einen Haken hat allerdings die ganze Sache doch: Ein sehbehinderter Schütze braucht viel mehr Kraft, da Schussaufbau und -abgabe mehr Zeit beanspruchen als bei einem Sehenden. Claudia: «Wir müssen das Gewehr länger in der Stellung ‚stehend frei’ halten. Das belastet Beine, Arme, vor allem Rücken und Nacken viel stärker!» Ergo braucht es auch mehr Krafttraining. Die 52-jährige Claudia schwört auf Aquafit, das sie 4 mal wöchentlich besucht. Ihre Stärke aber sind der beharrliche Wille und Ziele, die sie unbeugsam verfolgt. Stärken also, die schlussendlich jeden ehrgeizigen Sportler auszeichnen, sei er nun behindert oder nicht.
Weitere Details und Photos unter www.blindenschiessen.ch
pd / pmo
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Kommentare
Willi Tell me - ↑2↓1
Unglaublich, was heute alles möglich ist: Sehbehinderte und sogar Blinde sollen laut obigem Bericht den Schiesssport ausüben können, und dies mit Erfolg und vielen Zehnern. Nach Skifahren und Marathon laufen eine weitere gute Möglichkeit, die Lebensqualität von sog. "Behinderten" zu verbessern! Schade, dass die Menschheit nicht auch auf andern Gebieten des täglichen Lebens so grosse und erstaunliche Fortschritte macht: Politik, Bekämpfung von Armut und Hunger, Arbeitslosigkeit, Menschenhandel etc. etc. Das wäre noch viel wichtiger...
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