Justiz | 18 Jahre Freiheitsentzug und eine ambulante Therapie gefordert
Verteidigung plädiert für Verzicht auf Verwahrung
18 Jahre Freiheitsentzug und eine ambulante Therapie: Die Verteidigerin des mutmasslichen Vierfachmörders von Rupperswil AG hat am Mittwoch vor dem Bezirksgericht Lenzburg ihre Anträge gestellt. Weder eine lebenslängliche noch eine ordentliche Verwahrung seien gerechtfertigt.
Verteidigerin Renate Senn zeichnete von ihrem Mandanten das Bild eines zutiefst zerrissenen Menschen, der praktisch Opfer seiner selbst wurde. Diese Zerrissenheit habe an jenem 21. Dezember 2015 "ein tragisches Ende gekommen".
Der heute 34-Jährige habe eine erfolgreiche Zukunft vor sich gehabt, bis er etwa zwanzig Jahre alt war, sagte Senn. Seine vor der Aussenwelt verheimlichte Pädophilie habe ihn aber immer schwerer belastet und zunehmend aus dem Gleichgewicht gebracht, er sei süchtig geworden nach einschlägigen Bildern und Filmen im Internet.
Irgendwann sei der Wunsch aufgekommen, seinen Trieb in der Realität auszuleben, auch wenn er dies bekämpft habe: "Es kann nicht sein, es darf nicht sein." Nach langen Gedankenspielen, nach Zögern und Hadern habe er dem Drang nachgegeben - eher widerstrebend, so Senn. Er habe beim Haus der späteren Opfer geklingelt, sei eingelassen worden und habe den Tatplan nun verwirklichen müssen.
"Spontan gehandelt"
Der Schweizer habe "spontan vor Ort gehandelt", sagte die Verteidigerin. Zwar habe er "grob einen Plan" entworfen, auch Vorbereitungen getroffen, Details habe er nicht geplant. Es habe eine gewisse Eigendynamik ergeben.
Getötet habe er, um seine Taten zu vertuschen, nicht aus Lust am Töten. Gehandelt habe er aus drei Gründen: zur sexuellen Befriedigung, aus Scham und aus finanziellen Gründen.
Sein pädophiler Drang wollte ausgelebt werden. Und weil er nicht den Mut hatte, seiner Mutter sein Scheitern an mehreren Unis und seine Lügen über ein angeblich erfolgreiches Leben zu gestehen, musste er Geld beschaffen.
Gegensteuer zu lebenslänglicher Verwahrung
Senn betonte mehrmals, Anlassdelikt sei ein Sexualdelikt aufgrund der ausgeprägten Pädophilie ihres Mandanten gewesen. Und ohne die festgestellten narzisstischen und zwanghaften Züge wäre er nie in die damalige Situation gekommen, zu töten. Damit gab sie Gegensteuer zur staatsanwaltlichen Forderung nach lebenslanger Verwahrung, die eine dauerhafte Untherapierbarkeit voraussetzt.
Laut den Gutachtern kann nämlich eine Pädophilie mit einer Therapie zwar nicht geheilt werden, der Betroffene kann aber lernen, deliktfrei damit umzugehen. Auch die Persönlichkeitsstörungen sind behandelbar. Die Staatsanwältin hatte argumentiert, es sei keine Störung Ursache der Tat - damit könne eine solche auch nicht behandelt werden.
Faires Urteil
Die Öffentlichkeit fordere eine drakonische Bestrafung ihres Mandanten - dieser gehöre "für immer weggesperrt". Dies dürfe aber nicht die Entscheidung des Gerichts beeinflussen, diese müsse fair ausfallen. In der Schweiz seien Freiheitsstrafen in der Regel endlich. Angemessen für den Beschuldigten seien 18 Jahre Freiheitsentzug.
Eine Verwahrung sei nicht angezeigt. Anzuordnen sei eine ambulante Therapie während des Strafvollzugs. Laut den Gutachtern lasse sich die Rückfallgefahr mit Therapien deutlich senken. Gegebenenfalls könnte dereinst eine Umwandlung in eine stationäre Massnahme oder eine Verwahrung geprüft werden. Das "übersteigerte Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung" dürfe kein Massstab sein.
Schliesslich machte Senn verschiedene Gründe für eine Strafmilderung geltend: Zugunsten ihres Mandanten müsse gewertet werden, dass dieser nach seiner Verhaftung sofort gestanden und sich kooperativ gezeigt habe. Er sei sich bewusst, mit seiner Tat viel Leid verursacht zu haben und empfinde Reue. Senn las einen Brief des Beschuldigen an die Opferfamilien vor, in dem er schrieb, wie leid ihm alles tue.
Zudem übte sie Behörden- und Medienschelte: Die tendenziöse Art der Information durch die Strafbehörden nach der Verhaftung habe eine "mediale Treibjagd" und Vorverurteilung ihres Mandanten ausgelöst.
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